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Ich denke und sage in letzter Zeit oft Dinge, bei denen ich mich selbst nicht so richtig ernst nehmen kann. Dann schießen mir Wörter durch den Kopf oder purzeln mir aus dem Mund, bei denen ich denke: das klingt so überholt, so bekloppt, wo kommt das denn her? 

“Weltrevolution” ist so eins. 

Hat ‘nen Bart länger als Marx, ist kitschiger als ne Jugendstilvase. Kann man nicht sagen, nicht wirklich verfolgen als Gedanke.

Aber dann: Warum eigentlich nicht? 

Je mehr ich darüber nachdenke, desto zeitgemäßer finde ich das Wort eigentlich, denn:

Was ist eine Revolution?

Eine Gesellschaft erreicht einen Tiefpunkt (meistens, weil die Reichen zu gierig waren), die Menschen sind sauer und bauen etwas (hoffentlich) Besseres auf - und das Ganze dann einfach global gedacht.

Fangen wir vorne an: Die Reichen bauen gerade richtig scheisse, raffen so viel an sich, dass es uns nicht nur allen immer schlechter geht, sondern auch die Lebensgrundlagen vernichtet werden. Das System wird dadurch so instabil, dass es sehr wahrscheinlich bald mal wieder crasht.

Sei es ein Krieg zwischen China und Taiwan, der die ganzen Just in Time-Lieferketten zerstört. Sei es ein “multiple breadbasket failure”, also eine gleichzeitige Dürre in den großen Weizenanbaugebieten der Welt – ausgelöst durch die Abschwächung des Jetstreams. Sei es die nächste Finanzkrise.

2008 war ja schon krass, jetzt sind die Geldmengen, die im Umlauf sind, um einiges größer als damals. Elon Musk will jetzt noch den “Verbraucherschutz im US-Finanzsektor abschaffen”. Das heißt nichts anderes als: Er tritt die letzten Sicherheitsstützen des Systems weg, damit seine Buddies noch ein bisschen reicher werden. 

Die Finanzkrise 2008 hat zu den Revolutionen im Nahen Osten geführt, die wiederum die Menschen in Südeuropa inspiriert haben, gegen die Austeritätspolitik der EU zu rebellieren, und schließlich hat #occupywallstreet hunderte von Städte besetzt: We are the 99%! Die Guy Fawkes-Maske, die damals von vielen getragen wurde, wird heute immer noch auf revolutionären Protesten getragen: Thailand, Myanmar, Hongkong und viele mehr.

Und solche Beispiele gibt es ja massenhaft: 2003 war ich zum ersten Mal auf der Straße, weil die USA den Irak angreifen wollte. Bis zu zehn Millionen Menschen waren damals am gleichen Tag im Protest  – in über 60 Ländern. 

Extinction Rebellion hat sich wie ein Lauffeuer über den Planeten verbreitet, genau wie Fridays for Future. Wir von der Letzten Generation sind in einem internationalen Netzwerk, das von Neuseeland bis Kanada reicht. Wir tauschen Strategien aus, Protestideen und sogar Geld. Jede Woche sitze ich in internationalen Calls. 

Die Welt ist heute vernetzter als sie jemals war. Eine Rede, ein Meme, ein Protestaufruf rast um den Planeten in Sekunden, denn wir alle teilen ja mittlerweile das gleiche Schicksal: Wir alle verlieren alles, weil einige wenige zu wenig einsichtig sind.

Was wir dabei mittlerweile richtig gut können: Protest. Sei es, Millionen von Menschen auf die Straße bringen, zivilen Widerstand leisten, ein Protestcamp errichten. Wir können die Logistik, die Pressearbeit, das Spendensammeln und die spektakulären Aktionen. 

Was die erfolgreichen von den weniger erfolgreichen Bewegungen unterscheidet: Sie können ihre Wut in legitime Forderungen überführen, in Verhandlungen treten und sich durchsetzen. Das habe ich selbst in Ägypten besonders schmerzhaft erlebt.

Ich weiß noch, wie ich auf dem Tahrir-Platz stand, eine junge Frau sich an die Spitze eines Protestzugs setzte, Slogans rief und all die Menschen Richtung Innenministerium führte, vorbei an ausgebrannten Autos und Barrikaden. Vor dem Ministerium stand eine Reihe Polizisten, und als wir nahe genug dran waren, schossen sie Tränengasgranaten in die Menge. Ich hörte nur noch die Schreie “Gas, Gas, Gas!”, aber es war schon zu spät. Mit all den Anderen rannte ich die Straße runter, unfähig zu atmen, oder irgendetwas zu sehen, überall um mich herum Schreie und Menschen, die zusammenbrachen.

Aber die Menschen ließen sich nicht abhalten. Kurze Zeit später sammelten sie sich wieder und setzten ihre Proteste fort. Doch ihr Mut alleine reichte nicht. Der Diktator Mubarak wurde zwar abgesetzt, dann jedoch durch eine Militärjunta ersetzt, und die Unterdrückung wurde noch schlimmer.

Was war passiert? Die Menschen hatten es nie geschafft, sich so zu organisieren, dass sie auch selbst hätten Macht übernehmen können.

Die Otpor-Bewegung in Serbien hat das Gleiche erlebt. Im Sommer habe ich Ivan Marovic kennengelernt, einen der Führer der Bewegung, die es schaffte Slobodan Milošević im Jahr 2000 zu stürzen. Milošević verfolgte die Opposition, überfiel seine Nachbarländer, ließ Minderheiten vertreiben. Der “Schlächter vom Balkan” wurde er auch genannt. Marovic und seine Freund:innen aus der Uni bauten eine friedliche Bewegung und besiegten ihn in Wahlen. Doch dann kamen andere – weniger demokratisch gesinnte Männer – und übernahmen die Macht.

Wir leben in einer Demokratie. Da funktioniert das alles ein bisschen anders. Aber eine grundlegende Sache bleibt gleich: Es reicht nicht, nur Druck aufzubauen. Man muss auch Institutionen erschaffen, die bestehen bleiben, wenn die Menschenmassen wieder nach hause gegangen sind. Sonst füllen Andere das Vakuum.

In unserem Fall könnte das ein Gesellschaftsrat sein, denn die bestehende Demokratie ist ja im Prinzip ein Witz, wenn man sich anschaut, was mit Demokratie eigentlich mal gemeint war: dass Menschen sich selbst regieren. 

Heute haben wir eine Klasse von Politiker:innen, Konzernchefs und Lobbys, die die meisten Entscheidungen treffen. Vielleicht kann man noch sagen: Aber die Grünen, die meinen es doch gut! Ja, tun sie. Aber es reicht nicht mehr, ein paar Reformen anzustreben. Dafür sind die Probleme zu gravierend, und die Menschen wollen ja längst auch viel mehr: Das zeigen doch die Ergebnisse der vielen Bürgerräte, die es mittlerweile gab – radikale (angemessene) Ideen, die dann nicht umgesetzt werden, weil: Lobbys & Co. 

Wir müssen uns also besser organisieren.

Wie?

Mehr dazu weiter unten.

Nur noch dieser Zwischenwurf: Wenn wir es nicht tun, tun es die Rechten. Die planen eine Revolution und sie nennt sich Faschismus. Sie wollen die Demokratie abschaffen und den Neoliberalismus komplett eskalieren, denn er entspricht ihren Werten: es gibt Menschen, die sind wertvoll und es gibt Menschen, die sind es nicht. In ihren Augen sollen “wertvolle” Menschen viel verdienen. Alle anderen wollen sie ausweisen, auf sie an der Grenze schießen oder sie ins Lager schicken – und ich habe das Gefühl, dass Du und ich für sie auch nicht besonders wertvoll sind. Dass sie Menschen auf die Straße bringen können, haben sie mit Pegida und vielen anderen Demonstrationen bewiesen. Mit der AfD haben sie auch eine stehende Institution.

Dem stellen wir etwas entgegen: unsere Menschlichkeit (oh Gott, schon wieder so eine Jugendstilvase). Das wichtigste dabei ist, dass wir uns treffen, uns als Gleiche begegnen, um uns gegenseitig zu zuhören und gemeinsam ins Machen zu kommen. Das kann ganz klein anfangen, denn keine Revolution passiert von heute auf morgen. Sie beginnen alle mit ein paar Menschen, die sich zusammentun.

Stell dir vor, du organisierst ein Dinner und lädst dir fünf Friends ein. Ihr redet darüber, was euch wichtig ist und was ihre gerne ändern wollt, was eure Forderungen an die Gesellschaft sind. Und dann organisiert jeder, der dabei war, wieder so ein Dinner. Und alle, die dann da dabei waren, organisieren nochmal eins, und auf einmal wächst das rasend schnell. Überall kleine Demokratie-Dinner. Was mit fünf Menschen anfängt, ist nach ein paar Runden auf 75.000 angewachsen, und das wäre ja schon ziemlich geil – und es wäre erst der Anfang. 

Zusammen können wir uns in den Wahlkampf einmischen, um zu sagen, was wir wollen, und am Tag nach der Wahl losen wir unseren eigenen Gesellschaftsrat aus, der unser eigenes Regierungsprogramm schreibt – frei von Konzerninteressen, stattdessen: unsere Wünsche, Visionen und Träume. Und wenn die Politik uns Menschen wieder ignoriert, dann ist das kein Problem, denn: Protest können wir ja.

Kollaps oder Revolution? Ich glaube: Revolution ist möglich. Wenn wir klein anfangen.


Falls dich interessiert, wie das klappen kann, komm dazu:

Dienstag, 3. Dezember

20 Uhr

Zoom-Link (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)


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