100 Ausgaben FUZE - HEAVEN SHALL BURN (FUZE.08)
Im Juli feiert "Iconoclast" von HEAVEN SHALL BURN seinen 15ten Geburtstag - damals war die Band mit dem Album auf dem Cover der achten Ausgabe des FUZE - und auch nicht zum letzten Mal. Allerdings sollte es bis Ausgabe 81 dauern, bis sie wieder auf unserer Titelseite landeten. Schon damals konnte man mit der Band über Politik und gesellschaftliche Themen genauso gut reden wie über Musik, wie dieses Interview, welches der damalige Chefredakteur Thomas Renz mit HEAVEN SHALL BURN geführt hat.
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Dennis
WORTE WIE ARSENDOSEN. Selbstverständlich könnte man mit Maik Weichert auch ausschließlich über Musik reden. Sehr gut sogar. Schließlich spielt der Dreißigjährige seit über zehn Jahren Gitarre bei HEAVEN SHALL BURN. Allerdings wäre das ein bisschen so, als würde man einen Schriftsteller nur nach dem Papier befragen, auf das sein neuester Roman gedruckt wurde. Denn genauso wie ein Buch das Wort braucht, benötigt ein Lied von HEAVEN SHALL BURN den Text. „Das eine geht nicht ohne das andere“, nickt Maik Weichert. „Unsere Band ist ein Medium für eine politische Meinung. Andere schreiben Zeitungsartikel oder veröffentlichen Bücher, wir machen eben Musik.“
Viele deiner Texte beschäftigen sich mit der NS-Zeit, auf eurem neuen Album setzt du dich unter anderem mit dem Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 auseinander. Woher kommt die Faszination für dieses Thema?
Diese Zeit ist wie eine Lupe, unter der man ein ganzes Jahrhundert betrachten kann. In diesen eineinhalb Jahrzehnten wirkten noch die Entwicklung der Weimarer Republik, des Ersten Weltkriegs und sogar der wilhelminischen Zeit, und die damaligen Geschehnisse prägen unser Leben bis heute. Außerdem ist über dieses Thema am meisten Literatur erschienen, was es einfacher macht, darüber zu forschen.
Auffällig ist, dass du in deinen Texten geschichtliche Ereignisse meist anhand des Schicksals einzelner Personen beschreibst.
Stimmt. Diese Vorgehensweise ist ja auch in der Geschichtswissenschaft relativ gebräuchlich. Ich lese eben lieber eine Biografie als ein trockenes Geschichtsbuch. Außerdem erleichtert die Darstellung der subjektiven Dimension die Erfassung der Gesamtsituation. Es ist einfach unmöglich, eine komplette Epoche in einem Songtext abzubilden, weil es immer so viele Facetten gibt, die man gar nicht erfassen kann, wenn man sie wirklich objektiv rüberbringen will.
Und nur so kann wahrscheinlich das Unbegreifliche ein wenig greifbar gemacht werden. Im Vorfeld dieses Interviews habe ich mich zum Beispiel auch mit Simon Wiesenthal beschäftigt, über den du den Song „Against all lies“ geschrieben hast. Als ich gelesen habe, dass er und seine Frau durch den Holocaust insgesamt 89 Verwandte verloren haben und er seiner kleinen Tochter eines Tages erklären musste, warum alle anderen in ihrer Klasse eine Oma und einen Opa, einen Onkel und eine Tante haben, musste ich ganz schön schlucken.
Das sind die Momente, in denen man beginnt nachzudenken und sich alles viel besser vorstellen kann. Und das erlebt man eher, wenn man den Mikrobereich untersucht, anstatt nur das große Ganze zu betrachten. Lediglich „Fuck the system!“ zu schreien, fand ich schon immer ein bisschen billig.
Und indem man Geschichte personalisiert, verhindert man natürlich auch, dass sie zu eindimensional dargestellt wird. Jedes Leben, jede Biografie ist ja letztendlich voller Brüche und Ungereimtheiten. Stauffenberg, der das gescheiterte Attentat vom 20. Juli ausführte, gilt heute als Held, sympathisierte aber zunächst mit bestimmten Aspekten des Nationalsozialismus und war wohl nicht gerade das, was man einen Demokraten nennen würde.
Genau das regt mich an dieser ganzen Sache ja so auf. Keiner fragt so richtig danach, was geplant gewesen wäre, hätte das Attentat geklappt. Die Leute, die daran beteiligt waren, hatten ganz unterschiedliche Visionen, und es hätte durchaus in einer Militärdiktatur enden können. Es wäre auf jeden Fall keine demokratische Republik geworden. Hitler hatte ja nicht nur Gegner, die blitzsaubere Demokraten waren. Unter den Leuten, die ihn aus dem Weg räumen wollten, waren auch Kriegsverbrecher und Antisemiten. Man kann das Richtige auch aus vollkommen falschen Motiven tun, doch das kommt mir in der Diskussion immer noch ein bisschen zu kurz. Es gab sicherlich auch integre Leute, die an diesem Attentat beteiligt waren. Aber ich würde niemanden als Held feiern, der für ein konservatives und militaristisches Deutschland steht. So beeindruckend einzelne Persönlichkeiten auch gewesen sein mögen, man muss das alles mit einem gehörigen Abstand betrachten.
Hast du manchmal Angst davor, dass deine Aussagen missverstanden werden?
Natürlich. Aber das ist ja kein Grund, nicht das zu sagen, was man für richtig hält und mit guten Argumenten belegen kann. Es gibt immer Leute, die die Wahrheit nicht hören und lieber eine Hexenjagd veranstalten wollen. Doch davon darf man sich nicht aufhalten lassen. Ich denke, wir sind mittlerweile in einer so integren Position, dass wir es uns erlauben können, auch mal unpopuläre Themen anzufassen. Es geht mir ja nicht darum, eine Widerstandsgruppe wie die Weiße Rose zu kritisieren, mich regt es auf, dass die Militärclique vom 20. Juli unreflektiert auf einen Heldensockel gehoben wird. Dass einer wie Tom Cruise einen Preis für Mut verliehen bekommt, weil er den Stauffenberg spielt, ist etwas, das sich kein Kabarettist hätte ausdenken können. Dass jemand, der einer totalitären Vereinigung wie Scientology angehört, den Freiheitshelden gibt, ist Zynismus auf höchstem Niveau.
Ich habe vorhin Simon Wiesenthal erwähnt, einen österreichischen Juden, der sich nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Mauthausen der „Suche nach Gerechtigkeit für Millionen unschuldig Ermord ter“ verschrieben hat. Er wurde deshalb als „Nazi-Jäger“ bekannt, obwohl er diesen Ausdruck wohl nicht gerne gehört hat. Ein Leitspruch seiner Arbeit war jedenfalls: „Aufklärung ist Abwehr.“ Würdest du dieses Motto auch als passend in Bezug auf HEAVEN SHALL BURN bezeichnen? Immerhin lautet eine Zeile auf eurer neuen Platte: „Education is prevention / This is our struggle, this is our strife“.
Das finde ich einen sehr guten Leitspruch. Man muss sich ja auch einmal vergegenwärtigen, was dieser Mann durchgemacht hat. Das natürlichste aller Gefühle wäre eigentlich Rache gewesen, also der „Nazi-Jäger“ zu sein, der er nicht sein wollte. Stattdessen Aufklärung und Vermittlung zu betreiben und dann sogar von einer Kollektivschuldthese Abstand zu nehmen, das ist wahre Größe und absolut beeindruckend. Simon Wiesenthal ist jemand, den ich gerne kennen gelernt hätte.
Aufklärung ist also etwas, das auch HEAVEN SHALL BURN antreibt?
Sicherlich, nur ist die Intention nicht ganz die gleiche. Wiesenthal wollte ja wirklich aufklärerisch tätig sein, während wir eher einen Denkanstoß geben wollen. Wenn sich jemand über den Mann informiert und sein eigenes Urteil bildet, dann reicht uns das.
https://youtu.be/TTkZt8r2lko (Opens in a new window)Hast du denn den Eindruck, dass du mit deinen Texten so etwas bei den Leuten bewirken kannst?
Was heißt „bewirken“? Ich bin nicht so verblendet wie Bono von U2, stelle mich irgendwo hin, komme mir wie ein Politiker vor und bilde mir dann ein, Millionen von Hausfrauen zum Besseren bekehrt zu haben. Das nicht. Aber wir bekommen schon jede Menge Feedback von Leuten, denen wir einen Denkanstoß gegeben haben und die mit uns diskutieren wollen. Von Lehrern, die unsere Texte im Unterricht einsetzen. Oder von Schülern, die ein Referat über ein bestimmtes Thema halten und dabei auch unsere Musik benutzen. Es melden sich viel mehr Leute, als ich am Anfang gedacht habe.
Dazu passt vielleicht ein Satz von Victor Klemperer, um den es bei „The bombs of my saviours“ geht und der als zum Protestantismus konvertierter Jude die Bombardierung Dresdens sowohl als Befreiung als auch Vernichtung seiner Heimat erlebt hat: „Worte können sein wie winzige Arsendosen: Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“ Zwar bezieht sich dieses Zitat auf die Auswirkungen der Sprache der Nazis auf das Denken der deutschen Bevölkerung, man könnte damit aber doch auch beschreiben, wie der Hörer Teile eurer Texte verinnerlicht, ohne dass ihm dies vielleicht richtig bewusst wird.
Natürlich. Gerade, wenn man bestimmte Wortgruppen so parolenhaft herausstellt, wie wir das tun. Worte können tatsächlich wie Arsendosen sein. Dieses Zitat zeigt natürlich auch Klemperers Hintergrund als Sprachwissenschaftler. Die Nazis wussten sehr genau, welche Wirkung Sprache hat. Sie haben mit Sprache agitiert, aber auch verharmlost. Es gibt heute noch Überlebende des Holocaust, denen das Blut in den Adern gefriert, nur weil sie bestimmte Worte hören, die eigentlich völlig harmlos sind.
Die Rechten setzen Sprache ja bis heute auf ganz widerliche Art und Weise ein. Wenn zum Beispiel der Völkermord an den Juden verharmlost wird, indem von der Bombardierung Dresdens als „Bombenholocaust“ gesprochen wird.
Dieses Wort ist wirklichen dermaßen fehl am Platz. Mittlerweile ist die Bombardierung Dresdens ein historisches Ereignis, zu dem immer weniger Leute eine direkte Verbindung haben. Leute wie du und ich, wir kennen das ja nur noch von irgendwelchen Fotos. Umso leichter wird es natürlich, die Sache zu relativieren. Aber ich sage immer: „Jemand, der beim NSDAP-Parteitag den Arm gehoben hat, darf sich nicht beschweren, wenn ihm das Haus zerbombt wird.“ Ich würde allerdings nicht so weit gehen, etwas so Schwachsinniges zu behaupten wie: „Täter können keine Opfer sein.“ Das ist – juristisch gesehen – totaler Quark. Oder zumindest fast, denn es gibt ein paar Tatbestände, bei denen das der Fall ist. Doch das würde jetzt zu weit führen ... Deutschland hat einen Krieg entfesselt, bei dem es keine Gesetze gab, und deshalb ist das Leid auch zu tragen gewesen – so groß es auch war. Ein Staat haftet da sozusagen immer gesamtschuldnerisch.
Ich habe gelesen, dass ihr die Kampagne „Metalfans gegen Nazis“ unterstützt. Stellst du denn auf Konzerten fest, dass Rechtsradikalismus zunehmend ein Problem in der Metal- und Hardcore-Szene wird?
Ja. Wenn ich zum Beispiel auf einer Gegendemonstration bin, sehe ich Faschos, die T- Shirts von BOYSETSFIRE oder AFI anhaben. Und gerade bei New-York-Hardcore-Konzerten in Ostdeutschland sind viele Idioten unterwegs, das kann man nicht abstreiten. Je größer und populärer eine Band ist, umso mehr Rechte mischen sich unter die Leute. Aber in der Club-Szene ist das eigentlich noch kein vordringliches Problem. Wenn da mal jemand mit einem entsprechenden T-Shirt auftaucht, reguliert sich das eigentlich von selbst. Es ist gut, dass die Leute für dieses Thema sensibilisiert sind. Und vielleicht ist das ja ein Stück weit auch unser Verdienst.
Thomas Renz
Lest auch: Parkway Drive Interview (2010) (Opens in a new window)
https://steadyhq.com/de/fuzemagazine/posts/5eb14b79-a9ff-45b0-aad4-79afe1e976c6 (Opens in a new window)