Wie berechnet man ein Delta?
21. Juli 2023
Liebe Lesende,
werden demnächst Turnhallen für die Unterbringung von Geflüchteten gebraucht? Diese Frage treibt die AfD im Landkreis um. Um es vorweg zu nehmen: Davon geht die Kreisverwaltung zurzeit nicht aus. Im jüngsten Kreistag rechnete Sozialdezernent Stefan Wichary vor, warum nicht. Das hielt Jan Schenk, Kreistagsabgeordneter der AfD, nicht davon ab, weiter von einem Delta zu sprechen, also einer Differenz zwischen zur Verfügung stehenden Unterkünften und erwarteten Geflüchteten. Wohnraum zu bauen, würde da Abhilfe schaffen, aber gegen eine neue Unterkunft in Lübben beispielsweise demonstriert die AfD wiederum - um weiter von einem Delta und mithin der Nutzung von Turnhallen für Notunterkünfte sprechen zu können...?
Auf einer Kundgebung der AfD am 6. Juli in Mittenwalde rechnete (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) Jan Schenk kürzlich vor, wo er das Delta sieht: "Wir werden dieses Jahr knapp 1.700 Migranten aufnehmen. 1.450 Plätze stehen zur Verfügung, davon sind 1.380 besetzt", rechnete er vor. Doch davon stimmt kaum eine Zahl. Mit Stand vom 30. Juni gab es im Landkreis eine Unterbringungskapazität von 2.255 Plätzen bei 1.656 Bewohnenden, wie Stefan Wichary im Kreistag mitteilte (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) (ab Stunde/Minute 1:23). Hinzu kommt im Sommer die Unterkunft in Pätz mit maximal 154 Plätzen und im Herbst in Lübben mit maximal 95 Plätzen. Vom diesjährigen vom Land festgelegten Aufnahmesoll (1.985 Personen) wurden im ersten Halbjahr 453 Personen in den Landkreis überwiesen. Rechnerisch bleiben 1.532 Personen, die bis Jahresende noch zugewiesen werden könnten.
Doch die Tatsache, dass das Aufnahmesoll - anteilig auf die Monate umgerechnet - vom Landkreis bislang nicht erfüllt werden musste, deutet darauf hin, dass insgesamt weniger Menschen kommen könnten als geplant. Zudem hat das Land Brandenburg zum 1. Juli hat die Verteilung von Geflüchteten auf die Kommunen umgestellt: Personen, die keine konkrete Aussicht auf ein Bleiberecht haben, werden laut einer Mitteilung (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) des Innenministeriums nicht mehr in die Kommunen weitergeleitet und stattdessen an den Standorten der Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht und versorgt. Eine Neuberechnung des Aufnahmesolls wurde den Landkreisen nach Informationen von Sozialdezernent Stefan Wichary in Aussicht gestellt, ist jedoch noch nicht erfolgt. Wie viele Menschen also dieses Jahr tatsächlich nach Dahme-Spreewald kommen, ist derzeit unklar. Die Kreisverwaltung geht deshalb weiter vom angekündigten Aufnahmesoll aus.
Verstärkt habe der Landkreis derweil die Unterstützung für Menschen mit Aufenthaltstitel, damit diese Gemeinschaftsunterkünfte verlassen und eigenen Wohnraum finden, teilt die Pressestelle mit. Denn für diese so genannten Rechtskreiswechsler (also jene Personen, für die sich mit Erhalt eines Aufenthaltstitels der ausländerrechtliche Status ändert) sind die Gemeinschaftsunterkünfte eigentlich nicht vorgesehen. Mit Stand vom 31. Mai leben 663 Rechtskreiswechsler, Spätaussiedler, Kontingentflüchtlinge und afghanische Ortskräfte in den Gemeinschaftsunterkünften. Gelingt der Umzug in eine Wohnung wegen des knappen Wohnraums im Landkreis zunächst nicht, duldet der Landkreis die vorläufige Unterbringung und erhebt dafür Nutzungsgebühren. Wie die Pressestelle weiter mitteilt, sind Bürgermeister und Amtsdirektoren aufgefordert, für den genannten Personenkreis Wohnungen zu finden. Damit soll erreicht werden, dass wieder mehr Platz in den Gemeinschaftsunterkünften besteht. Inzwischen signalisierten auch Arbeitgeber, sich um Wohnraum zu kümmern, so Stefan Wichary im Kreistag.
Jan Schenk behauptete während der Kundgebung indes, dass alle Personen, die jetzt in Heimen untergebracht seien, auf die Gemeinden im Landkreis verteilt werden sollen. Die Gemeinden seien dazu verpflichtet, Wohnraum bereitzustellen, "sodass die gesamten Wohnheime leergezogen werden". Das reiche aus seiner Sicht trotzdem nicht aus. Doch mitnichten ist davon die Rede, dass alle untergebrachten Personen die Gemeinschaftsunterkünfte verlassen sollen. Und auch ein kompletter Auszug aller Rechtskreiswechsler "erscheine trotz aller Bemühungen wenig realistisch", teilt der Landkreis mit. Vielmehr solle ein steter Auszug nach dem Rechtskreiswechsel angestrebt werden. Es ergibt sich also ein ständiges Kommen und Gehen, welches seit dem II. Quartal 2023 durch den Landkreis monatlich erfasst und gesondert betrachtet wird.
Kundgebung der AfD in Mittenwalde Anfang Juli. Foto: D. Ziemer
Überhaupt hätte höchstens ein Prozent der von der AfD so genannten Migranten einen Asylgrund, sagte Jan Schenk in Mittenwalde. Ein Blick auf die Zahlen des Landkreises (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) von Ende Mai zeigt jedoch: 58 Prozent der in Gemeinschaftsunterkünften untergebrachten Personen gehören zum Personenkreis nach Paragraf 4 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) Landesaufnahmegesetz, Sätze 3 bis 8, also Personen, die zunächst vorübergehend untergebracht werden, bis der ausländerrechtliche Status geklärt ist. Die übrigen 42 Prozent sind Rechtskreiswechsler, Spätaussiedler, Kontingentflüchtlinge und afghanische Ortskräfte, die einen Aufenthaltstitel besitzen und im Land bleiben können. Er hätte ja nichts dagegen, sagt Jan Schenk, wenn "Frauen, Alte, Kinder" kämen. "Es würde keiner was sagen, wenn wirklich Schutzbedürftige kommen. Aber hier kommen Okkupanten. Größtenteils Männer im wehrpflichtigen Alter", behauptete er.
Tatsächlich ist das Bild gemischt: In der neuen Unterkunft in Mittenwalde sind zuletzt 39 Frauen mit ihren Kindern, darunter vier minderjährige Jungen, untergebracht worden. Dem Landkreis sei es dort gelungen, Personen unterzubringen, die eine Bleibeperspektive haben und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen, sagte Stefan Wichary im Kreistag. "Nach den dem Landkreis verfügbaren Informationen wurden in der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Brandenburg im laufenden Jahr überwiegend alleinreisende Männer aufgenommen", teilt die Pressestelle weiter mit. "Es kann daher davon ausgegangen werden, dass auch bei den dem LDS zugewiesenen Personen der Anteil alleinreisender Männer steigen wird." Offen sei jedoch, wie sich die veränderte Aufnahmepraxis durch das Land, Menschen ohne Bleibeperspektive in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu halten, auswirken werde. "Insbesondere sollen Kinder und ihre Personensorgeberechtigten von diesem verlängerten Aufenthalt ausgenommen sein und weiterhin auf die Kommunen verteilt werden", so die Pressestelle.
Mit Stand vom 30. Juni sind laut der Mitteilung des Innenministeriums in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes 4.389 Plätze vorhanden, wovon 1.944 Plätze belegt seien. Die Landesregierung hat zudem einen Ausbau der Kapazitäten um bis zu 3.000 Plätze beschlossen, wovon derzeit 1.500 Plätze geschaffen würden. Seit Jahresbeginn wurde demnach mit Stand 30. Juni in der Erstaufnahme der Zugang von 5.735 Personen registriert. Das sind 2.244 Personen oder 64 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum, dabei sind Vertriebenen mit Ukrainebezug nicht eingerechnet.
Vom 1. Januar 2015 bis zum 30. Juni 2023 wurden dem Landkreis Dahme-Spreewald nach Informationen der Kreisverwaltung insgesamt 6.539 Personen zugewiesen, die nach Paragraf 4 Landesaufnahmegesetz Brandenburg, Sätze 3 bis 8 zugewiesen wurden und zumindest vorläufig untergebracht waren bzw. sind. Jan Schenk sprach indes von "16.000 Migranten im Landkreis", ohne zu spezifizieren, welche Personengruppen er meint. Er halte es auch für "nicht abwegig, dass Kinder im nächsten Winter draußen Sport machen müssen", weil Turnhallen zur Unterbringung benötigt würden.
Tatsächlich ist es im Landkreis "bislang zu keinem Zeitpunkt zur einer vorläufigen Unterbringung geflüchteter Menschen in Sporthallen gekommen", teilt die Pressestelle mit. Dies würde nur erforderlich, wenn innerhalb eines kurzes Zeitfensters eine große Zahl an Menschen unterzubringen wäre. "Eine Inbetriebnahme von Notunterkünften kann daher nicht ausgeschlossen werden, ist im laufenden Jahr 2023 angesichts der bisherigen, tatsächlichen Entwicklungen und der bereits umgesetzten oder noch anstehenden Kapazitätserweiterungen nicht wahrscheinlich", so die Kreisverwaltung.
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