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Paradies

"Wer arm ist, kommt früher ins Paradies als der, der reich ist", sagt der hässliche Mann auf meinem Bildschirm. "Derjenige Reiche, der spendet – derjenige Reiche, der spendet – kommt erst 500 Jahre nach dem geduldigen Armen ins Paradies. Also ich meine es ernst. Während der 5-10 Jahre auf dieser Erde, sich auf diese Diskussion meinetwegen ich bin arm, er ist reich, einzulassen – macht man das? 500 Jahre – beide haben das Paradies verdient, aber stell dir vor, ganze 500 Jahre früher ins Paradies zu kommen", sagt er, und flüstert: "Unvorstellbar..."

Der hässliche Mann, den meine Cousine vermutlich als "Hurensohn" oder "Missgeburt" bezeichnen wurde, was aber nicht politisch korrekt wäre, weshalb ich hier meine Cousine instrumentalisieren muss, um nicht so auszusehen, als ob ich ihn selber so nennen würde, obwohl ich es mir mit ganzem Herzen wünsche, also es zwar sage und gleichzeitig aber so tun kann, als ob ich es doch nicht gesagt hätte, hää, ist doch nur ein Zitat. Wie auch immer, dieser Mann heißt Cübbeli Ahmet Hoca (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) mit Pseudonym, sein echter Name ist Ahmet Mahmut Ünlü. Das Video aus 2018 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) kursiert jetzt wieder auf Social Media, weil Menschen sich kaum noch etwas zu essen leisten können, und darin ein Prediger reiche Menschen in Schutz nimmt – vermutlich einen ganz bestimmten, ganz reichen Menschen – indem er es für profan erklärt, sich mit dem Konzept der radikalen ungleichen Verteilung zu beschäftigen. Von Besitz könne nur im Paradies geredet werden – der, der auf der Erde Besitz hat, habe in Wahrheit gar keinen Besitz, weil die Erde vergänglich sei. Der echte, der wahre Reiche, sei nur derjenige, der im Paradies, in der Welt jenseits, reich ist.

Ich lerne hier in Antalya, in der Welt diesseits, einen Mann kennen, der als Makler arbeitet. Sehr unsympathischer Beruf, ich weiß, aber hier kommt man kaum um sie herum. So wie überall heutzutage, sprechen wir auch hier über die brutale Wirtschaftskrise und die Hyper-Mega-Krass-Inflation. Er sagt, dass es Menschen in seiner Umgebung gibt, die inzwischen nur noch einmal am Tag essen. Wir sprechen hier von dem Mittelstand, man will sich nicht ausmalen, wie es Menschen, die schon vor der Krise verarmt waren, ergehen muss. Aber hey, 500 Jahre früher sollen sie ins Paradies kommen – vorausgesetzt sie sind geduldig und mischen sich nicht ein, warum sie nur noch einmal am Tag essen und vielleicht nicht einmal das können, während andere sich den Arsch mit Goldpapier wischen dürfen. Warum sie in der Sonne arbeiten und an Dehydration und Hirnschlag sterben müssen, während andere in klimatisierten Palästen leben dürfen. Warum sie sich nicht einmal die Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln leisten können und überall zu Fuß müssen, während der Präsident dieses Landes Scheichs und Prinzen bei seinen Besuchen E-Autos im Wert von über einer Million Lira schenkt.

Diejenigen, die unbequeme Fragen stellen, scheinen nicht mal ins Paradies zu dürfen. Diejenigen, die die Verhältnisse kurz mal kritisch hinterfragen, sind wohl für immer verdammt. Auf der Welt diesseits gibt es nur Knast, auf der Erde jenseits längere Wartezeiten als bei der Ausländerbehörde und vielleicht sogar Feuer für immer. Ich habe heute morgen gelesen, dass in Teilen von Iran die gefühlte Temperaturen bis zu 67 °C stiegen, also vielleicht ist die Hölle tatsächlich nichts, was uns bevorstünde, sondern dieses Leben hier.

Mag sein, dass es Menschen gibt, die nicht wissen, wie sich Hunger anfühlt, oder den Terror nicht kennen zu wissen, dass du es definitiv nicht schaffst, die Miete zu zahlen. Mag sein, dass andere es nicht kennen, wie die Frage einem Menschen zerfrisst, ob du auch morgen genug zu essen für deine Kinder besorgen kannst. Das ist alles bedeutungslos. Denn Besitz hat man nur im Paradies. Andere können hier und jetzt in Palästen leben, und mit E-Autos im Wert von Millionen um sich werfen, und weitere Millionen auf weltweit verteilten Bankkontos haben, aber das ist kein Besitz, weil man all das nicht mit ins Paradies nehmen kann. Yersen... Was ist schon ein Lebenchen lang Armut auszuhalten, im Vergleich mit einer Ewigkeit im Paradies? Auch noch mit einem Gästelisteplatz, einem VIP-Pass, ohne Schlange zu stehen. Du gehst auf deiner Priority-Lane an den Reichen, die spendeten – an den Reichen, die spendeten –, zum Beispiel an Bill Gates, vorbei, grinst, spürst eine Genugtuung. 500 Jahre soll der Wichser warten. Jetzt ist er dran. Wer weiß, wie lange Elon Musk warten muss, vermutlich viel länger als 500 Jahre. Bestimmt macht Elon Musk vor lauter Angst nachts kein Auge zu. Elon Musk zittert. Elon Musk weint. Und du lachst.

Vorausgesetzt man glaubt so was. Die Warteschlange ist für alle, die eben nicht an ein Leben jenseits glauben, oder einfach keine Kraft mehr haben darauf zu warten, das Leben im Hier und Jetzt. Und sie muss unerträglich sein.

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