Die ganz große Geste (mit dem Unterarm)
Einojuhani Rautavaara: Klavierkonzert Nr. 1 (1969)
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Der finnische Komponist Einojuhani Rautavaara / Foto: Laivakoira2015, CC BY-SA 4.0 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), via Wikimedia Commons
Komödie ist Tragödie plus Zeit, das gilt auch in der Musik. 110 Jahre nach Johannes Brahms’ erstem und fünfzig Jahre nach Rachmaninows drittem Klavierkonzert dachte sich der finnische Komponist Einojuhani Rautavaara: Das romantische Klavierkonzert ist fällig.
Die großen romantischen Klavierkonzerte nehmen sich, so unterschiedlich sie sind, sehr, sehr ernst. Ihre Gesten sind groß, im ästhetischen, aber durchaus auch im räumlichen Sinne: Man braucht große Hände mit ordentlich Spannbreite, um am Konzertflügel alle Noten rechtzeitig zu erwischen. Diese Werke sind in Herzblut getränkte, virtuose Angeberei. Das ist nicht schlecht, aber als Rautavaara sein erstes Klavierkonzert schreibt, ist es bereits 1969.
Also komponiert er ein Werk, das ich für eine (sehr, sehr liebevolle) Parodie auf die großen Edelschmonzetten des Genres halte. Schon der Anfang des ersten Satzes (überschrieben mit con grandezza, also prächtig oder erhaben) ist ein komplett überzogenes Klaviersolo, in dem die rechte Hand Cluster in die Tasten drischt, also viele eng zusammenliegende Noten, die man mit der Faust oder der Handfläche anschlägt (du wirst es im Video gleich sehen können). Es geht gar nicht mehr um die einzelnen Noten, sondern um ganze Notentrauben. Die linke Hand darf währenddessen komplett unmotivierte Arpeggien (gebrochene Akkorde, bei denen die Töne nacheinander, nicht gleichzeitig gespielt werden) in die Klaviatur brezeln. Diese Ästhetik kennt man aus romantischen Klavierkonzerten, nur dort baut die Musik eine kunstvolle Steigerung dort hin auf. Bei Rautavaara geht es einfach damit los. Und als wollte er sich über die halsbrecherischen Manöver in romantischen Klavierkonzerten lustig machen, möglichst viele Noten in möglichst kurzer Zeit zu spielen, schreibt er gegen Ende des ersten Satzes die Spielanweisung in die Noten, sich mit dem Unterarm auf die Klaviatur zu stützen, um mehr Tasten anzuschlagen als die Hand Finger hat (im Video ab 9:27). Von der großen Geste bleibt – nur die große Geste.
Die Pointe ist, dass Rautavaaras Musik zwar so wild tut, aber im Kern auch wieder ein romantisches Klavierkonzert ist – mit drei Sätzen und einer tonalen Musiksprache. Denn so dissonant die Cluster auch für sich klingen mögen, sie sind in große harmonische Bögen eingebunden und dann doch wieder vorhersagbar. Rautavaaras Musik ist ein bisschen wie der deutsche Revolutionär, der sich ein Bahnticket kauft, um den Bahnhof zu stürmen. Auch Rautavaaras Gerempel ist eine Geste, aber immerhin eine wahnsinnig unterhaltsame.
Im Video spielt das Studierendenorchester des Yale College, am Klavier Scarlett Tong Zuo – viel Spaß!
https://youtu.be/pdNZbbHBX_c?t=29 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)Hier gibt es das Konzert bei den Streamingdiensten (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Schöne Grüße aus Berlin
Gabriel
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