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Transkript: Anonyme Alkoholiker - überholt oder unersetzbar?

Mia Gatow [00:00:02]:

Wenn dir irgendwas hier dient, egal ob das jetzt ein Schritt ist oder ein spiritueller Grundsatz oder whatever, dann mach das, nimm das, es ist deins und das Zeug, was du blöd findest, das lässt du halt einfach sein.

Stefanie Bötsch [00:00:13]:

Man kennt sich halt aus filmen und kann sich dadurch schon ein bisschen auch vorstellen, was einen erwartet.

Mia Gatow [00:00:20]:

Es geht einfach nur darum, wir in dieser Gruppe sind alle unterschiedlich, aber wir haben das gleiche Problem und das gleiche Ziel und das vereint uns.

Intro[00:00:38]:

Psychoaktiv, dein Podcast mit Suchttherapeutin Stephanie Bötsch.

Stefanie Bötsch [00:00:49]:

Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge Psychoaktiv. Schön, dass ihr wieder mit dabei seid. Heute ist etwas ganz Besonderes, denn ich nehme tatsächlich ein Interview aus dem Camper in der Mongolei auf. Und an der Strippe ist Mia Gatow. Mia Gatow kennt ihr vielleicht schon vom Soda Club Podcast. Wir haben da auch schon mal eine Folge gemeinsam zu gemacht. Es ist im Soda Club Podcast Folge 154 und bei mir die Zwischenfolge 5 und zwar zum kontrollierten Trinken. Aber heute ist Mia Gatow wegen was anderem da und es ist auch eine Folge, die ihr euch schon häufiger gewünscht habt.

Stefanie Bötsch [00:01:30]:

Ich glaube, ich starte inzwischen jede Folge mit diesem Satz. Und zwar eine Folge zu den anonymen Alkoholikern. Und Mia ist schon seit sieben Jahren bei den anonymen Alkoholikern, besucht da immer auch das gleiche Meeting meistens und wird uns heute Einblicke in die anonymen Alkoholiker geben. Hallo Mia, schön, dass du da bist.

Mia Gatow [00:01:56]:

Hi, schön hier zu sein.

Stefanie Bötsch [00:01:57]:

Ich freue mich riesig, dass du bei dem Interview heute dabei bist. Und ich habe ja auch gerade dein wunderbares Buch gelesen, Rausch und Klarheit. Das ist am 18.9. Erschienen und kann ich euch wirklich alle nur ans Herz legen. Den Link findet ihr einfach auch in der Folgenbeschreibung. Und in dem Buch, Mia, widmest du dich ja auch ein ganzes Kapitel den anonymen Alkoholikern, die es ja auch heute geht. Und da ist mir ein Satz besonders hängen geblieben und mit dem steigen wir vielleicht gleich mal ein. Und zwar,

Wenn man lernen will, die Menschen zu lieben, dann sollte man zu den anonymen Alkoholikern gehen.

Stefanie Bötsch [00:02:38]:

Was meinst du denn damit? Das ist ja schon sehr besonders, würde ich sagen. Oder vielleicht nicht der erste Satz, der einem einfällt, wenn man an anonyme Alkoholiker denkt.

Was sind die Anonymen Alkoholiker?

Mia Gatow [00:02:46]:

Nee, ne? Also, die anonymen Alkoholiker sind eine sehr seltsame Organisation, die sehr anders funktioniert als viele andere Organisationen, die wir so kennen. Und was ich mit dem Satz gemeint habe, ist eigentlich, dass es sehr erstaunlich ist, mit was für einer Freundlichkeit und Wertschätzung und Toleranz man dort empfangen wird. Und das ist ja auch so, dass die meisten Leute, die da aufschlagen, ja nicht so besonders gut in Form sind. Und auch irgendwie grade nicht so ihr Leben irgendwie besonders gut im Griff haben oder so. Und trotzdem bieten die AA eigentlich so vorbehaltlose Akzeptanz. Die empfangen dich, egal wer du bist. Du musst keine Voraussetzungen erfüllen, du musst nicht irgendwelche Formulare ausfüllen, du musst nicht deinen Namen sagen, du musst nicht Rechenschaft ablegen oder beichten oder irgendwas. Du musst nicht mal irgendwas sagen, du wirst so, wie du bist, angenommen in dieser Gemeinschaft und wohlwollend behandelt.

Mia Gatow [00:03:49]:

Und generell ist es so, dass bei den anonymen Alkoholikern eigentlich, es geht Gemeinsamkeiten und nicht Unterschiede. Also es geht nicht darum, Recht zu haben oder irgendwie, weiß nicht, die Wahrheit zu kennen oder irgendwie sich auf irgendwelche politischen Leitlinien zu einigen oder irgendwas oder wissenschaftliche Streits zu haben, sondern es geht einfach nur darum, wir in dieser Gruppe sind alle unterschiedlich, aber wir haben das gleiche Problem und das gleiche Ziel und das vereint uns.

Stefanie Bötsch [00:04:15]:

Ja, ich kann mir auch irgendwie sehr gut vorstellen, dass vor allem, wenn man gerade Probleme mit Alkohol hat und ich glaube auch der erste Weg zu den AA ist, ich glaube da geht viel mit einem einher, wenn man so das erste Mal zu den AA geht Und dass man da dann sozusagen so eine mega wohlwollende Atmosphäre antrifft, das stelle ich mir echt schön vor.

Mia Gatow [00:04:38]:

Ja, total. Also die meisten Leute erwarten das nicht. Die meisten Leute sind sehr erstaunt von der Höflichkeit und der Wärme und so. Und du kriegst halt sofort irgendwie Kontaktadressen und Telefonnummern in die Hand gedrückt von den Leuten und die sagen dir so, ruf an, egal ob nachts oder tags oder so. Also du kriegst halt, was du brauchst, ohne dass dir irgendjemand Rückfragen stellt.

Wie läuft ein Meeting bei den AAs ab?

Stefanie Bötsch [00:05:00]:

Wenn wir jetzt mal von Erwartungen sprechen, ich glaube, das, was die allermeisten von den AAs erwarten, sind, dass du deine Gespräche startest mit Hallo, ich bin XY und ich bin Alkoholiker oder Alkoholikerin. Ist dem denn so?

Mia Gatow [00:05:15]:

Ja, das ist schon so. Also die Meetings laufen schon so ziemlich ab, wie man das so aus so amerikanischen Serien und Filmen kennt.

Stefanie Bötsch [00:05:23]:

Wie läuft es denn ab? Magst du uns vielleicht mal durch so ein Treffen führen? Wenn ich jetzt da ankomme, was kann ich erwarten? Wie läuft so ein Treffen ab?

Mia Gatow [00:05:30]:

Also die Treffen sind alle so ein kleines bisschen unterschiedlich, aber es gibt so ein Grundgerüst. Also das läuft so normalerweise ab, dass wenn das Meeting startet, dann gibt es eine Chairperson, das ist so ein Vorsitzender oder eine Vorsitzende, die liest in der Regel die Präambel der anonymen Alkoholiker, das sind so Leitlinien, die die Gemeinschaft betreffen, vor und dann werden in der Regel die zwölf Schritte und zwölf Traditionen vorgelesen und alle stellen sich mit diesem berühmten Satz vor, hallo ich bin so und so und ich bin Alkoholikerin Und dann gibt es Wortmeldungen, also dann wird geteilt, so wird das genannt. Es gibt auch SprecherInnen-Meetings, also es gibt auch Meetings, wo eine Person sozusagen vorne steht und ihre Geschichte erzählt. Aber die meisten Meetings, und auch meins funktioniert so, geben Redezeit für die einzelnen Leute. Also dann hast du irgendwie so fünf Minuten oder zehn Minuten, je nachdem wie groß das Meeting ist und kannst dann eben frei sprechen über das, was dich gerade belastet oder betrifft oder was dich gerade beschäftigt. Und das geht so der Reihe nach. Alle sind dran. Niemand nimmt auf die einzelnen Stellungnahmen Bezug.

Mia Gatow [00:06:36]:

Also es gibt zwar auch Dialoggruppen, wo sich die Leute unterhalten, aber in der Regel ist es so, dass die Wortmeldungen nicht kommentiert werden durch die anderen. Und dann ist irgendwann die Meetingzeit vorbei, dann wird der Gelassenheitsspruch gesagt, gemeinsam meistens. Also bei mir in meinem Meeting ist das so, dass sich alle im Kreis an der Hand fassen, so ein bisschen sektenmäßig und dieses Gelassenheitsgebet zusammensprechen und das war's, dann ist das Meeting vorbei.

Stefanie Bötsch [00:07:00]:

Total spannend, Ich finde es vor allem spannend, dass nicht aufeinander eingegangen wird. Mich erinnert das an, ich weiß nicht, das ist so für mich die große Übung im Beziehungscoaching, wo man ja auch sagt, dass jeder Partner mal zehn Minuten sprechen darf und der andere Partner hält wirklich konsequent die Klappe. Und ich glaube gerade auch vor allem, wenn Menschen sehr viel trinken, kriegen sie auch häufig sehr viel Input, wie sie es anders machen sollen. Und ich kann mir sehr gut vorstellen, da wirklich mal den Raum zu haben von ich kann mich mitteilen. Es hören mir Menschen zu, aber es sagt mir erst mal keiner, was ich besser oder anders machen soll, sondern es wird mir einfach nur zugehört und den Raum gegeben für mich, für meine Herausforderungen.

Stefanie Bötsch [00:07:37]:

Ich glaube, das hat eine ganz interessante Wirkung auf jeden Fall. Wie erlebst du denn genau, dass das dann keiner darauf antwortet? Fehlt dir das dann manchmal?

Mia Gatow [00:07:56]:

Nee, das kann man sich ja woanders holen. Also das kann man sich ja wirklich buchstäblich im Rest der Welt holen. Du hast ja überall, wo du hingehst, egal ob du jetzt auf Social Media bist oder in irgendeiner Debatte mit Freundinnen oder in politischen Debatten oder whatever, du hast ja immer diese Rede- und Gegenredekultur. Und dass man einfach mal was sagt, ohne dass irgendeine Reaktion kommt, das findet man ja sonst nirgendwo. Es hat einen total speziellen Effekt, weil du halt, du musst ja auch nichts beweisen, da du ja keine Konsequenzen hast, weder positive noch negative, auf das, was du sagst, hast du dann auch nicht das Gefühl, du musst jetzt irgendein Ziel erfüllen mit dem, was du sagst. Du machst das wirklich nur für dich. Und wenn du was sagst, einfach nur das zu sagen, dann hat das eine ganz spezielle Qualität. Das findet man sonst im Alltag nicht.

Mia Gatow [00:08:46]:

Und es ist total interessant, auch was man sagt, wenn man vorher nicht darüber nachdenkt, was man sagen wird.

Stefanie Bötsch [00:08:51]:

Das heißt, du denkst dir das immer recht spontan erst aus?

Mia Gatow [00:08:54]:

Ja, schon. Ich meine, ich mache das ja meistens einmal die Woche, wenn ich das schaffe, immer noch. Und das ist so ein bisschen wie, es hat was von Tagebuchschreiben natürlich. Es hat so einen reinigenden Effekt. Du besinnst dich auf dich selber, du rekalibrierst dich und du findest auch ein bisschen raus, was dich eigentlich wirklich beschäftigt im Alltag so. Und was du halt gerade wirklich fühlst. Es ist so ein bisschen wie, weiß ich nicht, so ein bisschen seelenhygienemäßig.

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Argomento TRANSKRIPTE

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