Angekündigt: Exodus: Become the Traveler (PC, PS5, XBS)
Als James Ohlen, u.a. Creative Director von Baldur's Gate II und Star Wars: Knights of the Old Republic, nach 22 Jahren BioWare verließ und im April 2019 ein neues Studio für Wizards of the Coast namens Archetype Entertainment (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) gründete, war der Online-Shooter Anthem gerade zwei Monate erhältlich.
Ich erinnere mich noch, wie ich damals bei der Ankündigung den Kopf schüttelte und mich fragte, wohin sich die Kanadier da bloß verirren. Die ehemalige Rollenspiel-Magie war verflogen, weder das enttäuschende Dragon Age: Inquisition (2014) noch das solide Mass Effect: Andromeda (2017) konnten an die Faszination der Pionierzeit anknüpfen.
Für mich war das eine wehmütige Ernüchterung. Es war fast so, als würde man einen alten Freund immer weiter aus den Augen verlieren. Selbst wenn man dem Genre zugeneigter war, war die Ausbeute schmerzhaft: Anthem war ein Scherbenhaufen aus offensichtlichem Missmanagement, schlechten Kritiken und in der Öffentlichkeit debattiertem Crunch.
Hatte man die eigenen Wurzeln vergessen? War die kreative Luft raus? Drängte Electronic Arts auf das profitablere Genre der Multiplayer-Action? War der finanzielle Druck zu groß? Vermutlich war es wie so oft eine Mischung, die sich wie ein Fluch durch viele Geschichten ehemals großer Studios zieht.
Im Rückblick kann man das mit Concord vergleichen, nur dass Anthem länger dahin siechte und gerettet werden sollte, bevor man den Versuch im Februar 2021 aufgab. Was hatte man daraus gelernt? Dass man sich für Dragon Age: The Veilguard (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) besser auf ein Abenteuer für Solisten ohne offene Welt konzentriert. Obwohl das richtig war, hat es nicht viel geholfen.
Ich habe in meiner Rezension (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) dargelegt, warum mich das aktuelle Fantasy-Rollenspiel enttäuscht hat. Noch besser als die Anknüpfung an gewisse Tugednen ist manchmal ein radikaler Neuanfang, und zwar in dem kreativen Geist, der den Erfolg ermöglichte. Danach klingt zumindest das, was James Ohlen und sein Team mit Exodus: Become the Traveler (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) vorhaben.
Vielleicht folgten ihm deshalb namhafte Veteranen des kanadischen Studios, darunter der Technik-Experte Chad Robertson und Storywriter Drew Karpyshyn; auch einige Ex-Entwickler von Naughty Dog sollen dabei sein. Wizards of the Coast hatten ja abseits von Dungeons & Dragons die Entwicklung neuer Rollenspiel-Marken angekündigt. Und anscheinend wollen sie auch den Geist des alten BioWare in Archetype Entertainment beschwören. Karpyshin äußerte sich dazu 2020 in einem Interview (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre):
„Meine Leidenschaft ist neu entfacht worden. Die Stimmung im Studio erinnert mich an meine frühen Tage bei BioWare; ich kann die Magie in der Luft spüren.“
Natürlich besteht mehr als ein Grund für Skepsis, zumal Wizards of the Coast als Publisher, der seit 1999 zum Spielzeugriesen Hasbro mit einem Jahresumsatz (2022) von 5,86 Mrd. Dollar gehört, ähnlich gewinnorientiert tickt und nicht nur mit seinen Cash Cows, Stichwort: Magic: The Gathering, oftmals ähnlich in der Kritik steht wie Electronic Arts.
Und sie investieren sehr viel Geld in Archetype Entertainment. Exodus wird keine Fingerübung, sondern Triple-A auf Grundlage der Unreal Engine 5 mit namhafter Prominenz. Als es bei den Game Awards 2023 enthüllt wurde, stand kein Geringerer als Matthew McConaughey (True Detective) auf der Bühne. Und der Science-Fiction-Autor Peter F. Hamilton (Armageddon) veröffentlichte kürzlich einen Roman zum Rollenspiel.
Ähnlich wie George R.R. Martin im Fall von Elden Ring legt der Brite das historische Fundament des Spiels, nur dass er direkter mit Karpyshin zusammen arbeitet, dem ehemaligen Lead Writer für Mass Effect 1 und 2. Ich habe Exodus: The Archimedes Engine, dem ein weiterer Roman folgen soll, bisher nicht gelesen; noch ist er auch nicht auf Deutsch erschienen.
Hamilton entführt in eine ferne Science-Fiction-Welt, in der die Menschheit vor etwa 40.000 Jahren die Erde verließ, um neu anzufangen. Und im Centauri Cluster fanden sie zig bewohnbare Planeten. Dort entwickelte sich unsere Spezies über tausende Jahre radikal weiter, in verschiedene Völker, die als so genannte Celestials bezeichnet werden, wobei die Lust auf Krieg und Vernichtung bestehen blieb. Wenn weitere Menschen von der alten Erde auf sie treffen, wirken sie schon wie Aliens. Einige Aspekte wurden in diesem Trailer angerissen:
https://youtu.be/WAKAZNQuLqw (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)Weil diese weit fortgeschrittene Zivilisation mit der so genannten Archimedes Engine irgendwann ganze Planeten bewegen und durch Terraforming gestalten konnte, entstanden hunderte paradiesische Koloniewelten. Allerdings kollabieren diese "Edenwelten", wenn die planetare Archimedes Engine ihren Geist aufgibt. Hinzu kommt ein technologisches Virus, das die lebenserhaltenen Systeme angreift. Und on top wollen die Celestials die Menschheit, also ihre Vorfahren, versklaven.
Dieses apokalyptische Szenario droht auch der Edenwelt Lidon. Doch jetzt kommen die so genannten Traveler ins Spiel, die gegen die Celestials kämpfen, alles reparieren und den Untergang verhindern wollen.
Apropos Traveler: Auch wenn der Name so klingt, bezieht er sich nicht direkt auf das Pen&Paper-Rollenspiel Traveller, das mit zwei L geschrieben wird und das erste analoge Science-Fiction-Rollenspiel ist. Es erschien 1977, als Star Wars in den Kinos anlief und wurde von Marc W. Miller konzipiert. Bis dahin gab es am Tisch nur von D&D geprägte Fantasy.
Traveller war nicht von George Lucas' Film inspiriert, sondern von zahlreichen, heute vergessenen SciFi-Kurzgeschichten der 60er, darunter Space Viking, Dumarest of Terra oder Dorsai. Es steckte voller kreativer Ideen und Todd Howard bekräftigte, dass dieser Klassiker auch Starfield beeinflusst hat. Mehr zu diesem wunderbaren Rollenspiel erfahrt ihr in dieser Erkundung (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), aber jetzt zurück zum Traveler in Exodus, einer Art Profi-Weltenretter.
Sie gehören zu einer Dynastie an Spezialisten, die außerhalb der Zeit agieren: Verbringen sie einen Tag auf einem Planeten, vergehen Jahrzehnte woanders - das soll sich auch auf Quests auswirken, wenn man etwa einen Gefährten irgendwo zurücklässt und später wiederkehrt. Und wie Mönche, allerdings der kämpfenden Art, haben sie ihr Leben ihren Zielen gewidmet, darunter auch Jun Aslan - mit dem es jetzt erste Spielszenen gibt:
https://youtu.be/DmJxSKn47EE (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)Man sieht ihn im aktuellen Trailer, wie er sich akrobatisch über Abgründe schwingt, Lasersalven in Androiden jagt und mit Gefährten in einen Bosskampf gegen einen Roboter-Bären verwickelt ist. Nicht nur hinsichtlich der Ästhetik und Figurendesigns erinnert so einiges an Mass Effect - bis auf die deutlichere akrobatische Note.
Es ist zu sehen wie man in Schultersicht Deckung suchen, sich tarnen und hinterhältig angreifen kann; Nah- und Fernkampf gehen nahtlos ineinander über. Hinzu kommen konfliktreiche Dialoge mit den Gefährten, denn das soll trotz der Gefechte kein Shooter, sondern ein Action-Rollenspiel mit Entscheidungen und Konsequenzen werden - offiziell nennt man es ein Science Fiction Action-Adventure RPG.
Allerdings nicht à la Starfield in offener Welt, sondern in begrenzten Arealen. Das eigene Raumschiff dient als Hauptquartier, von dem aus die Orte für Quests frei angeflogen werden, darunter auch Städte. Denn um die Heimat Lidon zu retten, muss man wohl quer durch die Galaxie reisen und Artefakte bzw. Technik aufspüren.
Man kann als Mann oder Frau spielen, wird bis zu zwei Leute mit entwickelbaren Fähigkeiten in sein Trio aufnehmen können, darunter sowohl Menschen als auch Aliens diverser Klassen wie Soldaten, Wissenschaftler, Attentäter, Erfinder, Changelings und Erweckte - enthüllt wurde z.B. die Mech-Söldnerin Elise Charroux.
Manche sollen sich regelrecht hassen, Romanzen sind ebenfalls möglich. Matthew McConaughey wird allerdings nicht (wie zunächst gedacht?) den Protagonisten Jun, sondern einen der relevanteren Nebencharaktere einspielen.
Das erzählerische Grübeln und die moralischen Konflikte sollen auch durch die Frage entstehen, was man mit der von den Celestials erbeuteten Technologie macht. Über sie kann man nicht nur seine eigenen Waffen, sondern auch das Schicksal der Planeten beeinflussen. Man erkennt in dem Trailer, wie sich eine froschartige Spezies für das Eingreifen der Traveler bedankt.
Ich habe mich zunächst gewundert, dass man die neuen Szenen nicht auf den diesjährigen Game Awards zeigte. Aber so, kurz danach, hallt er wie ein letzter vielversprechender Tusch des Jahres nach. Wie gesagt, ist hier noch einiges offen: Kann Jun an das Charisma von Commander Shephard rankommen? Entsteht in dieser Science-Fiction ein futuristischer Sense of Wonder wie im ersten Mass Effect?
Ich traue dem Team jedenfalls einiges zu, freue mich auf die Ausrichtung als Rollenspiel und deshalb landet Exodus in meiner Top 9 kommender Spiele, die ihr unter Kurs findet (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Es gibt allerdings noch keinen Termin.