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Seit fast zwei Jahren schreiben wir übers Klima und haben euch erst eine Ausgabe zu Ernährung serviert? Das kann ja wohl nicht unser Ernst sein.
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#44 #Ernährung #Klimawissenschaft #Studienanalyse
Ein Pro-Topf-Budget für alle
Nichts belastet den Planeten und unsere Gesundheit so sehr wie unsere Ernährung. Als Lösung haben Forschende einen Speise-Masterplan für zehn Milliarden Menschen entwickelt. ~ 7 Minuten Lesezeit
Stell Dir vor, es gäbe so etwas wie eine Weltformel für nachhaltige Ernährung. Ein universales Rezept für alle Gerichte, die Du essen kannst, ohne den Planeten zu überlasten. Gerichte, die auch noch gesund sind und nicht zu 100 Prozent aus äußerst klimafreundlichen Rüben bestehen. Würdest Du Dich nur noch so ernähren?
Überraschung: Diese Weltformel gibt es längst (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Seit vier Jahren, um genau zu sein. Sie heißt: Planetary Health Diet. Dass Du sie bisher vermutlich noch nicht gelesen hast, könnte daran liegen, dass diese Bibel für die nachhaltigste Ernährung der Welt so eingängig zu lesen ist wie … nun ja, die Bibel. Dabei ist sie gar nicht von Gott geghostwritet worden. Vielmehr hatten 37 Wissenschaftler*innen ihre Finger im Spiel. Hier kommt die Kurzfassung in appetitlicher Sprache (mit einer köstlichen Überraschung am Ende).
So essen Deutsche, Deutsche essen so
Bevor es ans Eingemachte geht, noch ein kleiner Vorgeschmack auf den Status Quo unserer Ernährung. Nehmen wir mal an, Du wärst eine komplett durchschnittliche Person aus Deutschland. Vor Dir steht ein riesiger Tisch, auf dem sich alles befindet, was in einem Jahr (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) Deine Speiseröhre passiert. Das wären: 405 Liter Milch, 238 Eier, 109 Kilo Gemüse, 82 Kilo Fleisch, 79 Kilo Brot und Getreide, 72 Kilo Obst, 60 Kilo Kartoffeln, 24 Liter Öl und 13 Kilo Fisch. Kurz: Ein „All you can eat… äh, destroy“-Buffet für die Natur und Dein Herz.
Noch krasser sieht es in den USA aus. Washington-Post-Kolumnistin Tamar Haspel hat die durchschnittliche US-amerikanische Ernährung auf Twitter veranschaulicht:
https://twitter.com/TamarHaspel/status/1496195703143600132 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)Cuisine americaine – lecker. Die zugrundeliegenden Daten sind schon etwas älter (von 2010), aber noch nicht abgelaufen.
Kohlenhydrate, Zucker, Milch, Fleisch: Die durchschnittliche Ernährung in Deutschland, den USA und eigentlich allen Industriestaaten ist weder kompatibel mit der eigenen Gesundheit, noch mit dem Planeten.
Unsere Mägen sind größer als Garzweiler II
Johan Rockström ist einer der beiden Leitautoren der Studie zur Planetary Health Diet. Seine Botschaft in einem Satz: Was die Klimakrise von allen Ursachen am meisten befeuert, ist das, was wir essen. Mehr als Kohle, mehr als SUVs, mehr als Julien Backhaus’ Privatjet (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Je nach Studie und Methodik liegt der Anteil unseres Essens am globalen CO₂-Kuchen bei ungefähr 17 bis 27 Prozent. Doch die Auswirkung auf das Klima ist nur ein Aspekt. Es gibt schließlich noch acht weitere planetare Grenzen, von denen vier direkt etwas mit unserem Essen zu tun haben: die Grenzen für Artensterben, Stickstoff und Phosphor, Landnutzung sowie für Süßwasserverbrauch. Der Sicherheitsbereich (grün) von vier dieser fünf planetaren Grenzen wurde bereits überschritten. Teilweise bis in den roten Bereich, in welchem die jeweiligen Ökosysteme Gefahr laufen zu kippen. Besonders katastrophal sieht es beim Verlust der Biodiversität und beim Stickstoff- und Phosphorkreislauf (vor allem durch Überdüngung) aus.
Fast alle planetaren Grenzen sind bereits überschritten. 📸: Stockholm Resilience Center (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
Die Zerstörung von Ökosystemen durch unser Essen geht einher mit der Vergiftung des Körpers. 2,1 Milliarden Menschen sind laut Studie heute übergewichtig oder fettleibig – so viele Menschen lebten noch vor 100 Jahren auf der ganzen Erde. Gleichzeitig sind 820 Millionen Menschen unterernährt. Unterm Strich ist das heutige Essen tödlicher als ungeschützter Sex, Alkohol, Drogen und Tabakkonsum zusammen, schreiben die Forschenden.
Drei To Dos für ein Essen mit Zukunft
So weit, so schlimm. Aber das ist nur der Status Quo. Wie wird es 2050 aussehen, wenn wir alle nicht nur gesund und satt werden, sondern auch noch klimaneutral leben wollen? Und dann sogar nicht mehr „nur“ acht, sondern zehn Milliarden Menschen essen müssen? Wie soll das bitte funktionieren?
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Es wäre tatsächlich möglich. Doch wir brauchen nicht weniger als eine „Great Food Transformation“. Laut den Wissenschaftler*innen steht uns die größte Veränderung von Landwirtschaft und Ernährung bevor, die es in der Menschheitsgeschichte je gab.
Die Studie schlägt drei konkrete Bereiche vor, in denen es jeweils eine radikale Veränderung braucht: bei der Produktion (viel effizienter!), bei der Verschwendung von Lebensmitteln (50 Prozent weniger!) und bei der Ernährungsumstellung. Wenn unsere Ernährung nicht nur nachhaltig, sondern gleichzeitig gesund sein soll, verursacht sie selbst in einer klimaneutralen Welt immer noch fünf Gigatonnen Treibhausgase. Höchste Zeit also, dass wir uns endlich innerhalb der planetaren Grenzen ernähren.
Ein Speiseplan für den Planeten
Dafür haben die Forschenden schwarz auf weiß zusammengetragen, wie groß der Fußabdruck einzelner Lebensmittel für die fünf relevanten planetaren Grenzen ist.
Dass tierische Produkte das große Problem sind, überrascht wohl niemanden mehr. Wie sehr sie den Planeten im Vergleich zu pflanzlicher Nahrung überlasten, sollte man sich aber noch einmal ganz genau vor Augen führen. Für alle planetaren Grenzen mit Abstand am schlimmsten: Rind- und Lammfleisch (in der Tabelle unter „Ruminant meat“ zusammengefasst).
Klima-Professor Volker Quaschning zieht in seiner Kolumne bei Klimareporter (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) einen eindrücklichen Vergleich: Das Methan einer einzigen Kuh verursache pro Jahr den gleichen Klimaschaden wie 18.000 Kilometer (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) Diesel-Auto-Fahren. Mit anderen Worten: Eine klimaneutrale Kuh mit Führerschein könnte jeden Tag 50 Kilometer im Kreis um eine normale Kuh fahren und dabei genauso viele Treibhausgase ausstoßen wie diese.
Auf Basis dieser Footprints sowie dem aktuellen Kenntnisstand bezüglich einer ausgewogenen, gesunden Ernährung haben die Forschenden das Herzstück ihrer Studie erstellt – einen Speiseplan mit dem sich alle Menschen der Welt gesund und innerhalb der planetaren Grenzen ernähren können. So sieht ihr Speise-Masterplan aus. Lecker, oder?
Dass dieser Leckerbissen einer Tabelle nicht so leicht verdaulich ist, konnten sich die Forschenden schon denken. Auf der Website der EAT Lancet Commission (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), welche die Studie herausgegeben hat, findet man daher ein Schaubild, das deutlich schöner angerichtet daherkommt.
Das magische Buffet für jeden Tag: Die Hälfte des Tellers voller Gemüse und Obst (mindestens 500 g), dazu eine ordentliche Portion Hülsenfrüchte und Nüsse (175 g), Vollkorngetreide (232 g), eine Kartoffel (50 g) und gesunde Öle (52 g).
Wer nicht darauf verzichten möchte, kann sich statt einer extra Portion pflanzlicher Proteine auch ein Stückchen Käse, einen Happen Fisch oder Fleisch sowie Zucker auf den Teller laden. Doch auch wenn diese Zutaten im Schaubild wie gesetzt erscheinen – benötigt werden sie nicht. Ein Blick in die Studie verrät vielmehr, dass die nachhaltigste Ernährung vegan ist (siehe auch der Tabellen-Leckerbissen oben). Einziger Wermutstropfen: Obwohl eine rein pflanzliche Ernährung äußerst gesund ist, muss Vitamin B12 substituiert werden.
Die genaue Aufteilung der Zutaten für die flexitarische Version der Planetary Health Diet.
Der kulinarische Imperativ
Und falls Du jetzt immer noch denkst: „Viel Gemüse, wenig Fleisch, erzähl mir was Neues“, noch zwei Gedanken zum Schluss. Erstens, die Planetary Health Diet ist so detailliert bezüglich der einzelnen Lebensmittelkategorien, dass Kantinen, Mensen und Krankenhäuser ausschließlich Gerichte nach ihrem Vorbild zusammenstellen und anbieten können. Und zweitens, würden alle (bald zehn Milliarden) Menschen jeden Tag Mahlzeiten essen, die nach dieser Rezeptur zusammengestellt sind, würde unser Essen weder eine planetare Grenze noch unsere Körper überstrapazieren.
Mit anderen Worten: Wenn Du Dich gemäß der Planetary Health Diet ernährst, nimmst Du durch Dein Essen nicht mehr ökologischen Raum ein, als Dir bis 2050 und danach zusteht. Es ist ein solidarisch-kulinarisches Pro-Kopf-Budget (sorry, Pro-Topf-Budget), für das Du Dich von jetzt auf gleich entscheiden kannst.
Um den Gedanken zu verdeutlichen, habe ich für die CO₂-Emissionen eine kleine Rechnung aufgestellt. Um zehn Milliarden Menschen gesund ernähren zu können, würden selbst bei Klimaneutralität laut Studie global immer noch fünf Gigatonnen CO₂-Äquivalente durch unsere Ernährung entstehen.
Auf eine einzelne Person heruntergerechnet bedeutet das, jede*r darf maximal 500 Kilogramm CO₂ pro Jahr „wegessen“ – aktuell sind wir in Deutschland bei 3,5-mal so viel.
Noch konkreter: Du solltest jeden Tag nicht mehr als rund 1,5 Kilogramm CO₂ durch Deine Ernährung verursachen. (Bitte nicht auf die genaue Zahl festnageln – es geht um den Grundgedanken.) Würden sich alle daran halten, wären wir einen Riesenschritt weiter Richtung Klimaschutz.
Alle daran halten … Hat da nicht ein berühmter deutscher Philosoph, dessen Name man nicht in englischen Talkshows aussprechen sollte, diesen kategorischen Imperativ aufgestellt? Irgendetwas mit „handle so, dass die Maxime Deines Handelns zum allgemeinen Gesetz werden könne“. Essen ist auch handeln, warum sollte es dann nicht auch einen kulinarischen Imperativ geben?
„Ernähre Dich so, dass Dein Essen zum Essen aller werden kann.“
Du kannst hier und jetzt vorangehen und den ersten Schritt machen.
Bist Du dabei? Dann Eat this!
Vielleicht denkst Du dir jetzt: Planetary Health Diet und kulinarischer Imperativ schön und gut, aber Tabellen und Rechnungen kann ich nicht kochen. Das sehen wir genauso. Deshalb haben wir eine gepfefferte Überraschung vorbereitet.
Jörg und Nadine vom Food-Blog Eat this entwickeln seit 2011 die köstlichsten veganen Rezepte. Kleiner Tipp: Mach nicht den gleichen Fehler wie wir und guck Dir ihre Kreationen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) an, wenn Du gerade besonders hungrig bist.
Wir haben die beiden einfach mal gefragt, ob sie als Rezept-Expert*innen die Zahlen aus der Planetary Health Diet nicht in ein leckeres, inspirierendes Gericht verwandeln können. Dabei herausgekommen ist Klimawissenschaft zum auf der Zunge zergehen lassen.
Planetary Health Bowl mit Lupinen & Kurkuma-Dressing
Für die Bowl, die sich genau nach den Vorgaben der Planetary Health Diet richtet, haben Nadine und Jörg nährstoffreiches Buchweizen als Basis ausgesucht. Dazu kommt ein Rohkostsalat aus Rote Bete, Karotten und Apfel, angemacht mit Leinöl und Apfelessig. Außerdem Ofengemüse aus würziger Pastinake und Champignons, etwas frischer Feldsalat und Sauerkraut als fermentiertes Topping.
Ergänzt wird das Ganze mit Lupinen. Zum Schluss noch das Kurkuma-Sonnenblumenkern-Dressing und fertig ist die Planetary Health Bowl. Die genaue Anleitung gibt's drüben bei Eat This:
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Treibhauspost Community-Umfrage
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Wie hast Du Dich im vergangenen Jahr überwiegend ernährt?
A) Konventionell (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
B) Flexitarisch (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
C) Pescetarisch (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
D) Vegetarisch (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
E) Vegan (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
F) Nach der Planetary Health Diet (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
Und hier sind die Antworten aus unserer Ausgabe #43 zu Klima und Ungleichheit:
Die nächste Ausgabe bekommst Du am 11. März.
Bis dahin
Julien
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