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Das Grauen in Worte fassen

Günter Schwarberg hat den Kindern vom Bullenhuser Damm ein Denkmal gesetzt

Nicht nur die Schule am Bullenhuser Damm war in Hamburg ein Ort des Grauens, auch dieses Lagerhaus am Dessauer Ufer, das eine Außenstelle des KZs in Neuengamme war. (Foto: fbt)

Es waren 20 Kindern. Als sie starben, waren sie zwischen fünf und 12 Jahren alt. Polen, Holländer, Jugoslawen, Franzosen, Italiener. Jungs und Mädchen. Sie starben nicht einfach so, sondern wurden in der Schule am Bullenhuser Damm hingerichtet. Zusammen mit Häftlingen aus dem Konzentrationslager Neuengamme, die sie betreuten. Die Mädchen und Jungs bekamen eine Morphiumspritze und wurden, wenn sie noch „Lebenszeichen zeigten“ erhängt; ihre Kleider verbrannt. Günter Schwarberg, Journalist vom Hamburger Magazin Stern, hat vor Jahrzehnten dafür gesorgt, dass die Kinder nicht vergessen werden; er hat ihre Namen recherchiert, noch lebende Angehörige gesucht und beschrieben, wie sie nach Neuengamme kamen. Es war ein Weg von einer Hölle in die andere. Schwarbergs Buch „Der SS-Arzt und die Kinder – Bericht über den Mord vom Bullenhuser Damm“ zeichnet all das auf knapp 220 Seiten nach.

Die eine Hölle: Das Todeslager Auschwitz-Birkenau. Mit seinen Krematorien, mit dem Kinderlager, der brutalen Seuche Noma, die den Betroffenen das Gesicht zerfrisst. Auch die Cembalistin Zuzana Ružicková hat in ihren Lebenserinnerungen von ihrer Zeit in Auschwitz berichtet. Plötzlich, schreibt Schwarberg, hörte die Vergasungen auf, die Krematorien wurden abgebrochen, weil sich die sowjetischen Truppen näherten. Die Anlagen seien abtransportiert und für einen Wiederaufbau in einem anderen KZ auf deutschem Boden vorgesehen gewesen.

Was für die 20 Kinder nicht bedeutete, dass sie der Hölle entrinnen würden. Sie kamen ins KZ Neuengamme nach Hamburg. Dort missbrauchte sie ein Arzt, dessen medizinische Fähigkeiten Schwarberg als äußerst begrenzt beschreibt, für „Tuberkulose-Versuche“. Häftlingen wurde eine Lösung mit TBC-Bakterien über einen Schlauch gewaltsam in die Lunge eingeführt, unter die Haut gespritzt oder tuberkulöser Auswurf in angeritzte Hautstellen gerieben.  Wie viele Kinder einen Schlauch in die Lunge bekamen, lässt sich nicht genau feststellen, allen wurden die Bakterien unter die Haut gerieben. Sie wurden krank, die völlige Nutzlosigkeit der Experimente war selbst dem SS-Arzt Heißmeyer klar.

Als der Krieg kurz vor seinem Ende war, schaffte man die Kinder in die ehemalige Schule am Bullenhuser Damm und errmorderte sie.

Schwarbergs Schilderungen, die auch die – teilweise durchaus empörende – juristische Aufarbeitung in der Nachkriegszeit umfassen sind unendlich wichtig. Und sie lassen sich nicht mit der Bemerkung abtun, solche Bücher gebe es viele. Der Leser fragt sich vielmehr,  wie unendlich das Grauen dieser 12 Jahre war, das die Deutschen zuließen. Nicht nur die entsetzliche „Logik“ der Gewalt muss einen sprachlos machen; auch die Ignoranz, die Leute in Schleswig-Holstein die Türen zuschlagen ließ, als sich KZ-Häftlinge aus dem Wasser gerettet hatten, wo sie eigentlich sterben sollten. „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein“ – der widerwärtige Satz von Hans Filbinger, der einmal Ministerpräsident in Stuttgart, aber eben auch Marinerichter in der Nazizeit war, kommt auch bei Schwarberg vor, wenn er zeigt, wie sich die Täter darauf berufen wollten, nur auf Befehl gehandelt zu haben. Günter Schwarbergs Buch ist noch heute zu haben. (fbt)

Günter Schwarberg, Der SS-Arzt und die Kinder, Bericht über den Mord vom Bullenhuser Damm,  ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3869308371

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