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Folge 73

Rückwärts erzählt

Meine Mutter ruft aus München an. Der Haustechniker habe gesagt, das Bett würde nicht in die Nische passen. Sie habe ihm erklärt, dass ihre Tochter eigentlich sehr gewissenhaft arbeite. Ich fange an zu weinen. Wir reden noch ein bisschen. Später sehe ich auf der Webseite des Bettenherstellers und in meinen Unterlagen nach. Das Bett passt in die Nische. Vermutlich wollte der Haustechniker es nicht mehr vor seinem Urlaub aufbauen.

Mein nächstes Ziel ist, wieder etwas Kontrollverlust zu ertragen und bei meiner Mutter das akkustische happy face durchzuziehen, damit sie sich nicht auf eine Sorge um die imaginäre Tochter kaprizieren kann. Sie muss auf sich selbst achten.

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D. kommt zur Bushaltestelle, um mich abzuholen. Er hat zuhause den Kater kurz eingesperrt, damit er da ist, wenn ich ankomme. Laser ist dieses Mal nur ein ganz kleines bisschen beleidigt, die Wiedersehensfreude überwiegt. D. hat für mich Sachen eingekauft, die ich gern esse und trinke, ich empfinde tatsächlich Glück beim Anblick der Flasche Spreequell Aktiv Zitrusgrape. Das offizielle Ende der Askese.

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Ich sitze im Zug nach Berlin, habe mir wegen übergroßer Dünnhäutigkeit als Resultat der letzten Wochen ein Erster-Klasse-Ticket gegönnt, weil es mit Probe-Bahncard und Supersparpreis so viel kostete wie sonst eine Fahrkarte für die zweite Klasse. Es kommt, wie es kommen muss; leider ist es nur gerecht, dass ich für meine Inkonsequenz – ich hasse Klassensysteme – abgestraft werde: Rechts vor mir sitzt eine Person mit einem lebhaften großen Hund, die sich nicht vorstellen kann, dass manche Menschen Angst vor Hunden haben und das Tier sich frei bewegen lässt. Aus Erfahrung weiß ich, dass es keine fünf Minuten dauern wird, bis der Hund an meiner Strumpfhose leckt. Als so ein Mensch mit etwas Angst vor Hunden fühle ich mich sehr unbehaglich, wenn einer ohne Absprache in meine Nähe kommt. Nicht ideal in meinem dünnsthäutigen Zustand. Nicht erstklassig. Zum Glück ist der Zug nicht voll und ich kann mich umsetzen. Wenige Minuten später wird der Schaffner beim Vorübergehen heftig verbellt, er erschrickt furchtbar und macht einen unkontrollierten Hüpfer. Ich an seiner Stelle wäre unweigerlich in Tränen ausgebrochen.

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In den letzten bleibenden zehn Minuten versuche ich noch ambitioniert, Kisten auf die Sackkarre zu schnallen und in den Keller zu bringen. Aber bereits auf dem Balkon, wo alles Nichtbenötigte auf Abtransport wartet, verliere ich die Nerven, fange an zu weinen und schreie: »Ich kann einfach nicht mehr.« Denkbar schlecht für meine Mutter als letzter Moment vor meiner Abreise, aber ich kann eben wirklich nicht mehr. Ich küsse sie zum Abschied, ziehe fürs Treppenhaus die eklige alte Maske an und renne viel zu spät aus dem Gebäude. Über der Schulter meine übervolle Reisetasche, in der einen Hand meine übervolle Immertasche, mit der anderen Hand zerre ich eine kleine Sackkarre hinter mir her, auf die eine übervolle Ikeatasche geschnallt ist, darin ein sehr schwerer Kasten mit Bohrmeißeln, die D. in Berlin braucht, um unseren Keller auszubauen. Und meine goldenen Moonboots, ich wollte sie wegen ihrer Sperrigkeit fast in der alten Wohnung zurücklassen und erst beim Großmöbeltransport in ein paar Wochen mitnehmen, aber ihr wisst wie es läuft (>>>empirischer Aberglaube), dann hätte ich morgen in Berlin mit Ballerinas im Schnee gestanden.

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Noch ein Tag, noch ein teures Taxi. Mein Lieblingsfahrer. Schaltet das Nawi an, rantet nicht, hört einen Klassiksender – ich bin gar keine große Klassikhörerin, aber empfinde Klassiksender als angenehm unaufdringlich –, blickt nicht böse auf meinen ganzen Krempel, sondern hilft mir tragen, am Zielort sogar bis ins Haus. Wir sind ein Team, und ich bin sehr dankbar.

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Als letzten und potenziell erhabenen Aufräummoment hatte ich mir vorgenommen, den antiken persischen Wandteppich abzunehmen und etwas von Staub zu befreien. Ich möchte ihn meiner Freundin A. schenken, deren Familie aus dem Iran geflohen ist. In einem Buch schrieb sie darüber, wie in ihrer Kindheit die Familien-Erinnerungsdinge fehlten. Ich habe viele solche Dinge und kann nun schon zum zweiten Mal selbst entscheiden, was ich bei mir behalten will und was nicht. Der Wandbehang ist wunderschön, und er war siebzig Jahre lang das Kern-Piece in dieser Wohnung (Mietvertrag von 1951!), man kann ihn auf sehr vielen Fotos sehen. Den Plan, ihn A. irgendwann zu schenken, habe ich schon, seit ich sie kenne.

Leider kommt es so, wie meine Mutter es nur halb im Scherz immer vorausgesagt hat. Der Stoff zerfällt großflächig zu Staub, der Wandteppich ist nicht zu retten. Zunächst überlege ich, den Wandteppich artsy auf ein dünnes Brett zu legen und zu rahmen, so könnte er immerhin noch ein gutes Symbol für das Leben in der Diaspora sein.

Die Zersetzung des Teppichs schreitet zunehmend unheimlich voran, überall sind jetzt schwarze Rückstände, an meinen Händen, auf dem Boden, mehr und mehr verteilt sich das Zeug. Ich trage den Teppich ins leergeräumte Badezimmer und hefte ihn mit Nadeln an die Wand, um wenigstens noch ein Foto zu machen. Stoffpartikel rieseln und rieseln. 

Ich muss später eine Stunde lang schwarze Rückstände wegputzen und fühle mich wie Howard Carter, der das Grab von Tutanchamun geöffnet hat und nun mit seinem verfrühten Tod rechnen darf. 

Den Wandteppich bringe ich in einer Tüte und mit angehaltenem Atem zur Mülltonne. Lustig eigentlich, dass sich das schlechte Kolonialistengewissen als Vorstellung eines Fluchs manifestierte.

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Ich stelle zum voraussichtlich letzten Mal die Waschmaschine an. Bettzeug, Schlafshirt, Hausballerinas. Vielleicht machen ja die teenage lovebirds, solange es die Wohnung noch gibt, einen Münchentrip, dann haben sie noch ein okayes Bett.

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Sechs Umzugskartons fülle ich mit Dingen, die nach Berlin gebracht werden sollen. Dinge für die Familie, wozu ich auch Freund*innen rechne. Das vielbändige alte Meyers-Lexikon packe ich ein, obwohl ich noch nicht so genau weiß, was ich damit tun will: Vieles, sehr Unterschiedliches ist möglich. Es könnte später sinnentleert repräsenta-dekorativ in L.s Büroregal stehen, falls er sein Jurastudium durchzieht. Ich könnte, wenn ich mal nichts Besseres zu tun habe, ein Close reading machen und besonders diskriminierende Wissensmanipulationen aufzeigen, um es danach doch noch wütend in den Müll zu werfen. Oder es zuhause oben ins Wohnzimmerregal stellen und vergessen.

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Von der neuen Wohnung bringe ich neue Bettwäsche und Handtücher in die alte Wohnung und wasche sie. Im Senior*innenwohnen gibt es im Keller nur eine Waschmaschine und einen Trockner, die Liste für die nächsten Tage war schon voll. Nebenbei wasche ich mit der Hand meinen eigenen Kram. Die Laken und Kleider vor dem leeren weißen Regal sehen irgendwie Margiela aus, das amüsiert mich.

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Ich nehme schon wieder ein Taxi von der alten zur neuen Wohnung, weil immer noch Zeug von hier nach da muss. Heute ist der Taxifahrer fit, was den Weg angeht, aber möchte mit mir über Uber sprechen. Weil ich mir mühsam antrainiert habe, mich von niemandem mehr ungefragt zutexten zu lassen, darf er sich im Gegenzug meine Ausführungen zu Amazon und anderen Monopolisierungskonzernen anhören. So wird es ein passabler Dialog und ich komme gut gelaunt und komplikationslos ans Ziel.

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In den nächsten Tagen schraube ich, mal mit, mal ohne Mithilfe des Haustechnikers weiter Sachen zusammen. Meine Mutter liegt derweil auf dem Betteil der Bettcouch ohne Couchteil, irgendwann auf der ausgezogenen fetigen Bettcouch. Mittags geht sie mit ihrem Rollator in den Speisesaal, sie hat mir versprochen, das durchzuziehen, als Minimumsozialleben. Sie wirkt wieder müder, ich glaube, es belastet sie sehr, mir zuzusehen und sich auszurechnen, wie viel Anstrengung hinter mir liegt. Ich sage ihr immer wieder, dass das alles egal ist und es mir gutgeht, solange sie ihren Teil dazutut, dass es jetzt ein bisschen besser wird, weil sie wieder bewusster lebt und etwas auf sich achtet. Wir lachen viel, über die Leute, die dauernd reinkommen, darüber, wie sie kaum laufen kann, aber sofort anfängt, die Dinge im Regal anders hinzurücken, als ich es vorgesehen habe.

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Die Bettcouch von IKEA wird erst am Nachmittag gebracht werden, deshalb eile ich ins Schwesternzimmer, um einen Stuhl auszuleihen. Zum Glück geht mein Plan auf. Meine kaputte Mutter muss nicht auf dem Boden sitzen. Kurz darauf klingelt es, und sie wird im Rollstuhl reingeschoben. Sie ist erschöpft, aber entspannt. Es gefällt ihr, sie ist dankbar, erleichtert. In der ersten Nacht schläft sie, wie sie am nächsten Morgen berichtet, sehr gut, das ist bei ihr eine Sensation.

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Der Tag, an dem meine Mutter aus der Reha ins betreute Wohnen kommt. Ich nehme ein Taxi, um letzte Sachen hinzubringen. Mir ist klargeworden, dass ich die aktuelle Großzügigkeit beim Einrichtungsshoppen auch auf mein Wohlbefinden ausdehnen muss. Meine Mutter wird ihr neues Leben nicht genießen können, wenn ich bei dessen Ermöglichung einen Schlaganfall bekomme. Der Fahrer erfragt die Adresse und macht nicht das Nawi an. Er sagt aber Sachen, die darauf hindeuten, dass er ungefähr weiß, wohin ich muss. Ich bin grundsätzlich erst mal vertrauensvoll, also harre ich nur leicht beunruhigt der Dinge. Die Fahrt dauert länger als nötig, aber wir sind irgendwann sehr nah dran. Dann aber fährt er komplett unsinnig, und ich sage: »Es ist doch da hinten, ich habe Ihnen beim Einsteigen die genaue Adresse gesagt. Warum machen Sie nicht das Nawi an, wenn Sie den Weg nicht kennen?« Er hätte die Adresse nicht gehört, sagt er. Ich werde sauer. »Meine alte Mutter kommt jede Sekunde mit einem Krankenwagen dort an, es ist wirklich eilig. Deshalb habe ich ein Taxi genommen.« Er tippt die Adresse ins Nawi. Endlich angekommen, steige ich wütend aus und gebe trotzdem Trinkgeld, weil mir nicht zu helfen ist. (Ich weiß ja, Taxifahren ist auch ein ausbeuterischer Job, aber es ist einfach nicht okay, die Verantwortung für den richtigen Weg auf Kund*innen abzuwälzen. Viele Menschen fahren nur einmal zu einem bestimmten Ziel oder zum ersten Mal. Liebe Taxifahrer*innen, bitte einfach immer das Nawi anmachen.)

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Zwei Pakete sind in meiner Abwesenheit nicht vor der Tür der alten Wohnung abgestellt worden, sondern zu einem unverschämt weit entfernten Postamt gebracht worden. Kurzes Weinen. Ich brauche mit der U-Bahn und zu Fuß 40 Minuten, bis ich dort bin. Unmöglich, die sperrigen Pakete nach Hause zu tragen. Ich reiße sie an der Bushaltestelle vor dem Postamt auf und stopfe den Inhalt in meine Ikea-Tasche. Die Kartons lasse ich neben dem Mülleimer stehen, was soll ich sonst machen. Ich schleppe alles, auch mich, zur U-Bahn-Station. Mir ist vor Stress und Anstrengung und nicht befolgter Rekonvalenszenz heiß und kalt, für maximale Unbehaglichkeit rutscht jetzt auch noch meine verdammte Strumpfhose. Die Tasche ist so schwer, dass ich nicht mal unterwegs anhalten und mir etwas zu essen mitnehmen kann. So sehr ich DHL als Geschäftskundin in Berlin-Pankow, wo meine Sendungen von netten Menschen abgeholt werden, liebe, so sehr hasse ich es als Privatkundin in München, weil mich einfach alles unnötig weiter entkräftet.

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Ich bin jetzt die amtierende Shopping Queen des geriatrischen Onlineeinkaufs, die Algorithmen werden sich auf Jahre nicht mehr einkriegen. Außerdem habe ich, die Person, die kein Rot mag, alle schönen roten Dinge, die man auf der globalisierten Welt bekommen kann, gekauft. Weil meine Mutter Rot liebt und ich sie. Ich nahm Maß und recherchierte und bestellte und paypalte und packte aus aus und baute auf und verzweifelte und freute mich.

Meine Mutter ist eher der Typ Tchibo und Aktionsware und Schnäppchen, kaufte davon aber oft so viel, dass sie genauso gut auch gleich etwas Teures kaufen hätte können. Ich selbst kaufe für mich eher wenig, meist auch nicht teuer, aber gönne mir auch mal eine einzelne richtig teure Sache, wenn die schiere Beauty es verlangt. Für meine Mutter habe ich skrupellos über unsere gefühlten Verhältnisse geshoppt. Ich wollte, dass in der neuen Wohnung nichts mehr klappert, wackelt, abfackelt, bröselt. Der relativ kleine Wohnraum soll/te sicher sein und wirklich richtig schön aussehen. Ich habe ihr faktisch deutlich mehr gegönnt, als sie sich selbst gönnen würde – haha, ich liebe es. Sie hat genug Geld dafür, ihre Rente reicht für die monatlichen Kosten, und sie hat etwas gespart. Es war und ist der beste Moment und die beste Art, um ihr Geld auszugeben. Natürlich werde ich immer mehr als genug auf dem Konto lassen, um zukünftige Mieterhöhungen, Zahnersatz und ordentlich Budget für Cafébesuche und Ähnliches abzusichern. Aber ich weiß, wie empfänglich sie für Schönheit ist und habe wirklich alles gegeben.

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Am 2.1. bohrt D. diverse Löcher in der neuen Wohnung und ich fahre mit Öffis zu IKEA. Unterwegs murmele ich Beschwörungen, dass ich irgendwie ein Lastentaxi bekomme, um heute noch die Bettcouch in die neue Wohnung zu bringen. Der Weg ist lang, der Bus fürs letzte Stück gerade weg, ich laufe. Im IKEA-Foyer setze ich mich mit dem Handy hin und checke die Lage. Bei den Lastentaxinummern geht niemaus ran. Also bestelle ich eine Expresslieferung über die Hausspedition für den Tag der Ankunft meiner Mutter. Muss ich dann leider selbst aufbauen, obwohl solche Großmöbel mir meist einen Tick zu schwer zum Rumwuchten sind. Aber sie braucht ja was zum Schlafen, und das eigentliche Bett – es ist höhenstellbar und mit Motor, ideal für Gamer*innen und Senior*innen – wird noch ein paar Tage unterwegs sein.

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Am 1.1. arbeiten D. und ich zusammen in der neuen Wohnung, leise, es ist ja Feiertag. Der Haustechniker kommt, um uns eine Leiter zu borgen. D. streicht die Bettnische dunkelrot und schraubt im Bad Seifen-, Handtuch- und Toilettenpapierhalter aus der alten Wohnung an. Obwohl ich vorher die meiste Zeit bewusst und gewollt im Einzelkämpferinnenmodus gearbeitet habe, ist es jetzt sehr schön, Hand in Hand herumzubauen.

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Am 31.12. kommt abends mein Mann wieder aus Berlin und wir feieren einen sehr schönen Not-Silvester zu zweit.

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Am 30.12. arbeitete ich sehr schnell sehr viel in der neuen Wohnung.

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Am 29.12. teste ich mich frei und beginne damit, in Hochgeschwindigkeit die neue Wohnung einzurichten. Möbel konnte ich ja, ohne zu wissen, wann ich wegen Corona wieder vor Ort sein dürfte, noch nicht bestellen. Es sind nur sehr wenige Werktage übrig, bis meine Mutter ankommen wird. Das ist eine sehr belastende Perspektive. Bekomme ich das hin?

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Am 28.12. ist mein Coronatest positiv. Es lohnt sich nun offiziell nicht mehr, nach Hause zu fahren, um am 2.1. wieder herzukommen.

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Am 27.12. ist mein Coronatest positiv. Ich sortiere weiter Dinge in der alten Wohnung aus.

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Am 26.12. kommt D. am frühen Morgen und packt Sachen für den Miniumzug mit Dingen, die meine Mutter behalten will, ins Auto, während ich mich teste. Er kann sich nicht vorstellen, dass ich noch positiv bin, es geht mir ja viel besser. Als der Test positiv ist, eilt er ziemlich erschreckt davon. Die Sachen bringt er ohne mich rüber. – Ich kann auch nicht mit der Familie zurück nach Berlin fahren, muss in München bleiben.

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Am 25.12. ist mein Coronatest positiv. Ich bin sehr, sehr krank, kann nicht essen, habe Fieber und die schlimmsten Halsschmerzen meines Lebens. Ich stehe nur einmal auf, um die Tür zu öffnen und mit meinem Mann und den Kindern, die am Ende des Gangs stehen, kurz zu sprechen. Sie schubsen mir Tüten mit Heringssalat, dem traditionellen Essen vom 24., Plätzchen und meinen Geschenken rüber. Mein Mann sieht so kläglich aus wie Laser auf dem Bild, das er mir am Tag meiner Abreise gesendet hat. Ich habe ihn selten so blass gesehen. Auch die Kinder sind betreten. Es ist richtig schlimm und trotzdem auch ein bisschen schön. Sehr Netflix, aber das ist unser Familienleben ja oft.

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Am 24.12. schleppe ich mich mit Maske und der Überzeugung, Grippe zu haben, kurz raus und gehe einen Coronatest kaufen: Er ist positiv. Meine Familie versammelt sich abends ohne mich in fünf Kilometer Entfernung und feiert Weihnachten. Ich liege allein in der fast leeren, ungemütlichen Wohnung, kann kaum aufstehen, trinke kleine Schlucke Gemüsebrühe, habe Fieber und die schlimmsten Halsschmerzen meines Lebens. Ja, ein bisschen Selbstmitleid habe ich auch. Außerdem ist es etwas unheimlich, dass ich jetzt selbst allein und hilflos in der Wohnung liege, in der vor einigen Wochen meine Mutter fast gestorben wäre.

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Am 23.12. bin ich sehr, sehr krank, liege allein in der in der fast leeren, ungemütlichen Wohnung, kann nicht aufstehen, nicht essen, habe Fieber und die schlimmsten Halsschmerzen meines Lebens.

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Am 22.12. bin ich sehr, sehr krank, liege allein in der in der fast leeren, ungemütlichen Wohnung, kann nicht aufstehen, nicht essen, habe Fieber und die schlimmsten Halsschmerzen meines Lebens.

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Am 21.12. sitze ich nachmittags mit einem Zollstock in der Hand auf dem Boden der neuen Wohnung und fühle mich schrecklich schwach. Vermutlich bin ich nur müde von der Nachtfahrt und der endlos telefonierenden, verantwortungslosen Nervensäge.

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Die Zusage für das gewünschte Apartment im betreuten Wohnen für meine Mutter hatte ich, siehe letzte Folge New Frohmanntic, schon bei meinem ersten langen München-Aufenthalt im November bekommen. Damit war die größte Angst weg. Die Wohnung ist wirklich perfekt geeignet: 1. OG (meine Mutter hat Höhenangst), ein strauchartiger Baum oder baumartiger Strauch vor dem Fenster (sie liebt es höhlig und ist begeisterte Bird-Watcherin), hell, aber blickgeschützt, große Loggia.

Am 20.12. steige ich am späten Abend in den Flixbus von Berlin nach München, weil ich am 21. mittags vor Ort die neuen Schlüssel entgegennehmen werde. Ich war in den letzten sechs Wochen nur zehn Tage zuhause. In der fast leeren, ungemütlichen alten Münchner Wohnung werde ich aber nur eine Nacht bleibben müssen, denn meine Schwiegereltern haben für die Kinder, D. und mich über Weihnachten Zimmer im Hotel neben ihrer Wohnung nahe München gebucht. Wir werden alle zusammen feiern, nur ohne meine Mutter, die noch in der Reha ist.

Eine verantwortungslose Person fährt krank im Flixbus mit, sie sitzt direkt hinter mir, ohne Maske, labert noch nachts um eins am Telefon darüber rum, dass sie keinen Bock gehabt hätte, sich krank zuhause zu langweilen. ...


**

Zurück zum kein Bock auf verantwortliches Handeln, zu den bockigen Freiheitlichen, wir sehen uns nächste Woche. Seid lieb, nur nicht zu Nazis.

XOXO,
FrauFrohmann

***

Ein paar Randbeobachtungen aus den vergangenen Wochen werde ich auch noch in kommenden Folgen thematisieren. Aber mit überpersönlich ist jetzt erst mal wieder Schluss. Nächste Woche geht es zurück zum Aktivismus, der meines Erachtens alternativos ist, wenn es mit den Menschen und der Zuklunft klappen soll. Die PGExplaining machen auch mit.

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