Brüder und Bravour
Ab wann wird Gegenwartskultur eigentlich zur historischen Quelle? Die Frage stellte sich mir in den vergangenen Wochen unmittelbar, als ich anfing, die TV-Kurzserie „Band of Brothers“ zu gucken. Das zehnteilige Format wurde 2001 von Steven Spielberg und Tom Hanks produziert, in einer Mischung aus Fortsetzung und Resteverwertung der Arbeiten an „Der Soldat James Ryan“ wenige Jahre zuvor. Es schildert, historisch weitgehend akkurat, die Kriegsbeteiligung der sog. „Easy Company“, einer Untergruppe der 101. US-Luftlandedivision, von der Landung in der Normandie am D-Day bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs im August 1945.
Weil zum Älterwerden gehört, dass man möglichst ignoriert, wie viel Zeit vergeht, hatte ich die Serie als nicht ganz neues Werk, aber schon noch Produkt unserer Gegenwart einsortiert. Dieser Eindruck verflüchtigte sich schon vor Beginn der tatsächlichen Handlung dadurch, dass ihr eine zweieinhalb quälend lange Minuten dauernde Titelsequenz vorgeschaltet ist – die würde im Zeitalter der Streamer mit den Überspringen-Buttons ohnehin niemand mehr gucken, viele Serien haben mittlerweile nur noch sekundenkurze Titelzeilen oder verzichten ganz darauf. Auch ästhetisch ist der Serie ihr Alter anzumerken: Sie setzt ganz auf die Kombination aus hohem Kontrast und niedriger Sättigung, die in den frühen 2000er Jahren so beliebt war.
Insofern ist „Band of Brothers“ schon vor dem ersten Schuss eine Quelle geworden: Es hat mich darüber nachdenken lassen, was wir alles in Serien heutzutage nicht mehr machen, ohne als Konsument:innen groß drüber nachgedacht zu haben. Das setzt sich aber auch in der Handlung und Inszenierung fort: Ich weiß nicht, warum ich die Serie, als sie erschien, nie ganz geguckt habe. Ich meine mich zu erinnern, dass ich die Motivation verlor, als David Schwimmer, der in „Friends“ den linkischen Paläontologen Ross Geller spielt, plötzlich als cholerischer Drill Instructor auftauchte. Mit 20 Jahren Abstand ergibt das aber fast Sinn: In einer Zeit der Wehrpflicht geraten eben auch Personen auf Posten, die dort ihrem Wesen nach eigentlich nichts verloren haben, und es kann ihnen dabei überraschend gut oder erwartbar schlecht ergehen.
Inhaltlich ist die Serie dann erwartbar eine teure, aufwändige Materialschlacht mit beeindruckenden Kulissen, schonungsloser Gewaltdarstellung und einer nicht überschaubaren Menge an Charakteren, die sich mir nie vertraut machten, was ihre Tode mitunter umso banaler machte. „Band of Brothers“ ist natürlich keine Kriegsverherrlichung, sondern eine geradezu schmerzhaft unpolitische Zelebrierung des einfachen Soldatentums, der „Männer“ die zu „Brüdern“ werden im Angesicht der Katastrophe, in die sie hineingeworfen wurden, und der sie sich dann tapfer und heldenhaft stellen. Es bemüht sich stellenweise geradezu offensichtlich um eine Gleichstellung der unteren Soldatenränge auf beiden Seiten, indem es amerikanischen Kriegsverbrechen, die es ja zweifelsohne auch gegeben hat, großen Raum gibt – es verschweigt aber mit einer besonders eindrucksvollen Folge auch nicht das Konzentrationslagersystem und seine Opfer. Es ist somit einfach eine sehr amerikanische Serie, stets bemüht und historisch genau, aber eben nicht subtiler als es deutsche Produktionen zum Thema je waren.
Spannend ist, mit 22 Jahren Abstand, der kulturelle Einfluss, den die Serie auf unsere digitalisierte Welt genommen hat: Die Serie sprach und spricht natürlich hauptsächlich junge Männer an, die dieses nicht ganz rational zu fassende Faible für Krieg haben. Genau diese jungen Männer prägten 2001 und in den Jahren danach das Internet, wie wir es noch heute kennen. Das zeigt sich massiv an zwei Stellen: Wann immer auf Reddit über die Geschichte des Zweiten Weltkriegs diskutiert wird, werden Episoden aus der Serie, Erlebnisse der „Easy Company“, das Unternehmen Market Garden oder US-Kriegsverbrechen erwähnt, und zwar nicht als reproduzierter Schulstoff, sondern in einer Art zweiter Zeitzeugenschaft: Irgendwie waren die Postenden per TV dabei gewesen und wollen es nun anderen zeigen, die nicht dabei waren.
Deutlicher wird es aber noch in der Wikipedia, dem offenen Internetlexikon, das acht Monate älter ist als „Band of Brothers“: Zu vielen der abgebildeten Soldaten gibt es eigene Wikipedia-Artikel, und jeder dieser Artikel referenziert schon in der ersten Version auch die Serie: Relevanz wurde hier geschaffen durch die Verfilmung, die wiederum dazu führt, dass sich mehr Menschen mit den Personen beschäftigen, was dann wiederum zu Forschungsarbeiten in den folgenden Jahren führte.
Die letzte spannende Beobachtung, die bei der Erstausstrahlung noch nicht so einfach nachzuvollziehen war, betrifft die deutsche Synchronisierung: Originalversionen waren im Fernsehen nicht zu bekommen, DVD-Boxen teuer, der Aufwand, sich mehrere Sprachfassungen anzusehen vor dem Streaming nur selten vertretbar. So fiel erst spät auf, wie die deutsche Synchronisierung mit dem Problem umging, dass in der Originalserie vom Kriegsgegner oft Deutsch gesprochen wird, ein Deutsch, dass der Zuschauer eigentlich nicht verstehen können soll. So kommt es zum Ende zu einer Szene, die auf Englisch und Deutsch entgegengesetzte Zielrichtungen hat: eine Wehrmachtkompanie ergibt sich, ihr Kommandant richtet ein letztes Mal das Wort auf Deutsch an seine Soldaten:
Männer! Es war ein langer Krieg, es war ein harter Krieg. Sie haben tapfer und stolz für Ihren Vaterland gekämpft. Sie sind eine besondere Truppe, die miteinander einen Zusammenhalt gefunden hat, der sich nur im Kampf entwickeln kann, unter den Kameraden, die die Fuchshöhlen geteilt haben, die sich in schrecklichen Momenten gegenseitig gestützt haben, die den Tod zusammen gesehen haben und gemeinsam gelitten haben. Ich bin stolz mit Ihnen gedient zu haben! Sie alle verdienen ein langes und glückliches Leben im Frieden!
Während er dies spricht, übersetzt ein amerikanischer Soldat seinen Vorgesetzten die Rede ins Englische. Die Bedeutung ist klar: Hier stehen Soldaten, die genau dieselbe, geradezu passive Rolle im Krieg hatten und damit eine brüderliche Liebe füreinander entwickelten wie in der „Easy Company“. So weit, so banal, verharmlosend, den Vernichtungskrieg der Wehrmacht ignorierend. In der deutschen Fassung war man damit offenbar nicht wirklich einverstanden, weshalb der amerikanische Soldat eben nicht vom Deutschen ins Deutsche übersetzt, sondern abschätzige Kommentare zu den einzelnen Sätzen hinterlässt – hier erscheinen die deutschen Soldaten dann eben nicht wie Brüder auf der anderen Seite der Gewehrkugel, sondern wie die Geschlagenen, der deutsche General als Lügner. Es entspricht eher der kritischen deutschen Geschichtsauffassung der frühen 2000er Jahre, während in den USA der Mythos der „sauberen Wehrmacht“ seit jeher weit verbreitet, aber nicht Teil der offiziellen Geschichtsschreibung ist. Für „Band of Brothers“ wird es dem Team Hanks/Spielberg wichtiger gewesen sein, das weit empfundene Narrativ der „bösen Deutschen“ mit frischen Blickwinkeln aufzubrechen, als sich tiefer mit der Wehrmacht und ihrem Wirken zu beschäftigen. Sehr amerikanisch eben.