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Springen (#1)

Zum ersten Mal denke ich im Herbst 2019 darüber nach, einen Newsletter zu schreiben. In diesem Herbst ist einiges los. Zum Beispiel höre ich auf, Alkohol zu trinken, und ich stürze mich in die Recherche für ein Buch, allerdings ohne auch nur den blassesten Schimmer zu haben, dass es die Recherche für ein Buch sein wird. Eigentlich habe ich andere Pläne, für ein anderes Buch; ich will mit dem nächsten Roman beginnen in diesem Herbst.

Mein Vorhaben ist klar, und dann denke ich also über einen Newsletter nach. Ich melde mich bei Steady an, ich nenne den Newsletter Literabo, was angenehmer zu lesen als auszusprechen ist. Meine Idee ist, Erzählungen zu veröffentlichen, weil Erzählungen das sind, was ich in dieser Zeit hauptsächlich schreibe. Ich lege los, plane, ich bin gut darin, mich in eine Sache erstmal rauschhaft hineinzustürzen, ich rechne, ich recherchiere, ich male mir das ganz schön aus. Lege die ersten fünf, sechs Erzählungen fest. Dann wird mir bewusst, was ich eigentlich weiß, nämlich dass ein Newsletter bedeutet, dass ich schreiben muss, mehr, regelmäßiger, routinierter als zuvor. Am besten, sage ich mir, schreibe ich noch mehr vor, schaffe ich genug Material für ein Jahr. Und überarbeite die vorhandenen Erzählungen nochmal, und nochmal, denn so wie sie sind, können sie irgendwie doch nicht veröffentlicht werden.     

Ein Strand mit Felsen im Abendlicht, unten steht in gelber Schrift "I'm a planner"

I’m a planner. Ich bin gern vorbereitet. Ich habe eigentlich immer Snacks dabei, und eine Flasche Wasser. Oft bin ich zu warm angezogen. Ich nehme den Regenschirm mit, die Sonnenbrille und Schmerztabletten, für alle Fälle. Ich bin nicht nur gern vorbereitet, ich muss immer vorbereitet sein. Für jede Eventualität gewappnet. Die Sache ist natürlich, dass das nicht bloß Unmengen an Energie frisst, sondern dass es zusätzlich auch, na ja, unmöglich ist.

Mir fällt das einige Zeit nach diesem Herbst 2019 auf, nämlich im Sommer 2022, als ich mich auf eine Reise vorbereite. Ich fliege in die USA, nach Oregon, um Freund*innen zu besuchen, allein. Und ich habe zuvor noch nie allein eine solche Reise gemacht. Es ist noch immer Pandemie, ich bin generell in einem seltsamen Zustand. Ich will diese Reise machen, sehne mich danach, aber ich habe ungeheuer viel Angst.

Was, wenn ich mich im Flugzeug mit Covid infiziere? Was, wenn ich meine Freund*innen, bei denen ich wohnen werde, anstecke? Was, wenn ich heftig krank werde? Was, wenn ich mich nicht gut ausdrücken kann auf Englisch? Was, wenn es meinen Freund*innen zu viel wird, dass ich so lange da bin? Was, wenn es mir zu viel wird, ständig von Leuten umgeben zu sein, keinen Rückzugsort zu haben, was, wenn es zu teuer wird, alles, was, wenn ich dann aber trotzdem ein Hotel bezahlen muss, was, wenn ich ein Auto brauche, ein Auto mieten muss, ein Auto fahren muss (das ist noch eine ganze andere Geschichte), was, wenn mein Rückflug gestrichen wird, was, wenn ich meinen Rückflug nicht antreten kann, weil ich Covid bekomme, was, wenn ich Long Covid bekomme, was, wenn ich dann nicht mehr schreiben kann, was, wenn es meinem Partner zu Hause nicht gut geht, was, wenn es meinem Hund zu Hause nicht gut geht, was, wenn irgendetwas Unvorhergesehenes passiert?

Das ist nur ein winziger Ausschnitt. Ich habe also diese Angst, und ich habe auch eine schäumende Reaktion parat für diese Angst, ich schüttele den Kopf über mich und verurteile diese Angst, ich finde sie kindisch, finde sie eklig, was für Luxusprobleme, dann flieg halt nicht in die USA, dann bleib halt zu Hause. Und gleichzeitig versuche ich in meinem so surrenden Kopf das zu tun, was ich erst da als meine Strategie erkenne; ich versuche, jedes einzelne Bedürfnis zu antizipieren, das ich in den kommenden sechs Wochen haben könnte. Ich spiele Worst Case-Szenarien durch. Ich recherchiere, ich spreche mit Menschen. Ich spreche mit einer Person, die vor ein paar Wochen einen Transatlantikflug gemacht hat, ich frage sie, wie ist das mit der Maske, hast du im Flugzeug gegessen, hast du dich getraut, die Maske zum Essen abzunehmen? Ich spreche in der Therapie darüber, ich denke mir, während ich in der Therapie darüber spreche, wie furchtbar peinlich das ist, die Angst ist, ich bin.

〰️

Im Herbst 2019, in dem ich keinen Newsletter starte, versinke ich stattdessen in dem, was rückblickend die Recherche für Radikale Selbstfürsorge Jetzt (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)gewesen ist. Ich verwerfe den Newsletter, weil ich in drei Monaten keine einzige Zeile Prosa schreibe, keine neue Erzählung, es entsteht nicht mal so ein Fünkchen einer Idee. Ich sitze buchstäblich vor weißen Blättern und knicke ein und weiß in mir, ich hab es ja gewusst.

Irgendwann ist das Frühjahr 2022, und ich denke erneut über einen Newsletter nach, diesmal stelle ich mir das eher klassisch vor. Briefe im wahrsten Sinne, persönliche Essays, über das Schreiben und Nichtschreiben, über Kreativität. In einem Workshop mache ich eine Art Ankündigung dafür, ein Newsletter mit Schreib-Prompts, mit Tipps, mit Fragen und Antworten, na klar, ich behaupte aufgeblasen: Das schwebt mir vor, ist gerade in Planung. Aber dann wische ich das Vorschweben schnell wieder fort. Weil ich ja eigentlich, eigentlich endlich am neuen Roman arbeiten will und ein Newsletter mich nur ablenken würde davon. Ich habe zwei gute Schreibtage im April. Daraufhin buche ich den Flug in die USA. Ich gehe davon aus, dass die Muse geküsst hat, jetzt geht es so weiter, ich schreibe, wenn ich dann mal angefangen habe, normalerweise schnell, normalerweise viel. Ein einziges Mal vertraue ich also, für die Dauer einer Flugbuchung im Internet. Ich schreibe nach den zwei Tagen im April nicht mehr weiter.

Von oben nach unten: Ein Rucksack, eine FFP2-Maske, eine Bauchtasche, ein Stoffbeutel, all das auf einer Jeansjacke, eine Wasserflasche, links Svenjas Hand und darin ein Taco. Unten steht in gelber Schrift "proof of journey"

Vor dem Abflug habe ich vor allem auch Angst davor, dass ich mir Zeit stehle. Sie verschwende. Dass es unklug ist, definitiv nicht wirtschaftlich, ich sollte schreiben, und wenn schon nicht das, dann arbeiten, Geld verdienen, in jedem Fall nicht reisen. Ich habe keine Reise verdient. Und vielleicht fordert mein Hirn mich deshalb so heraus, schmeißt mir all diese anderen Ängste vor die Füße oder eher ins Gesicht, es will mich zurückhalten und ich gehe davon aus, dass es recht hat damit.

Ich habe häufiger als zweimal über einen Newsletter nachgedacht und mir immer geschworen, das mache ich gefälligst erst dann, wenn ich für mindestens ein Jahr in Vorleistung gegangen bin. Wenn da genug Futter und alle Arbeit längst investiert ist. Wenn ich die Sicherheit habe, dass etwas existiert, das ich rausschicken kann. Und ich sage mal so, das beißt sich ja schon per Definition mit einem Newsletter, das ist nicht nah am Moment, it doesn’t contain any news. Mein Sicherheitsdrang geht so weit, dass er mich vom Moment abhält. Mit Sicherheit hält er mich davon ab, auszuprobieren, einzutauchen. Zu springen. Zu vertrauen.

Die Wahrheit ist: Ich habe nie einen Newsletter gestartet aus Angst. Ich habe mich das nicht getraut. Ich habe Angst vor der Regelmäßig- und meiner eigenen Unzuverlässigkeit. Davor, unfertige, in jedem Fall unperfekte Texte zu veröffentlichen, ich habe Angst davor, lange zu brauchen, zu langsam zu sein. Vor Belanglosigkeit, davor, dass es niemanden interessiert, oder, schlimmer, dass es jemanden interessiert, und dann enttäusche ich Erwartungen, dann fällt mir nichts mehr ein, dann tröpfelt es aus. Und dann. Fordern die Leute ihr Geld zurück. Dann wird es unangenehm. Dann lacht jemand, und jemand regt sich auf, und den meisten ist es egal. Und dann, und dann, und dann.

Ein Schreibtisch vor einem Fenster, darauf steht ein aufgeklappter Laptop. Unten in gelber Schrift "so fühlt sich das in diesem Moment also an"

Ich fliege, im Sommer 2022, ich mache die Reise und erstaunlicherweise geschieht währenddessen nichts Schlimmes. In den ersten Tagen bin ich überfordert davon, unter Menschen zu sein, ich bin zerstreut und mir kommen die einfachsten Worte abhanden, ich vermisse meine Freund*innen zu Hause, das Vertraute, ich fühle eine wilde Palette an Emotionen. F. schreibt mir, dass sie das versteht, sie schreibt, und das klingt so simpel, dass ich atmen soll, und dass ich mir sagen soll: So ist das jetzt gerade, puh. So fühlt sich das in diesem Moment also an. Und dann nochmal atmen. — Das nehme ich mit und halte es die gesamte Reise über fest und halte auch mich ein bisschen fest daran, wann immer es nötig ist. Auch danach, auch beim Schreiben, auch beim Nichtschreiben, gerade dann.

All this only to end up here: Ich habe Angst, einen Newsletter zu schreiben, immer noch, und deswegen mache ich es.

Ich sitze an einem Schreibtisch und der Schreibtisch steht vor einem Fenster, und ich bin hier, um an meinem Roman zu arbeiten. Und ich habe diese Angst, weil ich immer noch lerne, mir selbst zu vertrauen. Weil ich lerne, einen solchen Satz nicht umgehend zu kommentieren mit: Haha, corny, oder? Ich lerne, damit okay zu sein, wenn ich nicht für alles gewappnet bin, nicht schon vorher ganz genau weiß. Damit okay zu sein, dass ich nicht alles abdecken und erfüllen kann, ich lerne wie eine Schnecke, dass nicht notwendig ist, permanent zu gefallen. Ich lerne, mit der Angst okay zu sein und mit dem Bedürfnis nach Sicherheit. Ich lerne ein Ausprobieren, behutsam, ein Eintauchen, nicht zu schnell. Warum also jetzt, warum nicht. Das hier ist mein Sprung.

"writing prompt" in gelber Schrift
  • ✏️ Was habe ich zuletzt gelernt?

  • ✏️ Was möchte ich gern lernen, aber habe mich bisher noch nicht getraut?

(Das mit den writing prompts funktioniert so: Du schnappst dir ein Notizbuch/Blatt Papier und einen Stift ODER dein favorisiertes Endgerät und öffnest ein neues Dokument/die Notizapp. Dann schreibst du die Frage/den Schreibanlass oben hin und legst los. Am besten, ohne zu viel darüber nachzudenken. Just go & see what happens.)

"sonst so" in gelber Schrift

Until soon,

Svenja

〰️ Du findest mich auch bei Instagram (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) und auf meiner Website (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).

〰️ Fotos im Beitrag: © Svenja Gräfen

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