Wie man schlechte Vorsätze macht (und ein paar gute)
Wir alle wollen ständig etwas ändern. An der Welt (Kann die Ampel-Koalition mal bitte…?!), an den anderen (Schon mal was von »Blinker setzen« gehört?!) oder an uns selbst (Ich ess zu viel Brot). Zu keinem Zeitpunkt ist die Veränderungsenergie so hoch wie zum Jahreswechsel. Und selbst diejenigen unter uns, die schon mit 14 Jahren altklug behauptet haben, sie hätten Vorsätze längst aufgegeben, können nicht ganz umhin, wenigstens ein paar Stellschrauben für 2024 setzen zu wollen. Das Problem daran, etwas zu verändern, ist allerdings, dass man etwas verändern muss. Damit das nicht passiert, hat Mika (auch passend zur heutigen SodaKlub-Folge) einen Guide geschrieben, wie ihr schlechte Vorsätze macht – vielleicht spricht sie aus Erfahrung.
1. Wähle einen Vorsatz, bei dem dein Selbstwert auf dem Spiel steht
Das ist das große Geheimnis aller schrecklichen Vorsätze: Such dir ein Vorhaben, das (zumindest für dich) völlig logisch dazu führt, dass du irgendwie als Mensch wertvoller wirst, auch wenn das für Außenstehende nicht ganz nachvollziehbar ist. Für Trinker:innen ist das Zwischenwasser beim Weintrinken sehr beliebt. »Wer es schafft, ein Glas Wasser zwischen zwei Gläser Wein zu schieben, ist automatisch ein edlerer Mensch – so jemand würde auch seine Wäsche zusammenlegen und erwachsene Beziehungen führen«, sagst du dir. Absolut logisch. Aber man muss kein Alkoholproblem haben, um solche Vorsätze zu machen. Sehr beliebt ist alles, was mit Gesundheit, Körper und »Disziplin« zu tun hat, also irgendwie moralisch aufgeladen ist: Zuckerfasten, Abnehmen, Sportroutine. Aber auch andere Vorhaben eignen sich, solange du dich nur genug dafür schämst, dass du es nicht schon eher auf die Reihe gekriegt hast.
2. Lege auf keinen Fall Kriterien dafür fest, wann dein Vorsatz erfüllt ist
Es ist immer wichtig, wenn man schlechte Vorsätze macht, keine Vorstellung davon zu haben, wann das Ziel erreicht ist. »Weniger Zucker« – Aber keine Ahnung wie viel genau oder für wie lange. »Regelmäßig Sport« – Aber kein Plan, wie häufig, welchen Sport, wie intensiv. Bloß beim Abnehmen ist die Sache ja meistens klar: So viel wie’s geht, so schnell wie möglich. Und über den Jojo-Effekt mach ich mir Gedanken, wenn es soweit ist. So startest du in dein neues Leben maximal verwirrt, bloß mit einer groben Idee, wie du dich fühlen willst, wenn dein Ziel erreicht ist. Das einzige Problem: Du wirst es eben nicht erreichen können, weil du es nicht formuliert hast.
3. Gib dich deiner perfektionistischen Utopie hin
Achja, Thema Gefühle! Jetzt, wo du mit einem Vorsatz pokerst, bei dem alles auf dem Spiel steht (nämlich du selbst), und bei dem die Spielregeln maximal unklar sind, träume dich in den Zustand, in dem du dir endlich bewiesen hast, dass du doch nicht dieser disziplinlose Müllmensch bist, den du immer heimlich befürchtet hast. Verbringe Stunden damit, dir deinen perfekten Wochenplan aufzustellen, in dem du 4 Mal Yoga machst und jeden morgen Joggen gehst. Kaufe Stifte in unterschiedlichen Farben, um die Termine farblich auf dein neues Sport-Outfit abzustimmen. Speichere Fotos von gesunden Bowls (ohne die zugehörigen Rezepte) oder kauf schon mal ein T-Shirt in Größe S als »Motivation«. Es fühlt sich alles sehr gut an. Es ist keine Zeit für Zweifel, deshalb…
4. Plane nur mit den perfekten Bedingungen
Auch das ist wichtig: Wenn du einen Plan machst, dann plane so, als würde alles im Leben immer glatt gehen. Denn wir wissen alle, dass das wirklich so ist. Nie geht die Spülmaschine kaputt und man braucht das Geld für die neuen Laufschuhe dann doch für die Reparatur. In der Beziehung läuft es immer alles easy, sodass man nie abends völlig ausgelaugt auf dem Sofa sitzt und einfach nur eine Tafel Schokolade einatmen will. Es gibt keine unvorhergesehenen Termine, keine plötzlichen Verpflichtungen. Man ist nie krank, hat nie eine absurd hohe Stromnachzahlung zu leisten, und wenn man Joggen gehen will, ist immer gutes Wetter.
5. Praktisch: Da alles glatt geht, brauchst du auch keinen Plan B
Es gibt nur einen Plan und der sieht vor, dass alles klappt. Du willst gar nicht in Erwägung ziehen, dass irgendetwas schief gehen könnte (du hast ja die farblich passenden Stifte und das richtige Outfit). Das ganze Projekt ist darauf angelegt, dein Leben so zu ändern, damit du dich endlich selbst mögen darfst. »There is no try, only do.« sagst du dir, weil Yoda definitiv mehr über Persönlichkeitsentwicklung weißt als du. Deshalb fokussierst du dich auf Plan A. Plan A ist: Du wachst morgen um 6 Uhr als neuer Mensch auf und machst endlich all die Sachen, die du in den letzten Jahren nicht hinbekommen hast. Frag dich nicht: Was mache ich, wenn ich zu müde bin? Frag dich nicht: Was mache ich, wenn ich Hilfe brauche? Frag dich nicht: Was mache ich, wenn es nicht klappt?
6. Starte voller Motivation
Du bist noch ein klein bisschen high von Schritt drei, der Vorstellung von dem perfekten Leben. Jetzt legst du los – gehst joggen, kochst frisch oder wirfst voller Elan die angefangenen Chipstüten in den Müll. »Mach ich das gerade wirklich?« fragst du dich. Du schaust dir dabei zu, wie du diese ganzen Sachen machst, die endlich dazu führen werden, dass du dich selbst akzeptieren kannst. »Also, wenn ich so bin« denkst du dir »dann bin ich ein okayer Mensch«. Plan B ist für Loser, die nicht an sich glauben. Du bist getragen von deiner Motivation, deiner neu gefundenen Selbstdisziplin, deinem geilen Outfit.
7. Mach eine Ausnahme
Es ist egal, um welche Situation es sich handelt. Vielleicht ist wirklich etwas gravierendes passiert, vielleicht hast du einfach nur schlecht geschlafen. Vielleicht lädt dich deine Freundin zum Kuchenessen ein, vielleicht findest du in der Küche der Gastgeber kein sauberes Glas für dein Zwischenwasser. Mach eine Ausnahme. Du musst nicht so streng zu dir sein. Du hast in der letzten Woche wirklich sehr eisern an deinem Vorhaben festgehalten, hast dich diszipliniert jeglicher Lebensfreude beraubt (bis auf den kleinen Trost, deinen Mitmenschen überlegen zu sein), jetzt kannst du dir was gönnen.
8. Lass deinen Plan fallen
Dieser Schritt ist eine Typfrage. Manche bevorzugen es, direkt mit einem »Ach scheiß drauf« alles auf einmal aufzugeben. Sie fegen mit einer großen Geste alles vom Tisch und ziehen sich beleidigt, deprimiert und betont gleichgültig in ihre alten Gewohnheiten zurück. Andere versuchen zu ihrem perfekten Plan zurück zu kehren, lassen ihn vielleicht auch auf ihrem Schreibtisch liegen, um sich zu motivieren. Aber es fühlt sich einfach nicht mehr so an, wie am Anfang. Die Euphorie ist verflogen und das gute Gefühl vom Anfang will einfach nicht zurück kommen. Die Ausnahmen häufen sich, auf dem Zettel mit den Sportterminen sammelt sich der Krims Krams. Heimlich still und leise, verschwindet die Hoffnung im Alltagsstress.
9. Zieh die absolut komplett und völlig falschen Schlüsse aus dieser Erfahrung
Dein Plan war, dir etwas zu beweisen und das hast du jetzt getan. Eigentlich wolltest du ein anderes Ergebnis, aber insgeheim hattest du schon vermutet, dass es diesmal wieder nicht klappt. Der Beweis, so sagst du dir, ist: Das bessere Leben ist etwas für die anderen. Ein okayer Mensch zu sein, ist was für die anderen. Die mit den Sportroutinen und den ordentlichen Finanzen. Wenn du in der Profi-Liga der schlechten Vorsätze spielst, kannst dich jetzt für das einzig wirklich gute an deinem Vorhaben verurteilen: Nämlich, dass du daran geglaubt hast, dass du etwas verändern kannst. Du brauchst gar nicht forschen, was schief gelaufen ist. Du brauchst dir auch keine Unterstützung suchen. Du kannst dein Vorhaben einmotten und es einfach nächstes Jahr wieder probieren, wenn du am 1. Januar als neuer Mensch aufwachst.
10. Bonus: Wieso müssen Vorsätze immer ernst sein?
Woher kommt eigentlich diese Idee, dass Vorsätze immer schwer und vernünftig sein müssen?
Ich habe im Internet einen Beitrag von jemandem gelesen, der sagte, sein Vorsatz für das neue Jahr wäre, möglichst viele Nudelsorten auszuprobieren. Und alle seine Freunde waren völlig überrascht: »Warte mal! Wir dürfen Spaß haben???«
Ich selbst hab mir vorgenommen, mich Stück für Stück durch diese Liste mit den 150 besten Alben (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) von weiblichen Künstlerinnen durchzuhören und dazu Bilder zu malen. Ich mache mir keine Illusion, dass ich das innerhalb eines Jahres schaffe, aber ich habe Lust, Musik zu entdecken und ganz in Ruhe Alben durchzuhören. Es gibt für mich dabei kein Scheitern im eigentlichen Sinne. Es ist einfach eine nette Sache. Der Fantasie sind natürlich keine Grenzen gesetzt: Ein Freund von mir macht Handy-Fotos von »Raucherbereichen« (alles, was gelb umrandet ist) und hat daraus eine witzige Reihe erstellt. Du kannst dir auch vornehmen, herauszufinden, welche Band aus deiner Teenager Zeit noch/wieder auf Tour geht und auf ein Konzert fahren. Du kannst coole Steine sammeln. Du kannst versuchen, immer das Gemüse oder Obst zu probieren, das du noch nicht kennst. Du kannst 3 gute Freund:innen zu dir zu einem Sleep-Over einladen. Du kannst dir einen Tanzkurs buchen (wenn du Tanzen magst). Du kannst dir sagen: 2024 wird das Jahr, in dem ich mindestens 50 verschiedene Hund streichel. Dream Big.
Aber wie findest du raus, was dir Spaß macht?
Hier sind zwei Ansätze:
Mach eine Mind-Map – Nimm dir bunte Stifte (ja, wirklich) und ein großes Papier. Schreib alles auf, was dir als Kind Spaß gemacht hat. Schreib alles auf, was dir jetzt Spaß macht. Schreib alles auf, was du viel zu selten machst. Schreib alles auf, wovon du glaubst, es könnte dir Spaß machen. (Bitte nix Vernünftiges)
Beschreibe die größte Herausforderung des letzten Jahres. Was war los? Wie hast du dich gefühlt? Was hat dir geholfen, die Situation zu bestehen? Was hättest du dir vielleicht noch gewünscht?
Jetzt frag dich: Wie kriegst du mehr davon? Wie stärkst du die Verbindung zu deinen Freund:innen, die für dich da waren? Wie intensivierst du dein Hobby, durch das du Zerstreuung gefunden hast? Wie kannst du deine Fähigkeiten, die dir geholfen haben, noch nutzen?
Achte darauf, wie du dich fühlst. Ein schlechtes Zeichen ist, wenn du denkst »Ja, ich sollte wirklich…« Ein gutes Zeichen ist, wenn du dich bei dem Gedanken albern, aufgeregt und voller Vorfreude fühlst. Denn das bedeutet, dass du Lust hast, die Sache zu machen und nicht nur, sie gemacht zu haben. Veränderung ist immer ein Prozess – Klar, kann der auch mal unangenehm sein. Doch ein Prozess, der nur funktioniert, wenn du dir selber weh tust, wird kein Resultat haben, das sich gut anfühlt.
Veränderung ist immer ein Prozess – Klar, kann der auch mal unangenehm sein. Doch ein Prozess, der nur funktioniert, wenn du dir selber weh tust, wird kein Resultat haben, das sich gut anfühlt.
Also: Vielleicht musst du gar nicht dein Leben ändern, um ein liebenswerter Mensch zu sein. Vielleicht musst du nicht erst anders werden, bevor du das machen darfst, was dir Spaß macht. Denn das Ziel von Vorsätzen ist ja, dass wir uns besser fühlen wollen. Vielleicht sollten wir dann nicht gerade die Vorhaben auswählen, mit denen wir uns wieder selbst fertig machen können.
Vielleicht ist 2024 also einfach das Jahr, in dem du mehr von den Sachen machst, die dir wirklich Spaß machen.
Habt einen guten Start ins neue Jahr!
Love, Mika