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In zwei Wochen steht schon der nächste Gerichtsprozess an. Dazu kam noch ein Vollstreckungsbescheid. Ich soll 2700 Euro bezahlen – für eine einzige Blockade. Ein entsprechender Strafbefehl ist mir nie zugegangen, das heißt, ich hatte nicht die Chance Widerspruch einzulegen und einen entsprechenden Prozess zu bekommen. Ich hatte gar nicht die Möglichkeit mich zu verteidigen.

Es ist eine Frechheit. Eine Farce. Aufhalten tut es mich nicht.

Weil mich die Gerichte in den kommenden Wochen öfters beschäftigen werden, ich weiter klarmachen werde, warum unser Widerstand richtig ist, und ich in den vergangenen Wochen immer wieder gemerkt habe, wie viel Rückhalt ich bei euch habe, wollte ich euch gerne meine “Einlassung” schicken. Es ist die Rede, die ich den Richtern zu Beginn des Prozess entgegenhalte.

Einlassung

Bevor ich zur Letzten Generation gewechselt bin, habe ich viel darüber nachgedacht, ob das ein kluger Schritt ist, ob ich da am wirksamsten sein würde.

Aber jetzt, vor einigen Wochen und mit Blick auf diesen Gerichtstermin, hat mich noch mal ein Bekannter gefragt: Warum machst du das alles?

Es war ein guter Anlass, darüber nachzudenken.

Ich hatte meinen Jaob, habe für den SPIEGEL und die ZEIT geschrieben, auf Bühnen vor hunderten Menschen gesprochen. Und das dann alles weggeworfen.

Warum? 

Im Gespräch haben wir gemeinsam ein bisschen mein Leben durchforstet, versucht herzuleiten, wie ich da gelandet bin, wo ich jetzt bin: vor Gericht für meine politischen Überzeugungen.

Meine erste politische Erinnerung sind wohl Videos aus den Konzentrationslagern, aufgenommen nach der Befreiung durch die Alliierten. Ich erinnere mich vor allem an die Bilder von Bulldozern, die Berge von ausgemergelten Leichen in Massengräber schoben. Ich habe die Lehrerin, die uns die Videos gezeigt hat, ein bisschen gehasst in dem Moment, bin ihr aber auch dankbar.

Die zweite relevante Erinnerung, bei der wir gelandet sind, ist von meiner ersten Reise ohne meine Eltern. Zu fünft sind wir mit Freunden per Interrail durch Europa gereist. An eine Abend standen wir irgendwo in Frankreich am Strand, haben billigen Rotwein getrunken und Würste gegrillt, als meine Mutter anrief und sagte: “Raphael, unser Haus wurde zwangsversteigert. Wenn du zurückkommst, sind wir schon umgezogen.”

Die Ehe meiner Eltern zerbrach darüber, ich zog mit meinem Bruder in ein anonymes Mehrfamilienhaus und lag irgendwann bald darauf draußen auf der Straße auf dem Asphalt und habe mich endlos einsam gefühlt.

Politisch im engeren Sinne war niemand in meiner Familie. Meine Mutter hatte immer einen starken Gerechtigkeitssinn, holte Hunde aus dem Tierheim, kümmerte sich um Nachbarskinder aus schwierigen Familien. Während des Jugoslawienkriegs nahmen wir einen jungen Mann von dort auf.

2007 während meines Studiums lebte ich in Syrien. Ich schrieb für eine kleine regionale Zeitung und verliebte mich in die Stadt Damaskus, eigentlich das ganze Land. Bei einem Abendessen lernte ich Alan kennen. Ein stiller, nachdenklicher Typ, der Medizin studierte. Er lud mich immer zum Makloube essen in sein kleines Wohnheimzimmer ein.

Es ist ein Gericht mit Auberginen, Reis und  Hähnchen, und ich habe erst viel später begriffen, wie viel Geld das jedes Mal für ihn gewesen sein muss. Überhaupt der Nahe Osten: so viel Schönheit, so viel Leid, so viel Gastfreundschaft – ich wollte nach meinem Studium auf jeden Fall zurück.

2011 war es wo weit. Als Reporter erlebte ich die Revolution in Tunesien, reiste durch das befreite Libyen, stand im Tränengasnebel auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Überall gründete die Menschen Parteien und Zeitungen. Eine ganze Region voller Hoffnung.

Irgendwann kippte der Traum und wurde zum Alptraum, Syriens Diktator begann einen Krieg gegen sein eigenes Volk. Ich zog in den Libanon, schrieb für die taz über den Bürgerkrieg.

Ich sah die Zerstörung während einer Recherche im Land und was mir in Erinnerung blieb, nicht mehr weggeht, ist ein Video. Syrische Soldaten hatte eine Gruppe Aufständiger erschossen. Die Bilder zeigten, wie die Soldaten sich über die Leichen beugten und mit ihren Messer auf sie einstochen. Ich erinnere mich noch, an eine Szene, wie einer der Soldaten das Messer in den Kopf eines Toten stach, immer und immer wieder,

Syrien wurde in großen Teilen zerstört. Millionen Menschen verloren ihr Zuhause. Auch mein Freund Alan. Er lebt mittlerweile in Deutschland.

Ich berichtete aus den Lagern im Libanon und der Türkei. Das Zuhause der Menschen dort: Zelte, in die Schnee eindrang. Zelte, die bei Starkregen mit Exkrementen aus den behelfsmäßigen Toiletten vollliefen. Ich begleitete eine Gruppe Syrer auf ihrer Flucht durch den Balkan. Sie wurden geschlagen, mussten im Dreck schlafen, wurden eingesperrt – und all das, nur weil sie ein Zuhause suchten. 

Was ich damals nicht wusste: Vor dem Bürgerkrieg hatte die größte Dürre seit Jahrzehnten das Land heimgesucht. Ein Fünftel der Landbevölkerung verlor ihre Lebensgrundlage, das Vieh starb, die Ernte verdorrte. Es war auch ihre Not und Wut, die in die Revolution und dann zum Bürgerkrieg führten.  

Doch diese Zusammenhänge verstand ich erst 2019, als die Fridays auf die Straße gingen. Ich hatte das Thema Klima nicht auf dem Schirm, dachte: Vielleicht gibt’s die Klimakrise, vielleicht auch nicht – auch ich war Opfer der fossilen Propaganda. Und damit ging es mir, wie so vielen.

Für den SPIEGEL reiste ich in eine Oase in Marokko. Die Recherche war auch ein bisschen ein Vorwand, um Marokko zu sehen, vielleicht noch ein paar Tage Urlaub dran zu hängen – konnte so schlimm ja alles nicht sein mit dem Klima.

Ich begleitete Halim Sbai durch die Oase, er führte mich herum, zeigte mir, wo er aufgewachsen war. Er erzählte mir von Feldern voller Melonen und Granatapfelbäumen und Dattelpalmen, in denen er als Kind gespielt hatte. Jetzt war da nur noch eine Lehmmauer, die aus dem Sand ragte. Mehr war nicht mehr übrig vom Ort seiner Kindheit.

Die Oase trocknet aus. Die Menschen ziehen weg, in die großen Städte und nach Europa. Ich schrieb damals in meiner Reportage: „Oasen sind wie Grubenvögel“: 150 Millionen Menschen im Mittelmeerraum sind von Dürre bedroht. Es ist eine der am schlimmsten betroffenen Regionen weltweit. Den Menschen droht das bald allen. All diesen Menschen droht der Verlust ihrer Heimat.

Sbai pflanzt so viele Palmen wie er kann, um die Oase zu schützen. Aber er kann diesen Kampf nicht gewinnen. Das begriff ich, je mehr ich über die Klimakrise verstand.

Ich berichtete aus Kapstadt, recherchierte über die Wasserknappheit und traf eine junge Frau. Ihr Bruder hatte – trotz Verbot – ein Glas Leitungswasser getrunken, weil er Durst hatte. Das Wasser war schon so verunreinigt, dass er fast daran starb.

Im Irak sprach ich mit einem Bauern. Eine Überschwemmung hatte den gesamten Mutterboden von seinen Feldern gewaschen. Felder, von denen seine Familie seit Generationen gelebt hatte. Feldern, auf denen zu unseren Lebzeiten nie wieder etwas wachsen wird.  

Ich traf auf Spitzbergen in der Arktis eine Schülerin. Ihr Lehrer war von einer Lawine lebendig begraben worden – in seinem Haus. Eine Lawine, die ohne die Klimakrise nicht vorstellbar gewesen wäre. Jeden Morgen musste das Mädchen auf dem Schulweg an der Unglücksstelle vorbei. Sie sagte mir: „Ich habe Angst, in den nächsten 10 Jahren zu sterben.“

Ich stürzte in ein Loch. Damals war das Wort Klimadepression in aller Munde, und so fühlte es sich an. Alles schien dunkler, überall sah ich sie, die Krise. Die sterbenden Bäume, die brennenden Wälder, kaum etwas machte mir noch Freude.  

Und dann guckte ich mir die Ursachen für all das an. Ursprünglich dachte ich, es liegt an meinem individuellen Fußabdruck. Doch dann begriff ich: Das ist Bullshit.

Der Ölkonzern British Petrol hatte den ersten Fußabdruckrechner ins Internet gestellt, um die Verantwortung von sich auf die Konsumenten abzuwälzen.

Die Ölindustrie belügt seit Jahrzehnten die Öffentlichkeit. Schon 1980 schrieb ExxonMobile in einem Bericht: Die Klimakrise wird „katastrophale Konsequenzen für einen Großteil der Weltbevölkerung“ haben. Trotzdem machten sie weiter. Sie erstellen falsche Studien, schüchtern Wissenschaftler ein, drängen Politiker aus dem Amt. Alles, um ihre Profite zu sichern. Obwohl sie damit unsere Lebensgrundlagen zerstören.

Ein ganz konkretes Beispiel, wie erfolgreich sie damit sind: Eine meiner Redaktionen schickte mich für eine Reportage nach Lützerath. Ich zitierte die DIW-Zahlen, nach denen vor dem Dorf die 1,5 Grad-Grenze verläuft. Meine Redakteurin sagte: Nimm auch Zahlen vom RWI rein, die sind von RWE gegründet, um mehr Balance in dem Stück zu haben.

Schon wenn man auf Wikipedia guckt, sieht man, dass das RWI in der Vergangenheit gefälschte Zahlen genutzt hat, um Ökostrom schlecht zu rechnen.

Wenn ich bei sowas dann dagegenhielt, kam die Frage: Raphael, bist du jetzt Journalist oder Aktivist? 

Steht diese Frage nur im Raum, ist das sowas wie ein Berufsverbot für einen freien Journalisten.

Ich rede jetzt schon lange. Aber als ich das alles begriff, konnte ich nicht so weitermachen wie zuvor: Es gibt eine Gruppe von Menschen, die zerstört für ihren Profit unser globales Zuhause.

Und niemand hält sie auf.

2019 waren 1,4 Millionen Menschen mit den Fridays auf der Straße. Am gleichen Tag verabschiedete die Bundesregierung das sogenannte „Klimapaket“, das jedoch keinen Klimaschutz beinhaltete.

2023 Lützerath: Selbst die Grünen argumentierten in dieser Zeit mit gefälschten Zahlen der RWE, um die Zerstörung zu rechtfertigen.

Die alljährlichen Klimakonferenzen. Die vergangene fand in den Vereinigten Arabischen Emiraten statt, die nächste in Aserbeidschan. Beides sind Ölstaaten.

Unsere Regierung hat das Paris-Abkommen unterzeichnet, ein Klimagesetz erlassen und ist laut Artikel 20a GG daran gebunden, unsere Lebensgrundlagen zu schützen. Selbst das Bundesverfassungsgericht hat schon entsprechend geurteilt. Aber all das führt nicht zu Klimaschutz. Unsere Regierung handelt nicht.

Volker Wissing verblödet sich zu sagen, es gäbe nicht genug Schilder für Tempolimit.

Olaf Scholz lügt. Sein eigener Expertenrat schreibt: Die Klimapolitik reicht nicht aus. Scholz stellt sich am gleichen Tag medienwirksam neben ein Windrad und sagt: „Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit den Maßnahmen genau das tun, was man braucht, damit Deutschland 2045 CO2-neutral wird.“

Ich würde sagen: unsere Demokratie wurde gehackt.

Und in so einem Umfeld funktioniert Journalismus nicht mehr. Wenn ich nicht schreiben kann, was die Wissenschaft sagt. Wenn ich die Schuldigen nicht benennen kann, weil das zu politisch ist. Wenn der Appell nicht mehr funktioniert, weil Ölkonzerne und Lobbyisten direkten Zugang zu den Korridoren der Macht haben, dann ist etwas kaputt.

Sie können mir glauben, dass ich mir das nicht leicht gemacht habe. Ich habe eingangs erklärt, dass ich ein sehr komfortables Leben hatte. Auf Recherche gehen. Bücher schreiben. Auf Bühnen sprechen. Auszeichnungen bekommen.

Das alles habe ich weggeworfen, weil ich glaube, dass es an der Zeit ist, Verantwortung zu übernehmen. Wir alle müssen mehr Verantwortung übernehmen, um die Zerstörung aufhalten, um unser Zuhause zu schützen. Wir müssen Widerstand leisten.

Und deshalb, zur Sache: Ja, ich halte Protest für sinnvoll. Ja, ich halte zivilen Ungehorsam für legitim und werde ihn weiterhin machen.

Und ich denke auch Sie, Herr Richter, sollten das tun. 

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