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20 Lektionen gegen autoritäre Entwicklungen

Hallo,

jetzt ist es passiert:

“Wir sind zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei der Alternative für Deutschland um eine gesichert rechtsextremistische Bestrebung handelt. Dieser Befund fußt auf einer äußerst sorgfältigen gutachterlichen Prüfung, die einen Zeitraum von rund drei Jahren umfasst.” So werden Vizepräsident Sinan Selen und Vizepräsidentin Dr. Silke Willems vom Verfassungsschutz in einer Pressemitteilung zitiert (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).

Die AfD ist jetzt “gesichert rechtsextrem” - nicht mehr “in Teilen” und sie ist auch kein Verdachtsfall mehr. Maßgeblich für die Bewertung sei das “prägende ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis, das ganze Bevölkerungsgruppen in Deutschland abwertet und in ihrer Menschenwürde verletzt”. Zudem habe die AfD insgesamt eine “migranten- und muslimfeindlichen Haltung”. Diese und weitere Positionen sind nicht mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung vereinbar.

So weit, wenig Neues. Aber die Einstufung, die auf einem mehr als 1.100 Seiten-fassenden Gutachten fußen soll und die schon lange erwartet wurde, aber aufgrund des vorzeitigen Ampel-Aus verschoben werden musste, dürfte Folgen haben. Der Spiegel schreibt (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), dass jetzt die politische Debatte über ein mögliches Verbot der Partei an Fahrt aufnehmen dürfte - viele Parlamentarier:innen hatten eine Einstufung der AfD als “gesichert rechtsextrem” als Voraussetzung dafür gesehen.

Und dass die Partei auch zuletzt immer weiter nach rechts gerutscht ist, daraus hat sie keinen Hehl gemacht. Der Spiegel listet als Beispiele völkische Werbespots vor den ostdeutschen Landtagswahlen auf, eine neue AfD-Bundestagsfraktion, in der auch radikale Personen einfach durchgewunken wurden (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), eine AfD-Chefin Alice Weidel, die offen den rechtsextremen Kampfbegriff “Remigration” von Bühnen ruft und Geschichtsrevisionismus vor Millionen Menschen betreibt oder den Wahlslogan “Alice für Deutschland”, eine Anlehnung an die SA-Parole “Alles für Deutschland”.

Wenn du dich jetzt fragst, was du tun kannst, um die Demokratie zu schützen: Da haben wir heute genau das Richtige für dich. 20 Lektionen gegen autoritäre Entwicklungen. Sie stammen - wie letzte Woche angekündigt - vom US-Historiker Timothy Snyder.

Wir hüpfen auch gleich in den Text. Vorher noch eine kleine Informationsempfehlung. Die Personalie Wolfram Weimer, der sich im CDU-Kabinett um Kultur kümmern soll, wurde in den vergangenen Tagen besprochen. Damit ihr auch versteht, worum es dabei geht, teilen wir hier den Link zu einem Instagram-Reel von Autorin und Journalistin Gilda Sahebi (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), die das erklärt.

Bleib achtsam und alles Liebe!

🫶 PS: Wir sind auch auf Instagram - folg’ uns gern (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)!

Um was geht’s?

Wie vergangene Woche angekündigt, liefern wir dir diese Woche 20 Lektionen, wie man autoritären Entwicklungen am besten begegnet.

Obwohl der Historiker Timothy Snyder diese Lektionen schon vor vielen Jahren aufgeschrieben hat, wird Snyder gerade häufig dazu interviewt - wegen der Entwicklungen in den USA. Diese Woche sprach er beispielsweise mit der Süddeutschen Zeitung (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) (SZ).

Darin rückt er zunächst den Eindruck zurecht, dass er als Reaktion auf den autoritären Staatsumbau der Trump-Administration nach Kanada geflohen sei (auch wir haben die Erzählung so übernommen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)). Es wurde vielfach geschrieben, dass Snyder vor allem deshalb die USA - und seine Universität Yale - verlasse und künftig an der Universität Toronto forsche und dort lebe.

“Hunderprozentig fasch” nennt Snyder das. Die Gründe für den Umzug seien vor allem familiär: “Meine Frau und ich wurden schon vor fast zehn Jahren angeworben. Für Jobs, die wir vor drei Jahren angetreten haben. Im August vergangenen Jahres sind wir dann ganz nach Kanada übergesiedelt. Ich bin aber weiterhin an allen möglichen Orten aktiv, inklusive der USA.”

Snyders Frau, Marci Shore, ist ebenfalls Historikerin und lehrte an der Universität Yale. Sie geht in einem taz-Interview (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) auf die familiären Gründe ein und sagt, dass der Wahlsieg Trumps diese eher verstärkt als ausgelöst hätten: “Wir haben auch vor der Wahl schon Pläne gehabt, Yale zu verlassen. Ich wollte unsere Kinder aus den USA rausbringen, bevor sie in die Highschool kommen, die beiden sind jetzt zwölf und 14. Das Problem ist die Waffengewalt. […] Ich glaube, für Eu­ro­päer:in­nen ist schwer zu verstehen, wie normalisiert die Waffengewalt in den USA ist. Die Zahl der Waffen pro Kopf ist in den USA höher als irgendwo sonst auf der Welt. Sie liegt bei mehr als einer Waffe pro Person. Man spürt die Gewalt in der Luft. Deshalb habe ich nicht nur Angst um meine Kinder, sondern auch vor einem Bürgerkrieg.”

Es gibt noch eine zweite Klarstellung, die Snyder in dem SZ-Interview macht. Er antwortet dort auf die Frage, ob Trump ein Faschist sei oder nicht:

Es gibt […] nur eine richtige Antwort: Ja, er ist Faschist.” Snyder kenne keine vernünftige Definition von Faschismus, “die Trump ausschließen würde”.

Das begründet der Historiker so: Trump stelle Willen über Vernunft, arbeite “mit einer großen Lüge”, schwelge in Verschwörungsthorien, sei Gegner der Rechtsstaatlichkeit, des Staates und der Verfassungsmäßigkeit und “von der Idee des Ausnahmezustandes angetan”. Dass sich manche so lange gesträubt hätten, Trump als das zu bennen, lag Snyders Meinung nach daran, dass Faschismus ein Phänomen sei, das zum Handeln zwinge:

“Trump als Faschisten zu bezeichnen bedeutet, dass man hinausgehen und Koalitionen bilden und tatsächliche Organisationsarbeit leisten muss. Das ist der Antifaschismus.”

Und die Organisationsarbeit fordert Snyder nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland. Für ihn ist Deutschland gerade die “vielleicht wichtigste funktionierende Demokratie der Welt”. Er meint damit, dass Deutschland gemeinsam mit der EU sehr viel Macht habe, “um zum Beispiel dafür zu sorgen, dass sich die Lage in der Ukraine nicht verschlechtert, sondern verbessert”. Es gehe jetzt darum, Positivbeispiel dafür zu sein, “wie Rechtsstaatlichkeit funktionieren kann”. Deshalb sei dies “der Moment deutscher Handlungsfähigkeit”.

Snyder rät deshalb dazu, positive Botschaften gegen die autoritären Landgewinne zu setzen: “Rechtsstaatlichkeit und Demokratie machen ein besseres Leben möglich. Das sind die Dinge, die gesagt werden müssen.” Aktuell würden sich deshalb nicht nur Chancen für Leute ergeben, die die Demokratie abschaffen wollten, sondern auch für Leute, die ihr anhingen:

“Das ist eine Chance, die man jetzt nutzen muss. Das Schlimmste, was man tun kann, ist, abzuwarten und zu schauen, wie sich die Dinge entwickeln.”

Und an dieser Stelle leiten wir zu den 20 Lektionen über, mit denen Snyder sein Buch “Über Tyrannei” einleitet und die in den vergangenen Wochen und Monaten wieder sehr aktuell geworden sind. Im SZ-Interview sagt er dazu: “Es soll jedem, der versucht, sich zu wehren, als Leitfaden dienen.” Wir haben versucht, Snyders Lektionen nah am Original zu übersetzen. Wer lieber eine Videoversion sehen möchte, kann sich diese hier anschauen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) - eingelesen, und zuletzt viral gegangen, von John Lithgow (große Empfehlung!).

1️⃣ Leiste keinen vorauseilenden Gehorsam.

Autoritäre Regime erhalten einen Großteil ihrer Macht durch freiwillige Unterwerfung. Wer sich schon heute danach richtet, was eine künftige repressivere Regierung verlangen könnte, zeigt ihr damit erst, was alles möglich ist.

2️⃣ Verteidige Institutionen.

Institutionen helfen uns, Anstand zu bewahren - doch sie brauchen auch unsere Hilfe. Sprich deshalb nicht von “unseren Institutionen”, wenn du sie nicht mit deinem Handeln stärkst. Wähle eine Institution, die dir wichtig ist, und unterstütze sie; sie schützt sich nicht selbst.

3️⃣ Hüte dich vor dem Einparteienstaat.

Parteien, die Staaten umformten und Rivalen unterdrückten, waren nicht von Beginn an allmächtig; sie nutzten historische Momente, um ihre politischen Gegner:innen auszuschalten. Stütze daher das Mehrparteiensystem und verteidige die Regeln demokratischer Wahlen.

4️⃣ Übernimm Verantwortung für das Antlitz der Welt.

Die Symbole von heute schaffen die Realität von morgen. Achte auf Hakenkreuze und andere Hasssymbole. Sieh nicht weg und gewöhne dich nicht daran. Entferne sie selbst und geh als gutes Beispiel voran.

5️⃣ Denk an deine Berufsehre.

Wenn die politische Führung mit negativem Beispiel vorangeht, wird das eigene berufliche Engagement für eine gerechte Praxis wichtig. Einen Rechtsstaat kann man nicht einfach so ohne willige Anwält:innen beugen oder Schauprozesse ohne gefügige Richter:innen abhalten. Autoritäre brauchen gehorsame Beamt:innen, und Lagerleiter:innen suchen Geschäftsleute, die billige Arbeitskräfte wollen.

6️⃣ Nimm dich in Acht vor Paramilitärs.

Wenn die Männer mit Waffen, die angeblich “gegen das System” sind, Uniformen tragen, mit Fackeln marschieren und Bilder eines Führers tragen, ist das Ende nah. Machen Milizen, die einen Führer verehren, gemeinsame Sache mit Polizei oder Militär, ist es da.

7️⃣ Sei bedächtig, wenn du eine Waffe tragen darfst.

Trägst du im öffentlichen Dienst eine Waffe, so behüte dich Gott. Sei dir im Klaren, dass zum Bösen der Vergangenheit immer Polizist:innen und Soldat:innen gehörten, die sich eines Tages dabei ertappt haben, etwas Illegales zu tun. Sei deshalb bereit, Nein zu sagen.

8️⃣ Setze ein Zeichen.

Jemand muss es tun. Mitzulaufen ist leicht; etwas anderes zu tun oder zu sagen, ist hingegen schwierig. Aber ohne dieses Unbehagen gibt es keine Freiheit. Denke an Rosa Parks: In dem Moment, in dem du vorangehst, ist der Status Quo Geschichte, und andere folgen.

9️⃣ Sei freundlich zu unserer Sprache.

Vermeide es, Phrasen zu wiederholen, die alle benutzen. Finde eigene Formulierungen, selbst wenn sie nur ausdrücken, was alle anderen deiner Meinung nach sagen wollen. Mach bewusste Internet-Pausen. Lies’ Bücher.

🔟 Glaube an die Wahrheit.

Wer Fakten aufgibt, gibt Freiheit auf. Ist nichts mehr wahr, kann auch niemand Macht kritisieren, denn es fehlt dafür eine gemeinsame Grundlage. Ist nichts mehr wahr, bleibt nur Spektakel; die dickste Brieftasche bezahlt dann für die blendendsten Lichter.

1️⃣1️⃣ Frage nach und überprüfe.

Finde Dinge selbst heraus. Verbringe mehr Zeit mit langen Artikeln. Unterstütze investigative Medien durch Abos. Erkenne, dass manches im Netz dazu da ist, um dir zu schaden. Nutze Portale, die Propaganda entlarven, auch aus dem Ausland. Übernimm Verantwortung für Informationen, die du weitergibst.

1️⃣2️⃣ Nimm Blickkontakt auf und unterhalte dich mit anderen.

Das ist nicht nur höflich, sondern Teil des Bürgersinns. So nimmst du Kontakt zu deiner Umgebung auf, baust soziale Barrieren ab und hilfst dir einzuschätzen, wem du trauen kannst. Sollten wir in einer Gesellschaft der Denunziation landen, willst du genau wissen, wie die Menschen in deinem Umfeld gestrickt sind.

1️⃣3️⃣ Praktiziere physische Politik.

Macht will, dass dein Körper in einem Sessel erschlafft und sich deine Emotionen am Bildschirm auflösen. Geh nach draußen. Begib dich an neue Orte mit unbekannten Menschen. Finde neue Freunde und demonstriere mit ihnen.

1️⃣4️⃣ Führe ein Privatleben.

Üble Machthabende nutzen ihre Kenntnisse über dich, um dich zu schikanieren. Entferne Schadprogramme von deinem Computer, denk daran: E‑Mails sind für jede:n lesbar. Nutze alternative Netzdienste - oder geh gleich weniger ins Internet. Kläre Angelegenheiten persönlich. Löse rechtliche Probleme frühzeitig.

1️⃣5️⃣ Engagiere dich für einen guten Zweck.

Engagiere dich in Organisationen - politisch oder nicht -, die deine Sicht auf das Leben teilen. Wähle ein, zwei Wohltätigkeiten und richte Daueraufträge ein.

1️⃣6️⃣ Lerne von Gleichgesinnten in anderen Ländern.

Halte Auslandsfreundschaften oder knüpfe neue. Die aktuellen Schwierigkeiten sind Teil eines größeren Trends; kein Land findet allein eine Lösung. Sorge dafür, dass du und deine Familie gültige Pässe habt.

1️⃣7️⃣ Achte auf gefährliche Wörter.

Sei wachsam bei Begriffen wie Extremismus und Terrorismus. Sei dir der gefährlichen Bedeutung von Notstand und Ausnahme bewusst. Werde wütend, wenn patriotisches Vokabular mit trügerischer Absicht verwendet wird.

1️⃣8️⃣ Bleib ruhig, wenn das Undenkbare eintritt.

Moderne Tyrannei ist Terror-Management. Nach einem Terror-Anschlag instrumentalisieren Autoritäre den Schock, um ihre Macht zu festigen. Fall nicht darauf herein.

1️⃣9️⃣ Sei patriotisch.

Gib ein gutes Beispiel dafür, was dein Land für künftige Generationen bedeuten soll.

2️⃣0️⃣ Sei so mutig, wie möglich.

Wenn keiner bereit ist, für die Freiheit zu sterben, werden wir alle unter der Tyrannei sterben.

Wer sich darüber hinaus mit Snyders Lektionen beschäftigen möchte, kann sich beispielsweise diesen aktuellen Vortrag von ihm anhören (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), in dem er seine Lektionen aktualisiert und erweitert.

Wir möchten daraus vor allem auf zwei Aspekte eingehen, die wir besonders eindrücklich fanden. Der erste ist, das ist in der Hinleitung zu den Lektionen angeklungen, sein Aufruf zur Kooperation. Snyder betont auch in seinem Vortrag, wie wichtig es jetzt für die Zivilgesellschaft ist, zusammenzuhalten und sich gegenseitig schützen.

Er nimmt als Beispiel die höheren (Bildungs-)Insitutionen und das Vorgehen der US-Regierung gegen sie. Dass das geschieht, ist autoritärer Standard:

“This is, unfortunately, authoritarianism 101. You break civil society by making an example of one institution”.

Man zerschlage also die Zivilgesellschaft, indem man ein Exempel an einer Institution statuiere. Aber genau mit diesem Exempel darf eine autoritäre Regierung nicht durchkommen. Deshalb ist es so wichtig, dass sich Insitutionen zusammenschließen und darauf vorbereiten, einander zu helfen. Sonst wird jede Institution autoritär unterworfen - eine nach der anderen:

“Because if you don’t work together, you get picked off one by one. And you can’t beat that logic by hoping that you’re not going to be next. You have to preemptively band together. You have to be aware that somebody’s going to take a hit. And when somebody takes a hit, you have to be prepared to help.”

Dass es sich bei dieser Vorgehensweise um Autoritarismus 1.1 handelt, also um ein vorhersagbares Verhalten, zeigt das Verhalten der Trump-Regierung. Denn nur kurze Zeit nach dem Vortrag Snyders, der war am 1. April, ging die US-Regierung auf die Universität Harvard los und fror über 2,2 Milliarden US-Dollar an Bundesmitteln ein (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Trumps Regierung begründete diesen Schritt mit angeblichem Antisemitismus auf dem Campus und stellte weitreichende Forderungen, darunter:​

  • Einflussnahme auf das Uni-Curriculum, um “woke” Inhalte wie Gender- und Rassismusforschung zu entfernen

  • Kontrolle über Personalentscheidungen und Zulassungspolitiken

  • Einsatz eines externen Prüfers zur Überwachung der Meinungsvielfalt

  • Auflösung von Diversity-, Equity- und Inclusion-Programmen (DEI)

  • Verbot von Gesichtsbedeckungen bei Protesten und stärkere Zusammenarbeit mit Strafverfolgungsbehörden

Harvard-Präsident Alan Garber (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) lehnte diese Forderungen ab und sah darin einen Angriff auf die akademische Freiheit und verfassungsmäßige Rechte: “Sie wollen kontrollieren, wen wir anstellen und was wir unterrichten.” Die Universität Harvard hat deshalb die US-Regierung unter Donald Trump verklagt (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Die Klage richtet sich unter anderem gegen Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. und Bildungsministerin Linda McMahon, nicht jedoch gegen Trump selbst.

Und der zweite Aspekt, den wir noch ergänzen wollen, ist der Sadopopulismus. Snyder beschreibt damit eine spezielle Strategie autoritärer Herrschaft: Dabei tritt der Staat nicht mehr als Hilfe und Unterstützung auf, sondern als Verursacher von Schmerzen. Das Perfide: Nicht allen wird gleichermaßen Schmerzen zugefügt.

Snyder erklärt das im SZ-Interview so: “Was ich mit Sadopopulismus meine, ist das Regieren durch die Verteilung von Schmerz. Man verspricht also nicht mehr, dass die Regierung allen helfen wird. Was sie sagen, ist, dass die Regierung im Grunde allen schadet, aber einigen mehr als anderen.” In seinem Vortrag hat Snyder es deutlicher formuliert:

“I use the category of sado-populism, by which I mean shifting politics from a sense of everyone is going to gain something to a sense of there’s going to be more pain. And the relevant political question is how that pain is going to be distributed.”

Die neue politische Logik lautet nicht mehr: Wer bekommt was und wie viel vom Staat? Sondern: Wer leidet mehr? Und wer darf zuschauen, wie andere leiden?

Dabei inszenieren autoritäre Regierungen gezielt Spektakel des Leidens - und zwar in aller Öffentlichkeit. Snyder beschreibt das so: “We are watching other people being sacrificed. Those of us who are not an immediate threat are watching other people be sacrificed, and it’s public. It’s deliberately public.”

Ein Ziel: nicht Empathie für die Opfer, sondern Identifikation mit den Täter:innen. Das Spektakel soll den eigenen Anhänger:inen das Gefühl geben, auf der “richtigen Seite” zu stehen und “zum inneren Kreis zu gehören, den Schmerz eines anderen als Voyeur zu erleben”. Auf diese Weise sollen sich Unterstützer:innen der autoritären Herrschaft “mit denjenigen identifizieren, die die Macht haben, Schmerz zuzufügen”. Snyder benennt als Beispiel die aktuelle Abschiebungspolitik:

“It’s not that the Trump people are deporting more people than the Biden people did. They’re just doing it in a more deliberately spectacular fashion.”

Das Gewalt- und Schmerzspektakel wird gezielt medial inszeniert - etwa durch das öffentliche Abführen von Studierenden auf der Straße, statt ihnen schlicht schriftlich den Visa-Entzug mitzuteilen oder das als “fun” und “ASMR”-inszenierte Video vom Deportationsflug, das die US-Regierung geteilt hat (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).

Snyder nennt das eine Politik des Sadismus und “an entirely unnecessary act of terror”. Der Sadopopulismus ist kein Nebeneffekt, sondern bewusste Strategie:

  • Leiden öffentlich machen

  • Machtgefühle bei den eigenen Anhänger:innen erzeugen

  • Empathie systematisch zerstören

  • gesellschaftliche Solidarität untergraben

Snyder sagt dazu: “It’s a politics of voyeurism, it’s a politics of sadism, and I think it’s something that we are indulging in right now.” Damit macht Snyder klar: Sadopopulismus ist nicht einfach ein “politischer Stil”. Er ist ein massiver Angriff auf Empathie, Moral und Solidarität - und auf die Grundlagen jeder demokratischen Gesellschaft. Wer dabei zuschaut, wird selbst irgendwann zum Opfer.

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