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„Seit einer ganzen Weile nun und sehr massiv in diesen Tagen ist der Faschismus wieder da. Er ist zum Beispiel auf den Straßen unterwegs – am vergangenen Wochenende in Berlin etwa, wo Tausende liefen und riefen: ‚Unser Land zuerst’“ kommentiert der Journalist Georg Diez beim Deutschlandfunk Kultur (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) am 12. Oktober.

Hier ist mal eine steile These: Der Faschismus verließ Deutschland nie. Deutsche haben nur so getan, als ob. Das war Deutschlands Image auf der internationalen Bühne: Das Land, das den Faschismus besiegte (dabei war es andersrum: Deutschland war der Faschismus, der besiegt wurde) und ihn wirksam und transparent aufarbeitete. Während Häuser, die von migrantischen Menschen bewohnt wurden, und Geflüchtetenunterkünfte angezündet wurden, Menschen, die zu den Anderen gemacht wurden, erschossen wurden, Neonazis willentlich in jedes Parlament des Landes hineingewählt wurden und die Grenzen des Sag- und Machbaren nach und nach erweitert wurde. Nicht heimlich, sondern öffentlich, vor den Augen aller. Und all das wurde von der Politik auf ein Imageproblem reduziert, denn das war es bloß und nichts weiteres. Offen zur Schau gestellter Faschismus als Schaden auf das Image Deutschlands, als Vorreiter im Umgang mit der eigenen Faschismus-Geschichte. Sie sagten „nie wieder“, es geschah immer wieder.

Welche Rolle spielt dabei die deutsche Presse? Vermutlich eine wichtige. Der Text von Georg Diez erinnerte mich jedenfalls an eine Erfahrung, über die ich bisher nur wenig öffentlich sprach.

Vor einigen Jahren bewarb ich mich für eine journalistische Ausbildung. Die Bewerbungen journalistischer Ausbildungen bestehen in der Regel aus drei Etappen: Erst eine Bewerbung mit Schreibprobe zu einem von dem Institut vorgegebenen Thema und Lebenslauf, als Zweites ein Test zur „Allgemeinbildung“ und zuletzt ein Interview. Bei jeder Etappe werden Menschen herausgefiltert.

Ich saß in der letzten Etappe, vier Berufsjournalist*innen saßen mir gegenüber. Ich wollte unbedingt einen Ausbuldungsplatz, es ging um meine Zukunft, ich wollte einen guten Eindruck erwecken und war sehr nervös. Das Komitee bestand aus vier Menschen: Der Direktor und drei Kolleg*innen, die an dieser Schule lehrten. Bereits vor diesem Gespräch hatten sie meinen Namen gegoogelt und eine der Kolleg*innen zitierte einen Tweet von mir. Es war der folgende Tweet:

https://twitter.com/sibelschick/status/1062350110850461697 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Dieser Tweet war eine Reaktion auf einen taz-Text (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) von dem Journalisten Jan Feddersen, der forderte, dass alle mit Rechten reden müssten, jenen, die nicht mit Rechten reden, undemokratisches und elitäres Handeln vorwarf und sie für die Stärkung der Rechte für verantwortlich erklärte. Für diese Ausgabe las ich den Text noch einmal und ich muss sagen: Gut gealtert ist er nicht.

Es versteht sich, dass diese geistige und moralische Geiselnahme dazu dient, Betroffene zu Täter*innen zu erklären und Faschisten zu normalisieren. Daher ist sie in sich eine faschistische Haltung. Niemand muss mit Faschisten reden. Vor allem wenn sie akut von Faschismus betroffen sind und mit diesem „Gespräch“ ihre Sicherheit und ggf. ihr Leben gefährden würden. Niemand muss traumatisiert oder verletzt werden, oder im schlimmsten Fall sogar sterben, damit die Jan Feddersens dieser Welt zufrieden sind.

Mein Tweet wurde jedenfalls in diesem Gespräch für einen Ausbildungsplatz zitiert und mir wurde draus der Strick der „Publikumsbeleidigung“ gedreht, obwohl nur die simple Frage, was ich denn genau meinte, klargestellt hätte, dass es in Wahrheit eine Medienkritik ist. Die deutsche Medien spielen nämlich eine wichtige Rolle dabei, dass Rechte stärker werden und Faschismus normalisiert wird. Der Tweet löste eine Diskussion aus, unter welchen Bedingungen man den Begriff Faschismus verwenden dürfe und könne. Ich habe versucht klarzustellen, dass eine Art Vorstellungsgespräch für einen Ausbildungsplatz vielleicht nicht der beste Rahmen für eine so große politische Diskussion ist, aber wen juckt, was ich denke. Schließlich wurde ich eine halbe Stunde lang verbal durch die Gegend geschleudert, als Person, die aufgenommen werden wollte, gegenüber diesen vier älteren Türsteher*innen. Ich durfte mir anhören, dass ich gar nicht in der Lage sei diesen Beruf auszuüben, und wurde dann nach Hause geschickt. Schon am nächsten Tag lag die schriftliche Absage in meinem Briefkasten.

Ich werde bis heute den Eindruck, dass sie mich einluden, um genau das zu machen, was sie machten, nicht los: mich demütigen, mir eine reinwürgen. Sie wussten ja offensichtlich wer ich war, denn sie kannten meine Tweets so gut, dass sie sie zitieren konnten, wussten von Anfang an, dass ich keinerlei Chancen hatte, aber anstatt mich nicht in die engste Auswahl zu nehmen, wollten sie mich erst mobben. Ich fing gleich auf Nachhauseweg an zu weinen, später zuhause im Bett, mit anderen am Telefon, und Wochen und Monate vergingen und ich konnte immer noch nicht aufhören mich in meinen Kolumnen, Kommentaren und Tweets zu bremsen, weil ich so eine Angst durch diese Situation bekommen hatte. Es hat sehr, sehr lange gedauert, bis ich mich erholen konnte. Diese Erfahrung gehört bis heute zu meinen schlimmsten Begegnungen mit weißdeutschen Journalist*innen.

Nichts gegen Georg Diez, ich finde seinen Text gut und wichtig – allerdings genau das sagen Journalist*innen of Color bereits seit duzenden Jahren. Auf ihre Warnungen reagieren weiße Journalist*innen überwiegend mit Vorwürfen, Augenrollen und Spot, in meinem Fall sogar mit aktivem Bestrafen. Währenddessen führen sie ihre Faschismus-Verharmlosungen fort. Die bewusst faschismuspositive Berichterstattung bürgerlicher Medien ganz beiseite. Wenn der Faschismus heute also so stark und international so gut vernetzt ist, dann liegt es auch daran, dass weiße Journalist*innen das Problem nicht ernst nahmen, bis Faschist*innen anfingen auch sie tätlich anzugreifen. Wer allerdings „nie wieder“ verspricht, darf nicht solange warten bis er selbst im eigenen Leib betroffen ist.

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Die Kolumne des Monats schrieb Pantea. Es geht um die exklusive Kunst-Welt. Pantea stellt fest: „ Solidarisch sein, heisst sich über den eigenen blinden Fleck bewusst zu werden, wodurch man viele übersieht, überhört und ausschließt.“

Die nächste Ausgabe erscheint am 15. November. Bis dahin:
Keep calm and drink Ayran 🥛 Ich bin jetzt los „The Woman King“ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) gucken!

Sibel Schick

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Veranstaltungsankündigung:

„Am 18. Oktober laden Frohmann und @mikrotext (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) gemeinsam zu einem digitalen Buchmessenempfang ein. Macht uns eine große kleine Freude. Schreibt in den nächsten Tagen ein kurzes Grußwort. Etwas über einen der beiden oder über beide Verlage. Als Tweet, Instagrampost oder per Mail. Verwendet dabei unser Hashtag: #mikrofroh (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Und kommt bitte zu unserem digitalen Empfang. Wir können doch alle eine Stunde Mikrofroh gebrauchen. Der Frohmann Verlag begeht 2022 ja auch seinen zehnten Geburtstag, die Feierlaune ist leider bislang ausgeblieben.“  (Link) (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Solidarität in Kunst

Von Pantea

„The tragedy is that most of the people who say they care about it do not care. What they care about is their safety and their profits.“ – James Baldwin

Wer kann es sich leisten Künstler*in zu werden?

Vor kurzem habe ich folgendes Zitat gelesen: „Über das prekäre Künstlerleben zu jammern empfinde ich in den meisten Fällen als Luxusproblem. Niemand muss Künstler*in werden.“ Ich persönlich habe es mir nicht ausgesucht Künstlerin zu sein. Mit der Zeit war aber klar, dass der einzige Weg jener ist, der inneren Notwendigkeit zu folgen. Dem Drang, das was ich auf der Welt wahrnehme und einatme zu transformieren und wiederzugeben. Wer erst Künstler*in werden muss, weiß sicher nicht, was eine innere Notwendigkeit ist. Ich wage zu behaupten, dass diejenigen, die erst Künstler*innen werden müssen oder unsolidarisch „niemand muss Künstler*in werden“ rufen, mehrfach privilegiert sind.

Im Kulturbetrieb hat sich, wie auch in der Politik, Wirtschaft und im Journalismus, die Eliten-Blase noch mehr von der Mehrheitsgesellschaft entfernt. Es ist eine extrem privilegierte Minderheit der Gesellschaft, aus deren Blick wahrgenommen und agiert wird.

Zum Beispiel sind circa 1,2 Prozent der deutschen Bevölkerung Promovierte, der Anteil für Kunst und Kunstwissenschaften liegt weit unter 0,2 Prozent. Zudem gibt die soziale Herkunft vor, wer promoviert: Während das Verhältnis der Promovierten aus akademischen Familien bei einem Zehntel liegt, ist das bei first generation students nur ein Prozent. Die meisten Leitungspositionen im Kulturbetrieb sind mit Promovierten besetzt. Dabei sind alle öffentlichen Kultureinrichtungen dazu verpflichtet, eine demokratische Repräsentation abzubilden, zumal sie von öffentlicher Hand getragen werden.

Nicht selten ist vor allem die bildende Kunst ein tob-dich-aus Feld für mehrfach privilegierte Menschen, bürgerliche Exhibition-isten, bei denen die sogenannte solidarische Arbeit (als nicht Betroffene) häufig auch als Chance für das nächste Stipendium gesehen wird. Da diese Arbeiten gut vermarktet werden können, geben sich viele gerne woke, obwohl sie nicht diskriminierungssensibel agieren. Ich habe beispielsweise in einer weißen künstlerisch-aktivistischen Gruppe als einzige mehrfach Marginalisierte mir anhören müssen, nicht die Stimmung zu verderben: „Wenn wir uns schon mit solch deprimierender Arbeit befaßen, sollten wir dabei wenigstens Spaß haben.“

Was überall fehlt, sind die Stimmen derjenigen, die ihre Stimme nicht erheben (können): Die mehrfach Marginalisierten, die tagtäglich Diskriminierung erfahren. Sie haben oft nicht die Zeit (müssen Geld verdienen), Ressourcen (Netzwerke) und Energie, ihre Stimme – als Engagement – zu erheben.

Solidarisch sein, heisst sich über den eigenen blinden Fleck bewusst zu werden, wodurch man viele übersieht, überhört und ausschließt. Nur so entfernt man sich vom eurozentrischen, patriarchalen, rassistischen und klassistischen Kulturbetrieb – hin zu einem Solidarischen.

September 2022

Pantea ist bildende Künstlerin, lebt und arbeitet seit 20 Jahren in Berlin. In ihren Arbeiten – ob Video, Installation, recherchebasierte Visualisierung oder Text – beschäftigt sie sich mit Ausgrenzungsmechanismen, die durch die Dominanzklasse produziert sowie aufrecht erhalten werden. Dabei beleuchtet sie die Zusammenhänge zu bestehenden sexistischen, klassistischen sowie rassistischen Strukturen, die selten sichtbar werden. Du kannst Panteas Website (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) besuchen oder ihr auf Instagram (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) folgen.

Cool Kids, Hoa Mai Trần, Michaela Schultz: Wir Kinder aus dem Heim 

Dieses zweisprachige Buch auf Deutsch und Englisch handelt von den Abenteurern der Kinder, die in Geflüchtetenunterkünften leben. Folgt Cool Kids auf Instagram (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Bei der Entstehung dieses Buches wirkten wohl auch Jugendliche mit: „Sie haben sich große Mühe gegeben, über ihre eigenen Erfahrungen zu sprechen und andere über ihre Perspektiven aufzuklären“, schrieb mir eine Person von Cool Kids. Schaut bei denen auf Insta und der Website vorbei, bestellt das Buch. Viel & Mehr, 125 Seiten, 7 Euro (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).

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Gün Tank: Die Optimistinnen (Roman)

Gün Tank ist Autorin und Moderatorin. „Die Optimistinnen“ erschien im September und ist Güns Debüt. Der Roman handelt von Nours Geschichte, erzählt aus ihrer eigenen und der Perspektive ihrer Tochter Su. Nour kommt in den 70ern aus Istanbul nach Deutschland, um hier als sogenannte Gastarbeiterin zu schuften. Sie organisiert mit anderen Arbeiter*innen, überwiegend Frauen, Streiken, gemeinsam kämpfen sie für menschenwürdige Arbeitsbedingungen. S. Fischer Verlag, 208 Seiten, 22 Euro (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).

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Musa Okwonga: Es ging immer nur um Liebe (Roman)

Musas Buch handelt von dem Leben in Berlin als Schwarzer Mann und Migranten, und der Suche nach Liebe und Zugehörigkeit. Musa kam in London auf die Welt und lebt seit einigen Jahren in Berlin. Sein Buch wurde dieses Jahr aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt. Seine Sprache ist sehr poetisch, präzise und warm. Mairisch Verlag, 152 Seiten 20 Euro (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).

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Shon Faye: Die Transgender-Frage (Sachbuch)

Shons Buch ist sehr wichtig, denn sie zertört viele der gängigen transfeindlichen Argumente. Ich hatte die Ehre (!), vor Shons Buch ein anderes zu lesen, das extra dafür erschienen ist, um das Selbstbestimmungsgesetz zu verhindern (das stand so Wort zu Wort in der Einleitung). Shon Faye nimmt die transfeindlichen Mythen, Lügen, Tatsachenbehauptungen und Diffamierungen auseinander, aus ihrer Perspektive als Britin, liefert aber auch Zahlen und Fakten aus Deutschland. Shon Faye legt dar, warum wir für eine wahre Gerechtigkeit den Kapitalismus überwinden müssen. Hanser Blau, 336 Seiten, 25 Euro (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Mabel Matiz - Fan (Song)

https://www.youtube.com/watch?v=TKmh5VhMpp8 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

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