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Die fröhliche Umkehr der Einsamkeit

Diesen Text hat Mika letztes Jahr für die Ausgabe »Sucht« von der PiD - Psychotherapie im Dialog (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) geschrieben.

Es gibt sie ja, diese faszinierenden Menschen, die sich nicht für Alkohol interessieren. In meiner Vorstellung heißen sie Achim oder Lisa. Wenn sie trinken, trinken sie Radler oder Weinschorle und wollen »morgen fit sein«. Sie sind nie verkatert, haben Leberwerte wie junge Götter und geben ihre Steuererklärung pünktlich ab. Ihr stabiles Elternhaus hat sie direkt aus dem Französisch LK auf den gesunden Mittelweg geführt. Ich dagegen hatte die Abzweigung zum Mittelweg bereits mit 13 verpasst als ich entschied, dass das Trinken allen anderen Freizeitbeschäftigungen überlegen war und ich außerdem ziemlich selten irgendetwas pünktlich abgab. Als es mir mit Anfang 20  dämmerte, dass ich vermutlich nicht mein Leben lang so trinken konnte wie ich trinken wollte, versuchte ich mir vorzustellen, wie das wäre, so ein Leben ohne Alkohol.

Ich sah zwei Wege vor mir: Auf dem ersten war ich ordentlich durchtherapiert und führte ein Leben, für das es sich lohnte, morgen »fit« zu sein. Ich lebte in einer eleganten Großstadtwohnung, hatte immer italienisches Wasser im Kühlschrank und trank höchstens an Silvester mal Crémant. Das Interesse am Alkohol wäre einfach von mir abgefallen, die Abstinenz eine Konsequenz meiner inneren Reinheit. Auf dem zweiten Weg hatte ich noch ein oder zwei Dekaden so weitergetrunken, wie ich nun einmal trank, die Therapie nicht auf die Reihe gekriegt und war schließlich ganz unten angekommen. Auf diesem Weg hatte ich zitternde Hände und verbrachte meine Freitagabende mit Suchtdruck im Stuhlkreis in irgendeinem schlecht beleuchteten Gemeindekeller. Meine Abstinenz wäre die traurige Konsequenz vergangener Verfehlungen. 

Diese Pattsituation, mit dem Trinken aufhören zu müssen, obwohl man weitertrinken will oder aufhören zu müssen, trinken zu wollen, obwohl man genau das nicht will, ist in etwa, wie ein klobiges Auto in einer engen Gasse zu wenden. Du fährst zwei Zentimeter vor, drehst das Lenkrad, setzt zurück, schlägst das Lenkrad ein, fährst vor und wieder zurück. Du brauchst Selbstdisziplin, um mit dem Trinken aufzuhören, aber du beweist dir täglich, dass du keine Selbstdisziplin hast, sonst würdest du ja weniger trinken. Also musst du aufhören es zu wollen, aber du willst ja, sonst würdest du ja nicht trinken. Also brauchst du Selbstdisziplin, die du aber nicht hast. Und so weiter. Vernünftig wäre es, aus dem Auto auszusteigen und um Hilfe zu bitten. Ich blieb sitzen. Im Auto, in der Gasse, im ständigen Vor- und Zurück, ungefähr zehn Jahre lang.

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