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Gut und Böse: Der Wunsch nach Eindeutigkeit

In den letzten zwei Jahren ist in der bindungsorientierten Bubble (BO) eine Diskussion entflammt, in der es um eine rechte Unterwanderung innerhalb dieser Szene geht. Insbesondere der Artikel von Anne Dittmann (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) hat im September 2020 dazu beigetragen das Thema sichtbar zu machen. Viele waren unglaublich dankbar für jenen Text, entweder weil sie endlich Worte für ihr eigenes Unbehagen fanden oder weil sie schlichtweg nicht wussten, dass so etwas geschieht. 

Kritik oder pauschale Verurteilung?

Gleichzeitig gab es aber auch Stimmen, die eine solche Unterwanderung negierten und sich zur Wehr setzen. Einige fühlten sich persönlich angegriffen oder wollten einfach nicht wahrhaben, dass ihre 'Held*innen' mit der rechten Szene kuscheln. Und na klar ist es schmerzhaft, wenn wir erfahren, dass Menschen, die wir schätzen und an deren Wort wir immer glaubten, plötzlich in einem ganz anderen Licht dastehen. So menschlich und nachvollziehbar der Verteidigungsmodus ist, so bequem ist er letztlich. Denn: Indem wir uns nicht mit den Fakten auseinandersetzen, brauchen wir auch nicht über die Konsequenzen sowie die eigenen Anteile nachdenken. Ja, ich kann das wirklich nachvollziehen. Denn auch ich habe bis vor ein paar Jahren eine Person wie etwa Gerald Hüther sehr geschätzt. Viele seiner Artikel und Bücher habe ich regelrecht verschlungen. Gerald Hüther und die BO gehörten für mich untrennbar zusammen. 

Meine eigenen Berührungspunkte zum Thema rechte Unterwanderung begannen im Jahr 2019. Zu diesem Zeitpunkt schrieb ich im Rahmen meines Masterstudiums an einer Arbeit zu Antifeminismus und Rechtsextremismus. Während meiner Recherchen entdeckte ich beim stramm rechten Magazin "Sezession" (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), dessen Herausgeber Götz Kubitschek (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) ist, einen Artikel der von Gerald Hüther verfasst wurde. (Kubitschek gehört zu den wichtigsten Akteure*innen der Neuen Rechte und er hegt enge Verbindungen zu Personen wie zum Beispiel Björn Höcke.) Da jener Artikel zu diesem Zeitpunkt mehr als zehn Jahre alt war, suchte ich nach Stellungnahmen, in denen sich Hüther von Kubitschek und den Rechten distanzieren würde. Ich hoffte es so sehr. Nur leider war da nichts. Stattdessen zeichnete sich für mich ein ganz anderes Bild und ich erkannte nach und nach: Die BO wird von rechten Akteure*innen vereinnahmt. 

Das Gut-Böse-Schema wie im Märchen funktioniert nicht

Seit ich bei Instagram öffentlich über rechte, aber auch pseudowissenschaftlichen Strömungen schreibe und mich kritisch zu Personen sowie Bewegungen äußere, bekomme ich nicht nur freundliche Nachrichten (auch wenn diese überwiegen). Ich bekomme manchmal Nachrichten, in denen mir der Vorwurf gemacht wird, dass ich Menschen pauschal in 'Sippenhaft' nehme, weil diese mit einer 'problematischen Person' sprächen bzw. sich nicht von ihr distanzieren würden. Jene, die mir schreiben, berichten sie seien verwirrt und wissen nicht mehr wer gut und böse ist. Und überhaupt: Ständig müsse man in Angst leben etwas falsches zu sagen oder mit den falschen Menschen in Kontakt zu treten. 

Ich verstehe das dahinterliegende Bedürfnis: Es ist der Wunsch nach Eindeutigkeit. Es wäre doch so einfach, wenn der Mensch entweder 'gut' oder 'böse' ist. Wir öffnen eine Schublade und wissen ganz genau wer oder was sich darin verbirgt. Doch so einfach wie in einer Märchengeschichte - bei der wir die Protagonist*innen eindeutig nach dem Gut-Böse-Schema einsortieren können - ist es am Ende eben nicht. Wir Menschen haben viele Anteile. Und die sind sogar ganz oft gleichzeitig da. Denn nur weil wir beispielsweise in einer Situation unfair oder unfreundlich agieren, bedeutet das im Umkehrschluss nicht, dass wir immer so handeln oder dass wir so sind. Kurzum: Wir sind weder nur das eine, noch nur das andere. Vielmehr bewegen wir uns innerhalb dieser Extremen hin und her. 

So ist Gerald Hüther für mich nicht 'böse'. Ich achte und respektiere ihn als Menschen. Alles was ich tue, ist Kritik zu üben. Diese Kritik bezieht sich auf die Inhalte, die er öffentlich teilt. Ich kritisiere seine Nähe zur rechten Szene. Ich kritisiere, dass er sich nicht von der rechten Szene distanziert. Ich kritisiere, dass er pseudowissenschaftliche Thesen verbreitet. Es geht dabei nicht darum - auch das wird mir immer wieder vorgeworfen - ihn als Person zu diffamieren oder schlecht zu machen. Es geht vielmehr darum die Mechanismen rechter Strukturen aufzuzeigen und darüber aufzuklären. 

Aber: Die Strukturen und Mechanismen von rechts sind nun einmal nicht so eindeutig, wie wir uns das vielleicht wünschen würden. Als ich vor ein paar Wochen über Elternkongresse in der BO schrieb und darüber, dass sich darunter Speaker*innen befinden, die Verschwörungstheorien verbreiten oder die sich der rechtspopulistischen Partei AfD nahe fühlen, wurde ich von einigen stark attackiert. Auch hier war der Vorwurf, ich würde pauschal urteilen bis hin zu, ich würde die 'wertvollen' Elternkongresse 'zerstören' (als ob ich so viel Macht besitzen würde - nun gut). Und natürlich sind nicht alle, die bei jenen Kongressen teilnehmen rechts. Darauf habe ich explizit hingewiesen. Aber - auch darauf habe ich aufmerksam gemacht - genau diejenigen, die eben nicht rechts sind, tragen mit ihrer Teilnahme an den Kongressen dazu bei, dass Stück für Stück problematische Inhalte in die Mitte der Gesellschaft transportiert werden. Sie tragen, wenn auch nicht gewollt oder unbewusst, dazu bei, dass rechte Akteure*innen Reichweite bekommen und dass ihre Inhalte verbreitet werden. Und genau hier müssen wir eine klare Grenzen ziehen. 

Gut und Böse. Richtig und Falsch. Subjektiv und Objektiv. Schwarz und Weiß. Es wäre doch toll, wenn wir einfach in diese Kategorien einsortieren könnten. Wenn es keine Widersprüchlichkeiten gäbe. Wenn wir ganz klar sagen könnten: Der oder die ist böse. Oder: Der oder die macht alles richtig. Wir wüssten genau woran wir sind, wer Freund und wer Feind ist. 

Ja: Es ist verdammt schwer auszuhalten, dass Menschen, die sich doch so sehr für eine liebevolle Erziehung im Sinne der Bindungstheorie einsetzen, gleichzeitig in der rechten Szene zu finden sind. Und: Haben wir nicht gelernt, dass die Nazis für Abhärtung und Bestrafung sind und dass eine beziehungsorientierte Haltung das komplette Gegenteil ist? Also kann die BO ja gar kein Nazi-Problem haben, weil das wäre ja unlogisch und ein kompletter Widerspruch. Ich kenne die Argumente...

Diskursverschiebung

Schreibe ich einen Beitrag und kläre über rechte Strategien und Mechanismen auf, dann passiert oft das Gleiche: Mir schreiben Menschen, die sagen sie würden sich weder rechts noch links verorten. Sie seien aber selbstverständlich für Meinungsvielfalt, Freiheit und Demokratie. Ich bekomme Nachrichten, in denen ich aufgefordert werde Studien und Beweise zu liefern. Nachrichten in denen ich aufgefordert werde zu diskutieren, weil der*die Nachrichtenschreiber*in 'ehrlich' an daran interessiert sei sich mit meinen Argumenten auseinanderzusetzen. 

Vor allem das Scheinargument (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) der Meinungsvielfalt trägt zu einer Diskursverschiebung bei. So wird häufig gefordert, dass alle Positionen gleichberechtigt berücksichtigt werden, weil dies ja zur Demokratie dazugehöre. Klar ist, dass in einer Demokratie das Recht auf freie Meinungsäußerung sichergestellt ist. So weit, so richtig und wichtig. Aber: Eine Demokratie bedeutet eben nicht, dass sie völlig grenzenlos ist. Um eine demokratische Ordnung zu wahren, muss sie sogar Grenzen ziehen. Ansonsten wäre sie in ihrer Existenz gefährdet.

So sind Antisemitismus, Rassismus oder Transfeindlichkeit keine Meinungen, die von der Meinungsvielfalt abgedeckt werden. Das sind menschenverachtende Positionen, die in einer Demokratie Konsequenzen haben müssen. Sie dürfen nicht Teil eines öffentlich akzeptierten Diskurses sein. Hier gilt es immer und immer wieder die Grenze zu ziehen. Laut und deutlich. Das mache ich. Immer und immer wieder. Nicht mehr - aber auch nicht weniger.

Ich danke allen, die das auch tun. Egal in welcher Form. Ich sehe euch.

Herzlichst, Sandra

Und noch was: Bitte lest auch den Artikel von Nora Imlau "Falsche Freunde".  (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)