Wie es weitergeht
Meine erste Straßenblockade mit der Letzten Generation werde ich nicht vergessen. Wie wir uns morgens früh bei Eiseskälte getroffen haben, in Kleingruppen zur Kreuzung gelaufen sind, gewartet haben, dass die Fußgängerampel auf grün springt. Dann auf die Straße drauf, Weste an, hinsetzen.
Geklebt habe ich damals nicht, ich war die Rettungsgasse. Ein Mann brachte uns Kaffee, ein anderer versuchte mich niederzustarren, ich hielt stand, er ging irgendwann weg. Die Polizei kam, schrieb ihre Anzeige und dann: das Hochgefühl. Nicht mehr Teil dieses Systems sein, das den Planeten zerstört, sondern im Widerstand dagegen. Nicht mehr stumm zuschauen, wie die Regierung die Interessen fossiler Konzerne schützt, statt unsere Leben. Wie soll ich’s sagen?
Seitdem geht’s mir gut.
Nicht, dass alles einfach ist. Polizisten haben mir die Arme umgedreht, wütende Menschen sind mir auf die angeklebte Hand getreten, 2700 Euro lautete das erste rechtskräftige Urteil gegen mich. Freund:innen von mir hat’s erwischt: Burn-Out. Andere werden ins Gefängnis geschickt. Es gibt Hausdurchsuchungen, Schmerzgriffe, Telefonüberwachung. Das ist alles da, und das ist scheisse. Und trotzdem geht’s mir gut.
Wir Menschen sind wundervoll. Der Kapitalismus redet uns ein, dass wir kalt optimierende Wesen sind, Homo oeconomicus, die immer nur ihren eigenen materiellen Vorteil suchen. Wir sind’s nicht.
Wenn die Letzte Generation irgendwas bewiesen hat, dann das. Wir Menschen tun Dinge für andere. Wir kümmern uns um einander. Wir nehmen große Risiken auf uns für das Gemeinwohl – und wir finden darin Erfüllung. Wir finden uns selbst darin.
Das oberste Prinzip der Letzten Generation lautete Gewaltfreiheit, angelehnt daran, wie Gandhi und Martin Luther King Jr. es geprägt haben. Und die beiden – oh, wie weihnachtlich! – bezogen sich auf Jesus und die Bergpredigt. Ich habe sie im Sommer zum ersten Mal gelesen. Was für ein revolutionärer Text, lest ihn, wenn ihr über die Feiertage ein bisschen Zeit habt.
Ihr merkt vielleicht, ich schreibe in der Vergangenheitsform über die Letzte Generation, denn wir starten etwas Neues – gestern haben wir unseren Namen abgelegt. Ich weiß schon ungefähr, wie es nächstes Jahr weitergehen wird, aber ich merke auch, wie es mich verunsichert, keinen Namen zu haben. Dinge, die man nicht benennen kann, fallen aus der Form, sie lösen sich mit der Zeit auf, auch wenn die Beziehungen zwischen uns stark sind, weil wir so viel zusammen erlitten und erreicht haben.
Trotz all der Verunsicherung fühlt es sich gut an, diesen Schritt zu gehen. Zu viele Bewegungen halten auch noch an ihrem Label, ihren Taktiken und Erzählungen fest, wenn sich die äußeren Umstände längst verändert haben. Wir gehen da einen Schritt weiter. Wie das Baby heißen wird, wie wir uns organisieren, und welche Taktiken die richtigen sein werden, dafür ist es noch zu früh, aber mir sind schon einige Dinge klar.
Ende Gelände, Fridays for Future, Letzte Generation – wir alle haben die vergangenen Jahre damit verbracht, zu versuchen die Aufmerksamkeit der Regierung zu bekommen. Wie Kinder, die vor ihren Eltern rumspringen. Das hat nicht funktioniert. Weiterhin gibt die Politik Milliarden unserer Steuergelder an Konzerne wie RWE, damit die weiter massenhaft Menschen töten können. Sie subventioniert Privatjetflüge und behindert den Ausbau regenerativer Technologien. Wir mussten einsehen, dass sie nicht anders kann. Wir müssen einsehen, dass Konzerne und ihre Lobbys unser politisches System gehackt haben. Wir müssen einsehen, dass unsere Demokratie keine mehr ist. “Dem deutschen Volke” steht auf dem Bundestag. Ehrlicher wäre “Der internationalen Profitwirtschaft”.
Das sind die äußeren Umstände, mit denen wir umgehen müssen. Die Politik wird unsere Lebensgrundlagen nicht schützen. Sie wird nicht für Gerechtigkeit sorgen.
Das müssen wir selbst tun.
Carla hat dem SPIEGEL (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) gestern ein Interview gegeben:
SPIEGEL: Entschuldigung, aber das klingt doch nach Revolution.
Carla Hinrichs: Ja, friedliche Revolutionen sind etwas Wundervolles, denken wir nur an den Fall der Mauer. Wenn wir erfolgreich sind, wird alles, was wir gemacht haben, sicher irgendwann als friedliche Revolution bezeichnet werden.
Die Letzte Generation war diese Revolution von Anfang an, denn bei sowas geht’s ja nicht um einen schnöden Wechsel der Regierung. Es geht um eine grundlegende Umwälzung, und jedes Mal, wenn wir gewaltfrei unseren Protest auf die Straße gebracht haben, haben wir das System ein kleines bisschen ausgehebelt. Wir haben seine Grundannahme Lügen gestraft, nämlich, dass wir alle egoistisch sind. Kein Mensch ist unabhängig von den anderen. Wir können nur gemeinsam leben und überleben. Dafür sind wir geboren.
Das gilt es auch in die Politik zu tragen. Wie das aussehen kann?
Für mich sind Gesellschaftsräte dieser Ort. Dort begegnen wir uns als Menschen, hören einander zu, versuchen Lösungen zu finden, die nicht meinem persönlichen Vorteil dienen, sondern dem Kollektiv. Stellt euch doch mal vor, unser Land würde auf dieser Basis regiert, und nicht von Menschen, die da oben ständig um Macht kämpfen und in dem Prozess ihre Werte und unsere Zukunft verkaufen.
Wir bauen einen solchen Gesellschaftsrat gerade mit unserer Kampagne Jetzt reden wir! (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)– es ist ein erster Schritt in Richtung der politischen Revolution, die wir brauchen. Es ist auch unsere beste Krisenvorsorge. Die nächste große Erschütterung wird sicherlich kommen, eine Finanzkrise, ein Zusammenbruch der Lieferketten, Extremwetter oder Massenarbeitslosigkeit und noch mehr Armut – und dann ist es wichtig, dass nicht nur wieder die Lobbys sprechen, und die “Lösungen” diktieren. Dann brauchen wir Menschen auch eine gemeinsame Stimme, mit der wir sprechen.
Druck machen müssen wir natürlich auch. Ich stelle mir vor, wie zehntausende Menschen vor dem Bundestag campen, bis wir endlich unsere Wirtschaft so umbauen, dass sie nicht mehr den Konzernen, sondern den Menschen dient.
Das klingt utopisch, eigentlich ist es alltäglich, wie ein Blick in die vergangenen Monate und Jahre zeigt. Politische Revolutionen passieren, sie sind Teil der menschlichen Geschichte, so wie technischer Fortschritt. Und wenn ich mich umsehe, dann deutet weltweit gerade viel auf Brüche und politische Revolutionen hin.
Vielleicht passiert das also schon nächstes Jahr. Vielleicht erst das Jahr darauf. Ich weiß es nicht. Aber ich will mich darauf vorbereiten, und freue mich darauf, das mit vielen Menschen gemeinsam zu machen.
Ich habe da so eine Idee. Falls Du Lust hast, etwas auszuprobieren, dann markier dir doch schon mal das Datum 18. Januar, 12.30 Uhr in deinen Kalender. Ich melde mich noch mal mit mehr Infos!