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Angst und Alternative

Der 6. Februar 2013 in Schlagzeilen: Kanzlerin Merkel spricht Annette Schavan trotz ihrer plagiierten Doktorarbeit ihr vollstes Vertrauen aus. McDonald’s bietet künftig Currywurst aus der Fabrik von Uli Hoeneß an. Im hessischen Oberursel treffen sich 18 Männer im Gemeindesaal der Christuskirche und gründen eine neue Partei mit dem Namen „Alternative für Deutschland“.

Diese Woche übt sich der deutsche Journalismus in Einordnungen einer Partei, die binnen kürzester Zeit das Land politisch verwirbelt hat wie zuvor nur die Grünen, von denen sie die Vorliebe für das Wort „Altparteien“ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) übernommen hat. Kaum eine dieser Einordnungen kommt ohne Stimmen der damaligen Gründer (es waren alles Männer) aus oder zumindest die beiden ersten Sprecher (Bernd Lucke und Konrad Adam) bzw. die erste Sprecherin (Frauke Petry). Sie, die mittlerweile fast alle aus der Partei oder gar ganz aus der Politik ausgeschieden sind, stricken fleißig an ihrer Meistererzählung: Sie hätten eine konservative Partei für Merkelenttäuschte gründen wollen, dass daraus die nun größtenteils offen rechtsextreme AfD geworden sei, das habe man damals nicht absehen können.

Das ist natürlich ganz offensichtlich unwahr, und man kann das deutlich daran ablesen, wie sich die AfD von Anfang an zur (deutschen) Geschichte verhalten, wie sie sie verwendet hat. Kein halbes Jahr nach der Gründung sprach Lucke von „Entartungen von Demokratie und Parlamentarismus“, denen es Einhalt zu gebieten gelte. Vorwürfe, er würde mit dieser Wortwahl am rechten Rand fischen, wischte er zur Seite mit Verweis auf die Unvereinbarkeitsliste, mit der der Vorstand versucht hatte, den massenhaften Übertritt von Angehörigen anderer rechtsextremer Splitterparteien zur AfD zu verhindern. Diese Liste gibt es heute noch, sie wird und wurde in den seltensten Fällen beachtet. Björn Höcke war zu diesem Zeitpunkt auch schon Teil der Partei, baute sie in Thüringen mit auf. Gleichzeitig scheiterte Lucke damit, den Nürnberger AfDler Martin Sichert aus der Partei zu werfen, der auf Facebook den Zweiten Weltkrieg bezeichnet hatte als einen „Krieg, aus dem die zwei größten Massenmörder des 20. Jahrhunderts als Sieger hervorgingen.“ Lucke, Petry und Adam waren also vorgewarnt und wussten genau, welche Klientel ihre „Professorenpartei“ anzog. Sichert hingegen sitzt heute für die AfD im Bundestag.

Konrad Adam, der sich in dieser Woche als verzweifelter Intellektueller vor den Trümmern seines politischen Lebenswerkes lesen durfte, hat noch zu Amtszeiten des ersten Vorstandes behauptet (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), die Rote Armee habe einen „Vernichtungskrieg“ gegen Deutschland geführt. Er reproduzierte dabei eine direkt auf die von Goebbels geleitete NS-Propaganda zurückgehende Behauptung, nach der der jüdische russische Autor Ilja Grigorjewitsch Ehrenburg die Rote Armee zur Vergewaltigung deutscher Frauen aufgerufen habe:

„Ganz unabhängig davon, ob Ilja Ehrenburgs berüchtigter Aufruf an die Rote Armee, den Stolz der deutschen Frau zu brechen, authentisch ist oder nicht – er ist millionenfach befolgt worden.“

Es gibt keinen Beleg für diesen Aufruf, und die Fälschung wurde nur deshalb so bekannt, weil sie perfekt in die Propaganda passte: Ein ‚bolschewistischer Jude‘ ruft die ‚slawischen Truppen‘ dazu auf, die deutschen Frauen zu vergewaltigen. Auch Konrad Adam weiß, dass es diesen Text nicht gegeben hat. Der Versuchung, hier inhaltlich an die NS-Propaganda anzuschließen, ist er trotzdem erlegen.

Von Anfang an war die AfD auch eine Partei, die durch abstruse historische Vergleiche die NS-Zeit bagatellisierte: Noch nur andeutungsweise war das der Fall, als Bernd Lucke einen Vorfall, bei dem zwei maskierte Männer in Bremen eine Bühne gestürmt und ihn geschubst hatten als Störung von „Schlägertruppen wie seinerzeit in der Weimarer Republik“ bezeichnete – damals hatten die Partei und auch die Polizei allerdings noch von 25 Gewalttätern und einer Messerattacke gesprochen, was später kleinlaut zurückgenommen wurde. Immer wieder wurden AfD-Vertreter:innen dadurch auffällig, dass sie Gegenwind für ihre Politik, etwa in Form von Boykottaufrufen, mit der Judenverfolgung in NS-Deutschland verglichen hatten. Deshalb war es auch in der Post-Lucke-Ära kaum überraschend, dass Bildmotive mit der Aufschrift „Sophie Scholl würde AfD wählen“ auftauchten (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).

Auch abgesehen von Funktionsträger:innen der Partei war von Anfang an klar, wohin die Reise ging: Wer sich auch nur ansatzweise in Sozialen Medien mit AfD-nahen Themen beschäftigte, geriet auf kürzesten Wegen in die Abgründe des Rechtsextremismus, zu all den versteckten und offenen Begriffen, die rechte Geschichtserzählungen ausmachen: Von „Rheinwiesenlager“ bis „Schuldkult“, von „Rothschild“ bis zur Holocaustleugnung. Wer das sehen wollte, konnte es in den ersten Wochen und Monaten nach dem Parteistart sehen. Bei jeder Weichenstellung der Partei gewannen immer die Kräfte, die an der rechteren Seite des Konfliktes standen. Schon bei der Gründung war die Frage, ob man die Partei nun „Alternative für Deutschland“ oder „Alternative für Deutschland und Europa“ nennen sollte – und schon damals gewannen die Nationalkonservativen gegen die Wirtschaftsliberalen.

Dass viele deutsche Journalist:innen es bis heute nicht geschafft haben, diese Entlastungserzählung der „Liberalkonservativen“ (was letztlich ja nur bedeutet, dass alle Menschen genauso sein dürfen wie sie selbst, mit niedrigeren Steuern) zu dekonstruieren, spricht nicht für einen Kompetenzzuwachs im Zusammenhang mit Rechtspopulismus. Die AfD wird so schnell nicht mehr verschwinden, es wird Zeit, dass auch ihren Ex-Mitglieder nicht mehr unkritisch geglaubt wird.

Zum Weiterlesen:  2019 habe ich in "indes" einen Artikel über das Geschichtsbild der AfD (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) veröffentlicht. Er bedürfte eigentlich einer dringenden Aktualisierung, allein die Zeit fehlt.

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