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Erspar mir das große Ganze

Ernst von Dohnányi: Symphonische Minuten, Op. 36 (1933)

In den Schleichwegen zur Klassik stelle ich Musik vor, die ihr vielleicht noch nicht kennt. Und ich führe euch durch die Musik: Worauf soll ich hören? Wie kann ich diese Musik besser verstehen und damit mehr genießen?

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Die Rückseite einer Celesta wie sie im vierten Satz von Dohnányis Symphonischen Minuten vorkommt – und in der Musik für Harry Potter (Lizenz: CC BY-SA 4.0 (Opens in a new window))

Von Twitter-Gründer Jack Dorsey stammt der Satz: “Make every detail perfect and limit the number of details to perfect.” (Sinngemäß: Perfektioniere jedes Detail, aber begrenze die Anzahl der Details.) Die Empfehlung wendet sich vermutlich an (digitale) Produktdesigner, aber sie stimmt auch sonst.

Wer sich auf Details konzentriert, muss mit Protest rechnen. Kluge Köpfe soll man an Sätzen erkennen wie: “Erspar mir die Details, mich interessiert nur das große Ganze.” Nie sagt jemand: “Erspar mir das große Ganze, mich interessieren nur die Details.” Dabei ist das große Ganze oft nur eine Fiktion; eine Hilfskonstruktion, die helfen soll, klarzukommen. Aber die Details sind real – und sie können einen immer erfreuen.

Eingeschüchtert von der ganz großen Form, der Sinfonie, versuchte sich der ungarische Komponist Ernst von (eigentlich: Ernő) Dohnányi an einer bescheideneren Aufgabe: Fünf kurze Sätze für Orchester, die er aber nicht als Sinfonie verstanden wissen will, sondern dem Werk den augenzwinkernden (und bescheideneren) Titel “Symphonische Minuten” gibt. Fünfzehn Minuten dauert es nur ungefähr, es ist also schon dem Umfang nach kein großes Werk. Deshalb soll es heute um einige Details in Dohnányis glitzerndem Miniaturkunstwerk gehen. Und davon gibt es viele!

1. Satz (Capriccio)

Der 1. Satz ist Capriccio überschrieben. In so bezeichneten Sätzen geht es rund. Sie sind oft nicht ganz ernst gemeint und haben eine freie Form, die sich nicht auf eine bestimmte Tradition bezieht. Ein weiterer Hinweis darauf, dass Dohnányi hier noch nicht mit den Großen seiner Zunft, etwa Brahms oder Beethoven, verglichen werden will. Befreit von diesem Anspruch lässt es sich aber gleich viel frecher musizieren: So kommt bei 0:07 (und dann nochmal bei 0:12 und 0:20) in der Querflöte die “Flatterzunge” zum Einsatz. Dabei erzeugt man ein rollendes R mit der Zunge, während man in das Instrument bläst. Der erste Satz endet, bei 2:18, ebenfalls mit der Flatterzunge. Hört ihn euch an:

https://www.youtube.com/watch?v=h2K6F3shox4&list=OLAK5uy_m4K3aVbxACtJlQKKee_buLW8ozUYdfa44 (Opens in a new window)

2. Satz (Rapsodia):

Der 2. Satz ist Rapsodia (“Rhapsodie”) überschrieben, was wie auch Capriccio auf eine freie Form verweist. Das Wort rhapsodisch wird manchmal abschätzig verwendet, um Stückwerk zu beschreiben; etwas, das sich nicht zu einem großen Ganzen fügt. Hier fügt sich aber alles ganz wunderbar zu einem kurzen, melancholischen Satz zusammen. Das Englisch Horn intoniert zu Beginn ein schwelgerisches Motiv, das nur aus drei verschiedenen Tönen besteht und unmittelbar danach wiederholt wird. (Das Englisch Horn sieht übrigens überhaupt nicht aus wie ein Horn und ist auch gar kein Blech-, sondern ein Holzblasinstrument. Es ähnelt eher einer Oboe, erzeugt aber einen wärmeren, dezenteren Klang. Es ist ein ganz fantastisches Instrument und nicht grundlos Dohnányis Lieblings-Melodieinstrument.) Bei 0:21 übernimmt die Klarinette, nur um dann sofort wieder (bei 0:30) ans Englisch Horn zurückzugeben, das das Motiv nochmal wiederholt, zart begleitet von der Harfe. Bei 0:41 ist wieder die Klarinette an der Reihe, dann wieder das Englisch Horn. Ab 1:40 spielen Bassklarinette (sie ist eine Oktave tiefer gestimmt als die Klarinette) und Englisch Horn das Motiv gemeinsam. Zusammen steigert sich der Ausdruck ab 1:50 bis dann bei 2:16 der Höhepunkt mit vollem Streichereinsatz erreicht wird. Bei 2:38 hören wir, leicht verzögert, eine neue Harmonie – ein möglicher Ausweg aus der melancholischen Stimmung. Dann folgen noch ein paar Wiederholungen des bekannten Motivs und der Satz endet.

https://www.youtube.com/watch?v=444-wXGi_GU&list=OLAK5uy_m4K3aVbxACtJlQKKee_buLW8ozUYdfa44&index=2 (Opens in a new window)

3. Satz (Scherzo)

Nach dem elegischen zweiten folgt ein rumpeliger, wiederum nicht ganz ernst gemeinter, dritter Satz, ein Scherzo. Er beginnt mit aufgeblasenen Blechbläsern, aber irgendetwas stimmt nicht. Das Bemerkenswerte dieses Satzes erschließt sich, wenn man versucht, mitzuzählen. Dohnányi wechselt hier ständig die Metren und die Triangel klingelt dazu. Nach nur etwas über anderthalb Minuten ist die Nummer vorbei:

https://www.youtube.com/watch?v=GnWkcAQ0LCg&list=OLAK5uy_m4K3aVbxACtJlQKKee_buLW8ozUYdfa44&index=3 (Opens in a new window)

4. Satz (Thema mit Variationen)

Den vierten Satz darf wieder das Englisch Horn einleiten. Es spielt ein Thema, nur begleitet von der Harfe (von 0:00 bis 0:34). Der Rest des Satzes sind Variationen über dieses Thema. Verschiedene Instrumentengruppen tragen ihre Interpretationen des Themas vor. Die erste Variation beginnt bei 0:34 mit Fagott und Klarinette, bei 1:05 folgt die zweite mit Blechbläsern und Streichern, bei 1:25 die dritte mit einigen wenigen Geigen und Harfe, bei 1:48 die vierte mit Blechbläsern und Streichern und bei 2:05 die fünfte mit Klarinetten und Streichern. Für die sechste (wenn ich mich nicht verzählt habe) und letzte Variation (ab 3:00) hat sich Dohnányi etwas Besonderes einfallen lassen. Zum Englisch Horn gesellt sich die Celesta (ab 3:08).

Dieses Instrument, das ein bisschen wie ein Klavier aussieht, hört man selten und wenn überhaupt, dann nur in der Musik der Romantik oder später.

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