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Alter, schwarz-gelber Fußball in einem Fluss

Wenig haben deutsche Unternehmen in den vergangenen 79 Jahren so perfektioniert wie die Lücke. So präzise, pünktlich, verlässlich und berechenbar ist die Lücke, man könnte sie zu den deutschen Tugenden zählen.

·       Übernahme des Lokomotivbauers August Borsig GmbH als zukünftige Rüstungsproduktionsstätte in Berlin.

·       Fusion von Rheinmetall und Borsig zur Rheinmetall-Borsig AG.

·       Verlegung des Firmensitzes von Düsseldorf nach Berlin

·       Zunehmende Kontrolle der Rüstungsproduktion durch das Reich über den

·       „Beauftragten für den Vierjahresplan“

·       Massenweiser Einsatz von deutschen und ausländischen Zwangsarbeitern in allen Werken der Rheinmetall-Borsig AG

·       Beschädigung und Zerstörung von Produktionsstätten durch Luftangriffe, deshalb Produktionsverlagerung in zahlreiche Orte der späteren DDR und des heutigen Polens.

·       Kriegsende und Produktionsverbot durch Militärregierung.

Das ist die Gesamtheit aller Einträge der Rheinmetall AG in der online abrufbaren (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) Unternehmensgeschichte zur Zeit des Nationalsozialismus. Ganze acht Punkte zur am dichtesten gebündelten Epoche deutscher Geschichte, die bis heute die meisten Fragen gerade auch an juristische Personen stellt. Und das in einer Rubrik, die ansonsten so entscheidende Weichenstellungen der Firmenhistorie enthält wie etwa „Erstmals wird am Rheinmetall-Standort Unterlüß eine Lehrlingswerkstatt eingerichtet“.

Es ist nie ganz außer Mode geraten, deutschen Unternehmen ihre NS-Vergesslichkeit vorzuwerfen, und sehr lange hatte das auch gute Gründe: nur die allerwenigsten Firmen, die sich am NS-Unrecht bereichert hatten, hatten das juristisch, finanziell und an allerletzter Stelle auch wissenschaftlich aufarbeiten lassen. Das hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten glücklicherweise etwas verbessert, seit es der Familie Quandt äußerst peinlich geworden war, als die ARD ihr Schweigen allzu öffentlich sendete (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Seitdem hat sich weitgehend die Erkenntnis durchgesetzt, dass eh alle wissen, dass man sich als Unternehmen im „Dritten Reich“ schuldig gemacht hat, und dass es für den heutigen Ruf ein größeres Problem ist zu schweigen als die unangenehme Sache ordentlich aufarbeiten zu lassen.

Ein gutes Dutzend größerer Geschichtsagenturen in der Bundesrepublik leben sehr gut davon, aus diesen Geschichten Bücher zu machen, kleine Ausstellungen, Broschüren. Und einige Lehrstuhlinhaber:innen finanzieren davon ausufernde HiWi-Stellenpools und dürfen alle fünf Jahre bei einem der großen Sachbuchverlage veröffentlichten – alle gewinnen! Außer den, nun ja, Opfern halt. Die haben schließlich vor 20 Jahren schon bis zu 7.600 Euro für ihre Zwangsarbeit bekommen! Was, Ironie der Geschichte, ziemlich nah am monatlichen Sold eines W3-Professors im Jahr 2024 liegt.

Aber zurück zur Mode: Es ist natürlich etwas wohlfeil, wann immer man einem Unternehmen etwas böses will „Name der Körperschaft + Nationalsozialismus“ in die Google-Suche zu tippen und ihnen dann ihre Vergangenheit vorzuwerfen – denn was man dort auf den ersten drei Treffern findet, entspringt dann doch meistens eben der selbstinitiierten Unternehmensgeschichte. So weit reichen die Recherchemühen dann aber meist nicht, dass man zumindest herausfindet, woher das Wissen generiert wurde, das man gerade reproduziert. Diese Herangehensweise lässt natürlich für Unternehmen, die es bereits im Nationalsozialismus gab, nur eine moralische Möglichkeit zu: Die vollständige Selbstauflösung und Streichung aus allen Gewerberegistern. Diese Forderung wäre in der Nachkriegszeit vermutlich deutlich besser aufgehoben, wobei dann die Forderung nach Entschädigungen natürlich auch irgendwie ins Leere gelaufen wäre.

Und damit kommen wir zurück zu Rheinmetall: Da hat man es genau mit dieser Logik versucht. Als in den 1960er Jahren einige ehemalige Zwangsarbeiter:innen in den USA versuchten, eine Entschädigung zu erklagen, wies Rheinmetall das weit von sich, weil die neuen Eigentümer schließlich gar nicht die Eigentümer der 1940er Jahre gewesen seien, das Unternehmen also gar nicht dasselbe und somit eine Entschädigung von vorneherein ausgeschlossen. Wenig überraschend folgten deutsche Gerichte dieser Argumentation, und auch der damals berichtende Spiegel konnte seine Empörung nur schwer unterdrücken (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), dass da jemand Geldforderungen stelle, die „weder rechtlich noch moralisch begründet“ seien. Geradezu entrüstet gab man sich darüber, dass der damalige Vorstandsvorsitzende Otto Paul Caesar als „Nazi“ bezeichnet wurde, indem man seine NSDAP-Mitgliedsnummer mitteilte.

Die juristische und finanzielle Bearbeitung des Themas ist seit der Einrichtung der Stiftung EVZ abgeschlossen, bei der historischen ist es so eine Sache – Rheinmetall kann selbst auf seine zweibändige Unternehmensbiografie von 2014 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) verweisen, die der freie Historiker (und damit Kollege und Konkurrent, um transparent zu bleiben) Christian Leitzbach verfasst hat. Die Untersuchung wurde durchaus positiv besprochen, wobei im Subtext immer wieder Kritik an den Stellen aufkam, die für uns hier entscheidend sein dürften:

„Während Leitzbach die Themenfelder Waffenentwicklung und Produktion mit großer Akribie behandelt, werden einige zentrale Fragen der Unternehmenspolitik nicht tief genug erörtert. Eine genauere Darstellung des Verhältnisses zwischen dem Reich respektive dem Bund als Mehrheitseigentümer (von 1924 bis 1956) und dem Management des Unternehmens wäre wünschenswert, um das Ausmaß der Fremdsteuerung und das mögliche Spannungsverhältnis zwischen den Interessen des Eigentümers und den Interessen des Unternehmens zu verstehen.“

Und, noch genauer:

„Leitzbach spart die kritischen Themen der Unternehmensgeschichte im Nationalsozialismus wie die Beschäftigung von Zwangsarbeiter/innen und KZ-Häftlingen nicht aus. In dem instruktiven Kapitel über die Arbeitsbedingungen unfreier Arbeitskräfte in den Werken von Rheinmetall bleibt jedoch die Frage offen, ob (und ab wann) sich das Unternehmen aktiv um KZ-Häftlinge bemühte und wie es ihre Arbeits- und Lebensbedingungen beeinflusste.“

So schreibt es Christopher Kopper aus Bielefeld in der Historischen Zeitschrift. Darüber hinaus gehört zum Gesamtbild, dass der Autor seit 1992 das Historische Archiv des von ihm untersuchten Unternehmens aufgebaut hat (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), was zwar ein wohl konkurrenzloses Wissen über den Gegenstand bedeutet, aber eben auch eine Abhängigkeit. Ich meine das überhaupt nicht vorwurfsvoll oder missgünstig, ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Leitzbach hier absichtlich oder fahrlässig Dinge ausgelassen hat – aber genau solche Verhältnisse gehören eben zur Quellenkritik dazu, und deshalb ist es gut, wenn diese schwierigen Historien in zeitlich befristeten Projekten bearbeitet werden, oder eben in Arbeitsverhältnissen, die eine inhaltlich wirklich unabhängige finanzielle Absicherung garantieren können.

Kommen wir zum Titel und Anlass dieses kleinen Exkurses: Heute haben Borussia Dortmund und Rheinmetall eine „Partnerschaft“ verkündet, also ein stinknormales Sponsoring. Der Konzern bekommt Bandenwerbung und bestimmt noch ein bisschen mehr, der Bundesligaclub ungefähr 20 Millionen Euro für drei Jahre. Nun würde ich eigentlich keinem Fußballverein aufhalsen, sich mit historiografischen Fragestellungen seiner gewerblichen Kunden befassen zu müssen, würde Borussia Dortmund nicht besonders stark und oft mit Geschichte arbeiten: der eigenen, aber auch mit Gedenkstättenfahrten und Projekten gegen Rechtsextremismus. Und hätte man sich nicht entblödet, dieses Engagement unter dem Banner „Taking Responsibility“ in den zeithistorischen Kontext der „Zeitenwende“ einzubetten:

„Sicherheit und Verteidigung sind elementare Eckpfeiler unserer Demokratie. […] Gerade heute, da wir jeden Tag erleben, wie Freiheit in Europa verteidigt werden muss. Mit dieser neuen Normalität sollten wir uns auseinandersetzen.“

Man kann das so machen, man wird mit den Reaktionen gerechnet haben. Nicht dumm, das drei Tage vor dem größten Vereinsspiel des letzten Jahrzehnts zu tun. Wird es gewonnen, kümmert sich keiner mehr um die Millionen, die mittelbar aus dem Töten von Menschen erwirtschaftet wurden. Verliert man es, naja, kann man immer noch über den Trainer diskutieren. Echte Sieger halt.

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