Vertiefung: Shadow of the Colossus
Ich springe aus vollem Galopp von einem Pferd, um mich am Flügel eines riesigen Drachen festzuhalten, der so über Berg und Tal hinweg rast, dass sie unter mir in sandgrauen Konturen verschwimmen. Während ich wie eine Spielzeugpuppe vom Wind geschüttelt werde, geht er in einen Gleitflug über. Ich kann mich hinauf ziehen, auf den mächtigen Rücken springen und über die schuppige Lederhaut taumeln, an knochigen Wirbeln vorbei, die wie Bäume vor mir aufragen.
In weiter Ferne, ganz hinten am Schweif, erkenne ich das blaue Glimmen, das die verwundbare Stelle dieses Kolosses zeigt. Aber plötzlich schlägt er mit den Flügeln, ich stürze, halte mich in letzter Sekunde an einem Fellbüschel fest, hunderte Meter freien Fall unter mir. Wird die Ausdauer reichen? Werde ich dem Ziel im nächsten Gleitflug näher kommen, um schließlich mein Schwert mit aller Gewalt in dieses Wesen zu stoßen, während schwarzes Blut in einer Fontäne heraus spritzt und es vor Schmerz aufschreit?
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Nur durch die Vernichtung aller 16 Kolosse hoffe ich als Held namens Wander die verstorbene Geliebte Mono wieder lebendig machen zu können. Laut Story bin ich in einem verbotenen Land unterwegs, überschreite dabei aber längst mehr als eine territoriale oder religiöse Grenze. Denn ich töte etwas Uraltes und Schönes, ich kappe eine Verbindung und breche Tabus, um etwas Verstorbenes und Schönes zu beleben. Vielleicht verspüre ich deshalb im Moment des grausam inszenierten Todes nicht nur diese Scham, sondern diese ungewöhnliche Trauer.
Ich wollte eigentlich auf einen szenischen Einstieg verzichten. Aber Formulierungen wie „situative Spannung“ oder „revolutionäre Bosskämpfe“ werden diesem außergewöhnlichen Action-Adventure nicht gerecht, in dem sich jede Kleinigkeit, vom Haar bis zur Pupille, vom Licht bis zur Musik in ein digitales Erlebnis höchster künstlerischer Ausdruckskraft und spielerischer Intensität einfügt. Denn das, was am 18. Oktober 2005 aus dem Schatten der PS2 trat, war tatsächlich etwas nicht Erspieltes, etwas nahezu Unvergleichbares, das selbst erfahrene Spieler und Journalisten weltweit in Staunen versetzte.
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