Passer au contenu principal

»Ich bin 1000 und 1 Tier«

Jana Osterhus wurde im Sommer 1981 in Hamburg geboren. Jana ist bildende Künstlerin und Freundin. Ich habe sie 2016 kennengelernt, als ich auf Facebook einer Einladung zu ihrer Ausstellung gefolgt bin. Da stellten wir fest, dass ich sie schon früher in ihrem damaligen Atelier am Venusberg im Vorbeigehen bei der Arbeit beobachtet habe. Das Bild vom Michel, das da in ihrem Schaufenster hing, schmückt jetzt mein Wohnzimmer.

Michaeliskirche © Jana Osterhus in meinem Wohnzimmer. Das Bild habe ich mir gemietet. Eine fabelhafte Idee, wenn man nicht so viel Geld hat, um das gleich zu kaufen. Natürlich gehört ganz viel Vertrauen dazu, aber ich glaube, ich würde es auch mit meinen Bildern gern mal ausprobieren …

Jana sehe ich mittlerweile mindestens ein Mal im Monat. Wir tauschen uns aus, über die Welt und die Menschen, helfen uns gegenseitig, rauchen und trinken Kaffee. Mit Jana habe ich schon sehr viele Gespräche über Kunst geführt. Deswegen ist sie meine allererste Interviewpartnerin. 

Wir treffen uns meist bei ihr oder bei mir. Im Sommer auch ganz oft draussen. Ihre kleine Wohnung in der Neustadt fast auf der Grenze zu St.Pauli ist sehr grün. Überall hängen Bilder und Pflanzen. Eine Märchenwelt, voller Geschichten und merkwürdeger Gegenstände. Mittlerweile hängen dort auch einige von meinen Zeichnungen an ihren Wänden. Wir sitzen gern auf meinem oder ihrem Balkon, wenn es nicht zu kalt ist.

Für dieses Interview habe ich mich mit Jana bei ihr zuhause getroffen. Das beklemmte, ungewohnte Gefühl, unser Gespräch für die Öffentlichkeit zu führen ist bis Heute nicht weg. Aber wir sind uns beide einig, dass wir es teilen wollen. Weil wir es können. Weil das Thema spannend ist und wir etwas zu sagen haben. 

Über ihre künstlerische Arbeit sagt Jana Folgendes:

„Die Schönheit, die wir in dieser Welt immer wieder erleben dürfen, erfährt erhebliche Brüche aufgrund der Lebensumstände, denen wir durch Gedankenlosigkeit und Gier ausgesetzt sind. Im Fokus vieler meiner Arbeiten steht das Individuum, das sich, voller Sehnsucht nach dem Ideal, mit den Herausforderungen menschengeschaffener Wirklichkeit konfrontiert sieht. Ganz gleich, ob Mensch oder Tier.“

Wir sitzen in ihrem grünen Wohnzimmer und trinken Tee. Es ist Anfang März – viel zu kalt für den Balkon. Ich schalte die Aufnahmeapp ein und wir fangen zaghaft an zu reden. Gleich am Anfang stelle ich fest, dass ich ein völlig falsches Bild von ihrer Geschichte habe. Witzig, was für Fragen man stellt, wenn man so ganz offiziell ein Interview führt, das später veröffentlicht werden soll. Wir lachen ganz viel. Wir merken schnell, dass wir sonst eher anders über diese Themen reden und Vieles als selbstverständlich betrachten. Aber auch, dass wir uns nicht ganz trauen, 100-prozentig ehrlich zu sein. Die eigene Verletzlichkeit lässt es nicht zu, alles auf den Tisch zu legen.

Der ganze Prozess mit Abtippen von den Tonaufnahmen, über das Reduzieren des Materials und die Auswahl der Themen und Bilder hat zwei Monate gedauert. Am Ende sind wir beide erstaunt, wie gut es geworden ist.

Auf die erste Frage, wie sie sich selbst in der Welt und im Leben sieht, hat mir Jana diese, wie ich finde, geniale Antwort gegeben:

„Ich bin 1000 und 1 Tier. Mindestens. Ich bin all die Kreaturen, die keine Lobby haben, oder eine, die nicht stark genug ist. Ich bin mit meinen mickrigen Möglichkeiten eine Bildstimme. Und immer irgendwie dazwischen. Wie das Unkraut, das da aus dem Asphalt hoch kommt. Eigentlich hat es keinen gut vorbereiteten Lebensraum, aber es wächst und lebt trotzdem … Und blüht! Es macht’s einfach, verdammt! Und man kann es essen.“

Jana, wie gehst du denn mit Wut um?

Jana: (selig) Ich liebe Wut! Wut ist mein Freund! Ich bin ganz oft wütend. Ich finde auch, dass diese Welt genug Anlass dazu bietet. Und Wut ist in sofern toll, dass sie eine Energiequelle ist. Wut gibt Kraft und befähigt mich, Hindernisse und Missstände zu überwinden. Damit umzugehen. Und wenn ich es schaffe, diese Wut in Bahnen zu lenken, in denen ich nichts kaputt mache, sondern sie einfach rein als Antriebskraft, als Sprit nutze, dann ist sie was ganz Wunderbares. Ich finde, es gibt so oft Kontexte oder Erlebnisse, da will man sich einfach verstecken … Das einzige was hilft, trotzdem weiter zu machen, ist manchmal Wut. Und deswegen finde ich – Wut ist unser Freund. (darüber müssen wir beide lachen)

Packst du die Wut manchmal in deine Bilder rein, oder kommt sie darin vor?

Jana: Weiß ich nicht … wenn, dann unbewusst. Das ist so, dass ich Wut nicht illustrieren möchte. Erinnerst du dich an die Herbstzeitlose? Das Foto ist von mir gewesen, das ich übermalt habe mit der Herbstzeitlosen und Matrosensilhuetten – ist schon ein paar Jahre her – da habe ich nämlich gedacht – es war ganz spannend – ok, geile Fotos, die möchte ich malerisch überarbeiten. Und ich war so wütend auf die Kunstszene, weil da ja sehr oft sehr roh gearbeitet wird. Und viele Werke in der emotionalen Illustration von Missständen stecken bleiben. Ich habe mir gedacht "Das kann ich auch!" und dann habe ich schön was dahin gerotzt und fand das ganz prima, ich war schrecklich stolz. (lacht) Dann kam Helmut (Fuchs Bardun, der überhaupt erst möglich macht, dass Janas Bilder in der Welt zu sehen sind), guckt das Bild an, guckt mich an und sagt „Das kannst du aber besser!“  – da war ich dann wieder wütend. Und aus dieser Wut heraus habe ich mich wieder hin gesetzt und habe was anderes und besseres damit gemacht. Ich hatte aber nicht den Eindruck, ich arbeite da jetzt meine Wut rein, ich hab einfach mal die Wut benutzt, um was Gutes damit zu machen. Als Schwung. 

Herbstzeitlose © Jana Osterhus. Das Original kann man noch bis 15. Mai 2022  auf der Cap San Diego sehen

Du übermalst ganz oft deine Bilder, die meisten sind auf anderen Bildern entstanden.

Jana: Das stimmt. Recycling. 

Recycling – ist das der Grund, oder ist es deine Art zu arbeiten. Ist der Grund "Ich möchte nichts weg werfen", oder ein anderer?

Jana: Ich habe Spass daran, Sachen zu übermalen. Und ich hab auch schon öfter sehr gute Bilder neu gearbeitet. Ich weiß gar nicht genau, wie das entstanden ist. Auf jeden Fall ist es durchaus so: Wenn ich Bilder über viele Jahre habe, kann es passieren, dass sie weiter wachsen. Ich habe Spass mit abstrakten Bildphänomenen zu spielen, aber eben auch mit figürlichen. Es ist ein Bisschen so wie unser Gehirn funktioniert. Und zwar machen wir ja Erfahrungen. Und diese Erfahrungen machen Bilder. Diese Bilder gehen nie nie nie wieder weg. Die bleiben immer. Wir machen aber neue Erfahrungen und diese neuen Erfahrungen machen andere Bilder und legen sich über die, die vorher schon da waren und alles zusammen ergibt dann ein ganz neues Gesamtbild. Das changiert, das passiert ständig und immer wieder. Eigentlich sind Bilder ewige Prozesse. Das spiegelt sich vielleicht in dieser Arbeitsweise wieder. Ausserdem ist Recycling ein ganz guter Nebeneffekt. (lacht)

Ich habe echt Probleme mit einem leeren Blatt Papier oder einer Leeren Leinwand, aber wenn da schon etwas drauf ist, macht es mir mehr Freude. Ist es bei dir auch so?

Jana: Muss ich echt drüber nachdenken, weiß ich nicht. (trinkt einen Schluck Tee) Ich glaube nicht, ich mag das total gerne, dieses unendliche Potential einer leeren Leinwand. Das liebe ich! Weil da ja alles drin ist. Und das finde ich total schön, da was entstehen zu lassen. Ich finde leeren Grund total geil. Ich habe ja Glück gehabt mit Yasser, meinem ersten Kunstlehrer. Der hat immer gepredigt, mach nur das, was das Bild braucht. Und natürlich braucht man eine Idee und eine Vorstellung am Anfang und irgendwas, was man will, sonst fängt man nicht an. Er hat mir beigebracht, ganz schnell los zu lassen und in Dialog zu gehen, zwischen dem, was da entsteht und dem, was bei mir abläuft. Um zum Erfüllungsgehilfen zu werden, von dem, was selbst sein will. Ich bin eigentlich nur der Diener des Bildes und mach das, was das Bild braucht und will. Und dann kommt am Ende öfter was raus, was anders ist, als meine ursprüngliche Vorstellung, aber total gut. Also wirklich richtig gut. Ein Paar Mal im Leben habe ich an meiner Vorstellung fest gehangen, hab gedacht „Nein, ich will aber jetzt genau das!“ und dann habe ich das arme Bild gezwungen – oh ganz schrecklich – und wenn ich versucht habe, das Bild zu zwingen, dann ist es am Ende auch Mist geworden. Ich bin unzufrieden mit Bildern, in denen ich nicht los lasse und im Dialog sein kann, da kommt nur Murks raus.

Was hältst du davon, digitale Kunst zu erschaffen?

Jana: Ich glaub, dafür bin ich zu altmodisch. Ich schaffe es ja nicht mal regelmäßig meine E-Mails zu checken. Ich hab eine so dermaßen große Zurückhaltung im Umgang mit Medien, die mich meiner umfassenden Sinnlichkeit berauben. Ich brauche was, was ich anfassen kann. Ich brauche meine eigene Hand, die was hält, die etwas berührt, die etwas macht. Ich habe ja auch gern plastisch gearbeitet. Mit Ton und mit Stein und mit Holz. Es war manchmal super subtil, aber die Dinge, die haben einen Geruch, die haben Haptik, die haben sogar einen Geschmak. Allein der Geruch von Farbe …

… aber es ist auch Gift!

Jana: (lacht) Vielleicht bin ich einfach süchtig nach Gift! Nein, ich hoffe, nicht. Aber das ist diese umfassende Sinnlichkeit, die in so einem Prozess steckt, selbst wenn es nachher nur ein zweidimensionales Bild ist in Anführungszeichen. Und auch noch ein statisches, das sich nicht bewegen kann, so wie Film. Ich brauche diese totale Sinnlichkeit. Dann kann ich gut funktionieren. 

Was glaubst du, was der Wert der Kunst für die Welt ist? Warum ist sie wertvoll, oder was wünschst du dir, wie Menschen mit Kunst … ja, was bringt es … Warum ist es ein Bedürfnis, Kunst zu machen?

Jana: Du kannst aber schwierige, pathetische Fragen stellen. (lacht) 

(muss lachen) Tut mir leid! Es geht nicht darum, wie du Kunst siehst – das ist dein Bedürfnis, das ist deine Art, zu sprechen, zu kommunizieren – aber wie wünschst du dir, wie Menschen, die keine Kunst machen, was soll das denen bringen?

Jana: Eigentlich wie Essen. 

Ein Grundbedürfnis?

Jana: Kunst IST, glaube ich, ein Grundbedürfnis. Nur auf einer anderen Ebene. Wenn wir jetzt von der schönen Dualität Körper und Geist ausgehen, dann brauchen wir ja Nahrung auf allen Ebenen. Und Kunst – und ich meine jetzt an der Stelle nicht nur die bildende Kunst, sondern auch Musik oder Schauspiel, … diese ganzen Formen von Kunst, die ernähren Geist. Da kann man auch wie bei Essen differenzieren. Es gibt Hausmannskost, es gibt richtig exquisite Fünf-Sterne-Küche, es gibt Fastfood und es gibt Chips. Und es gibt irgend so ein Zeug, wenn man den Herstellungsprozess wüsste, dann würde man nicht mehr essen, auch wenn man dann verhungern würde. 

Was ist mit Kulturen und verschiedenen Spezialitäten?

Jana: Man kann ja nur mit dem Material arbeiten, was man hat. Und in der Küche ja auch. Jetzt bei Bildern, zum Beispiel, muss man die Farben kochen. Nicht so roh verwenden. Roh schmeckt dem Auge nicht. Wenn Du ein Blau hast, dann würze es mit Grün, mit Gelb, mit Rot. Würzen heisst auch nicht unterrühren, weil dann kriegt man ein hübsches Grau – kann ja auch gewollt sein – aber wenn man ein Blau will, dann funktioniert es anders. Und es stimmt. Wenn es ein klein Bisschen gewürzt ist, dann bekommen diese Farben einen ganz anderen Geschmack. Und ich finde sie ernähren dann das Auge und die Seele auch anders als so eine rohe Farbe. Jetzt gibt es halt alle diese Spielarten und ganz egal, ob ich sie bewusst erkenne oder nicht, als Mensch reagiere ich ja auf alles, was ich zu mir nehme. Sei es physisch, sei es geistig. Ich finde es wichtig, dass man sich da mit guter Nahrung versorgt. Der Wert von Kunst ist so ähnlich, wie der Wert von Essen. Wenn ich kein Brot habe, dann verhungere ich und sterbe. Wenn ich keine Kunst habe – überhaupt gar nichts …

… geht das?

Jana: Vielleicht. Was passiert dann mit uns im Geist? Dann sind wir völlig roh und kaputt wahrscheinlich.

Mir fällt dazu ein, dass das ganz stark an die Freiheit geknüpft ist. Wenn dir diktiert wird, wie die Kunst zu sein hat – das ist der Tod für die Kunst.

Jana: Weiß ich nicht, ich glaube, dass sie immer einen Weg findet. Selbstverständlich ist Brot vielleicht ein kleines Bisschen wichtiger, wenn ich keinen Körper mehr habe, der den Geist hält, dann bin ich auch kein Aufnahmemedium mehr.

Meinst du, der Mensch stirbt, wenn es keine Kunst mehr gibt?

Jana: Das ist halt die Frage. Ich sterbe nicht, aber vielleicht bin ich dann kein Mensch mehr. Vielleicht bin ich irgend eine brutale Maschine, die mitleidlos irgendwie weiter existiert. Das ist eben auch wieder so ein Fantasieszenario – physisch durchaus existent, aber was bin ich dann? Auch Literatur oder Film – es ist alles Kunst. Was bin ich, wenn das weg ist? Architektur oder auch Religion. Sie leben durch Kunst ja ganz viel. Das ist das Medium, das alles mögliche über Jahrhunderte getragen hat. Ich habe eine Weile viel gelesen zu „Was passiert im Gehirn, wenn man Kunst macht“ – das war eigentlich meine Ausgangsfrage. Hab dann ein Paar schöne englischsprachige Hirnforschungsbücher gefunden, die ich alle nur halb verstanden habe. (lacht) Eins davon betrachtet die Evolution der Kunst. Die ersten Nachweise des künstlerischen Schaffens des Menschen. Dieser charmante Autor (holt ein Buch vom Regal) hat die These vertreten, Kunst ist ein Abfallprodukt der Evolution. Sie entsteht genau in dem Augenblick, in dem Kapazitäten übrig sind. Und wenn sie überhaupt eine Funktion hat, dann so ähnlich wie Balzgefieder der Vögel – "Guck mal, meine Gruppe kann so gut überleben, dass sie sich sogar einen leisten kann, der vielleicht nur Flöte spielt und Farbe an die Höhlenwände macht!" Auch das ist eine Option. Will ich nicht ausschließen.

Das ist ein spannendes Gespräch geworden und sehr inspirierende Gedanken!

Jana: Ich wusste gar nicht, dass ich die hab. (lacht)

Ich mach aus! Ok?

"Das Geheimnis ist nicht im Gezeigten, sondern dazwischen". Ein Bild von unserem ersten Interviewversuch in 2021. Da habe ich probiert, das Gespräch zu zeichnen.

Die Kunst von Jana Osterhus kannst Du momentan noch bis zum 15. Mai 2022 auf dem Museumsschiff Cap San Diego betrachten

Es ist eine eigentümliche Atmosphäre dort unten in der Luke 2. Janas letzte Serie besteht aus 1000 und 1 Tierpotraits, die sie vielfältig und meisterhaft in den letzten zwei Jahren auf die Leinwände gebracht hat. Bring Dir Zeit mit, denn es gibt viele Hintergrundinfos zu ihrer Kunst zu lesen und eine Karteikarte mit kleinen Geschichten über die Tierarten, die Jana gemalt hat. Ausserdem kannst Du viel über das Schiff selbst erfahren und Dir an Deck den Wind durch den Kopf wehen lassen ;)

Tschüss und bis nächste Woche

Julia Zeichenkind

0 commentaire

Vous voulez être le·la premier·ère à écrire un commentaire ?
Devenez membre de zeichenkind-reportage et lancez la conversation.
Adhérer