Ein Schotte, die Märchen und die Goblins
Als kleinen Nachtrag zum Podcast mit Ch (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)ristian Endres über die Märchen-Fantasy blicke ich kurz zurück auf den dort erwähnten Schriftsteller George MacDonald (1824-1905) und die Goblins. Denn der Schotte gehört nicht nur zu jenen kaum bekannten Autoren, die schon vor J.R.R. Tolkien in fantasievolle Welten entführten, er war der Mentor von Lewis Carroll (Alice im Wunderland), hat sich mit Mark Twain ausgetauscht und sogar den Oxforder Professor inspiriert, der seine Geschichten schon als Kind las.
Tolkiens Biograph Humphrey Carpenter schrieb über dessen Inspirationen: "He was even more pleased by the ‘Curdie’ books of George Macdonald, which were set in a remote kingdom where misshapen and malevolent goblins lurked beneath the mountains." Curdie ist ein Bergmannsjunge aus dem Roman The Princess and the Goblin aus dem Jahr 1872, der einen geheimen Tunnel der Goblins unter dem Schloss entdeckt, durch den die Prinzessin entführt werden soll.
Einige Stellen dieses Romans sollen u.a. Szenen aus der Der Hobbit beeinflusst haben, darunter die erste Begegnung mit den Trollen. Auf jeden Fall gilt er zusammen mit anderen Geschichten von MacDonald, wie etwa Phantastes (1858), als frühes Beispiel der Fantasy. Sie richten sich auf den ersten Blick an Kinder, stecken allerdings wie Märchen voller Symbole von weißen Tauben über Spinnräder bis hin zu roten Unterröcken. Und das von ihm dargestellte Bergwerk der Goblins wird oft als das Unterbewusste interpretiert.
Heutzutage trennen Fantasyfans meist streng zwischen Goblins und Orks, Erstere werden von D&D bis DSA meist kleiner und als weniger gefährlich dargestellt. Aber Tolkien selbst gebrauchte die Begriffe fast wie Synonyme, denn Goblin oder Hobgoblin war seine englische Übersetzung für den Orc. Und es gab auch einige große Biester unter ihnen, wie etwa Azog den Goblin, der den Zwerg Thror erschlug. Dass er die Völker nicht so klar trennte wie heutige Spielleiter, erkennt man auch am Schwert Orcrist aus Gondolin, das die Elben Goblin-Spalter nannten.
In das Etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache haben es die Goblins zwar nicht geschafft, aber einige ihre kleinwüchsigen Verwandten sind dabei. Da werden z.B. die Gnome genannt, die im 16. Jahrhundert erstmals bei Paracelsus (1493-1541) als Elementargeister auftauchen und die er Berg- oder Erdmännlein nennt. Sprachlich noch älter sind die Kobolde, die man bis ins Mittelhochdeutsche des 13. Jahrhunderts als Hausgeister zurückverfolgen; kann; und falls tatsächlich"hold" in ihnen steckt, waren sie "gute" bzw. "wohlwollende" Mitbewohner. Und sie werden in manchen deutsche Übersetzungen für Goblins eingesetzt.
In meiner Spielevita tauchen die Goblins übrigens meist positiv auf. Als ich mir 1989 Grand Monster Slam für den Amiga kaufte (ein Fantasy-Sportspiel, bei dem man Fellwesen hin- und herschießt - das war cool!), war ein goldener Goblin als Miniatur in der Box, der für viele Jahre mein Glücksbringer auf der Stereoanlage war. In meiner ersten Bewerbung als Redakteur für ein Spielemagazin sprangen im szenischen Einstieg von Icewind Dale (2000) die Goblins aus dem Gebüsch und verhalfen mir direkt zu einem Job. Und später hatte ich meist Spaß, wenn sie am Bildschirm dabei waren - egal ob in der Echtzeit-Strategie von Goblin Commander (2003) oder in den beiden Schleich-Abenteuern von Styx (2012, 2014).
Ob ich die nächste Begegnung auch in guter Erinnerung haben werde? In Dragon's Dogma 2 sollen sie mal wieder hinter Fels und Gebüsch lauern. Allerdings sind sie wohl etwas dämonischer unterwegs, denn sie gelten als Geister böser Baumwurzeln, die manchmal wie Hörner aus ihren Köpfen wachsen. Apropos, vielleicht interessant: Elden Ring: Auf den Spuren der Gehörnten (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Auswahl an Literatur von George MacDonald:
Phantastus. Ein Feenmärchen. Robinson, 1984.
Die Prinzessin und der Kobold. Freies Geistesleben, 1996.
Die Prinzessin und Curdie. Freies Geistesleben, 1997.
Hinter dem Nordwind. Freies Geistesleben, 1993.