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Ein Manifest der Generation Klimakampf - 17.08.2023

Heute kommt's raus: WUT – mein Debütroman, ich bin total aufgeregt und super dankbar, allen die daran mitgeholfen haben. Das Hamburger Abendblatt hat's »Ein Manifest für den Klimakampf«, genannt, der RBB Kultur »faszinierende Utopie«. Ich bin mega happy.

Falls du Bock hast, es zu lesen: Es liegt jetzt im Buchhandel, und du kannst es natürlich bestellen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)!

Und als kleine Leseprobe, gibt's hier das erste Kapitel:

Kapitel 1

Unsere jungen Gesichter waren zu Masken erstarrt.
Wir liefen die Straße des 17. Juni runter, ich krallte meine Finger ins Fronttransparent.
»What do we want?«, rief jemand weiter hinten in der Demo.
»Climate Justice!«
»When do we want it?«
»Now!«
Früher hatte ich bei dem Ruf eine Gänsehaut bekommen.
Über den Baumkronen des Tiergartens kam der DE- Tower in den Blick. Wir protestierten seit Jahren gegen den Konzern; die Politik, unsere Eltern, die Wirtschaft applaudierten uns, und dann schütteten sie alle weiter mit beiden Händen Öl in das Feuer, das unsere Zukunft hätte sein sollen. Es passiere doch schon viel, sagten sie, und dass wir ein bisschen Geduld zeigen sollten und Dankbarkeit, doch in Wahrheit passierte nichts, wir rasten weiter auf die 1,5-Grad-Grenze zu, und dahinter lauerten die Kipppunkte des Klimas. Schieb einen Teller auf den Tischrand zu – lange Zeit passiert nichts. Bis er kippt. Unsere Aussicht aufs Leben: dieser Scherbenhaufen.

Und während wir mal wieder aufs Brandenburger Tor zuliefen, mal wieder der Ruf »Whose Streets? Our Streets« erklang, den selbst ich nicht mehr glaubte, weil wir immer nur brav der Polizei auf der abgesprochenen Route folgten, sagte Wassim aus dem Nichts:

»Lasst uns eskalieren heute.«
»Was?«, sagte Sara.
»Lasst uns eskalieren heute, vorne am Potsdamer Platz bei der DE-Zentrale. Wenn wir mit der Demo daran vorbeikommen, brechen wir seitlich aus und laufen rein. Wir sind knapp tausend hier, einige Hundert werden uns schon folgen, und die Polizei erwartet das nicht, die kriegen das erst mit, wenn’s zu spät ist.«

Ich kam kurz aus dem Tritt. Das war nicht Wassims Stil. Als sie uns zum ersten Mal ins Wirtschaftsministerium eingeladen, uns zum ersten Mal ernst genommen hatten, hatte Wassim dem Minister lächelnd die Tür aufgehalten, während des Gesprächs genickt. Bei unseren Treffen war er es, der allen Tee aus seiner silbernen Thermosflasche einschenkte und bloß in kritischen Augenblicken einen Gedanken einwarf.

Es passte eher zu Sara, die lange schon keinen Bock mehr hatte auf Latschdemos, mehr machen wollte, oft sagte, sie laufe bloß noch mit, weil sie sich sonst so allein fühlen würde mit der ganzen Scheiße. Jetzt schlug sie in Wassims ausgestreckte Hand ein, warf mir einen herausfordernden Blick zu.

Später haben Wassim und ich mal über diesen Tag gesprochen. Er meinte, es habe schon länger in ihm gebrodelt. Eigentlich schon seit dem Jahrestag der Beerdigung.

Die Polizei vor uns erreichte das Brandenburger Tor, ein paar Touristinnen hörten auf, Selfies zu machen. Wassim bemerkte meine Irritation.

»Was denn, Vallie?«, sagte er so laut, dass einige, die hinter uns liefen, auf unseren Wortwechsel aufmerksam wurden. »Warum denn nicht?« Ich hatte das Gefühl gehabt, ihn, Sara und die anderen so gut zu kennen. Dass Dinge sich so schnell ändern konnten, hatte ich nicht erwartet.

»Weil tausend Gründe«, sagte ich. »Weil wir das noch nie gemacht haben. Weil die Polizei uns dann zusammenprügelt. Weil wir nichts geplant, keine Strategie haben.«

»Und was nennst du das hier, Vallie? Zum x-ten Mal am Brandenburger Tor vorbeilaufen, ist das eine Strategie? Guck doch mal hin.« Wassim zeigte auf die endlosen Autoreihen auf der anderen Straßenseite, auf die Bäume, die im Tiergarten verdorrten, unseren mickrigen Protestzug.

Ich guckte nicht hin. Es war Juli, noch früher Vormittag, aber schon wieder schwülheiß, und der Tag sollte noch heißer werden. Für später gab es eine Unwetterwarnung, inklusive Sturmböen. Zuletzt hatte das immer Tote bedeutet.

»Wir spazieren durch die Gegend, und um uns rum geht die Welt unter«, sagte Wassim.

»Und was willst du – einen Riot?«, fragte ich. »Sag mir, wann das mal was Sinnvolles erreicht hat.«

»Stonewall«, sagte Sara, und das Wort stand einen Augenblick still in der schwülen Luft. Der Aufstand im Stonewall Inn 1969. Polizisten hatten in New York mal wieder eine Bar der queeren Community gefilzt, Menschen rumgeschubst und beleidigt, aber dieses Mal waren Gläser und Flaschen auf die Cops geflogen. Ausschreitungen folgten, angeführt von Schwarzen Frauen breiteten sie sich aufs ganze Land aus. Stunde null einer Freiheitsbewegung.

»Yes«, sagte Wassim. »Und heute feiern wir den Christopher Street Day, als gäbe es kein Morgen mehr.«

Ich guckte die beiden an. Heute gab es wirklich kein Morgen mehr, und ohne den CSD gäbe es das zwischen Sara und mir wahrscheinlich nicht, auch wenn ich mir oft unsicher war, ob es noch lange halten würde. Manchmal musste ich an die Albatrosse auf den Falklandinseln denken, von denen ich gelesen hatte. Die Vögel wollen ihr ganzes Leben mit ihren Partnerinnen verbringen, tanzen jedes Mal, wenn sie sich nach langen Flügen wiedersehen, doch seit einigen Jahren war etwas aus dem Gleichgewicht. Die Albatros-Liebe war gestört, mehr und mehr Beziehungen wehten auseinander, und Wissenschaftler sagten, dass es an der Klimakrise lag.

»Wir stürmen keine Konzernzentrale«, sagte ich. »Vor allem, weil die DE doch eh schon erledigt ist.«

Von vorne kam ein Polizist auf uns zu, der, mit dem wir immer die Route absprachen. Ein älterer Typ mit Schnauzbart und Berliner Dialekt. Er lief neben uns her und sagte, dass wir unsere Abschlusskundgebung nicht am geplanten Ort machen könnten, wegen der Autokolonne eines internationalen Politikers gebe es eine unerwartete Straßensperrung.

Es tue ihm leid, sagte er, Berlins Straßen seien für die Polizei mittlerweile wie ein riesiges Tetris-Spiel, in dem sie Demos, Politikerinnen und Wirtschaftsbosse ineinanderschachteln müssten, während die Geschwindigkeit immer weiter zunehme. Für uns sei heute auf jeden Fall am Potsdamer Platz Schluss.

Ich ließ es nicht auf eine aussichtslose Diskussion ankommen, nickte ihm zu, bedankte mich und spürte die Seitenblicke von Wassim.

»Du bedankst dich auch noch?«, sagte er.
»Es ist nicht seine Schuld?«
»Hey, voll nice, dass sie unseren Protest unterdrücken.« »Was ist los?«, sagte ich.
Wassim wandte sein Gesicht ab, biss die Zähne zusammen, der Strang seiner Kiefermuskeln zeichnete sich unter der Haut ab. So kannte ich ihn nicht. Wut war nicht unser Metier. Wut war was für Asoziale im Fernsehen. Definitiv nichts für den politischen Raum. Wut war Zerstörung. Wir waren konstruktiv, und politische Arbeit war halt ein Marathon und kein Sprint.

»Selbst Jesus hat die Geldwechsler mit einer Peitsche aus dem Tempel vertrieben«, sagte Sara. »Und viel Zeit ist nicht mehr.«

Ich wusste nicht, wie sie das immer machte, so in mich reinzuschauen. Sie war aufgewachsen mit vollgewichsten Kondomen und Spritzen im Park vor der Haustür; ihre Mutter hatte sie allein großgezogen und ihr alles mitgegeben, um dort klarzukommen, dazu Erinnerungen an eine Heimat, die Sara nie gesehen hatte.

Was hatten meine Eltern mir mitgegeben?
Äpfel und Möhren für die Schule, unverwüstliche Kleidung einer teuren Marke aus Österreich und Millionen Glaubenssätze, die die Tage auf dem Spielplatz füllten wie Sand:

»Nicht streiten.«
»Sag immer schön Danke.«
»Sei lieb.«
Sie hatten akzeptiert, dass ich Computer Science studierte, was aber bald nur noch nebenherlief, nachdem ein Prof eine Kommilitonin rassistisch beleidigt hatte, wir daraufhin seine Vorlesungen bestreikten, er sich entschuldigen musste. Zum ersten Mal hatte ich den Kick des Protests gespürt. Stumm in Vorlesungen sitzen ging nicht mehr, was meine Eltern nervös machte – gerade sie –, aber sie waren auch stolz, als sie mich später in Talkshows sahen.

Ihre Tochter hatte es weit gebracht in diesem System – die größte Bewegung Deutschlands seit Jahrzehnten. Wir waren ganz oben, hatten Einfluss in den sozialen Medien, Zugang zu jeder Zeitung und jeder Redaktion, die privaten Telefonnummern von Ministerinnen im Handy. Wir hatten das breitestmögliche Bündnis geschmiedet, niemand, der ernst zu nehmen war, kam mehr ums Klima rum.

Auf seinem MacBook legte mein Vater Ordner für die Artikel über mich an, wenn ich in einem Interview irgendwo auftauchte, erzählten meine Eltern ihren Freunden davon; alle Türen würden mir jetzt offenstehen, sagten sie, aber wo führten die hin in unserer Situation? Wir hatten den Gipfel erklommen und standen trotzdem weiterhin vor dem Abgrund.

»Habt ihr’s schon gesehen?« Lisa schloss von hinten auf und hielt uns ihr Handy hin. »Nina Müller, die Sau, hat angekündigt, den DE-Firmensitz ins Ausland zu verlegen. Damit ist unser kleiner Sieg kaputt.«

Wir nannten Lisa manchmal liebevoll »die Zange«. Sie machte sich die meisten Gedanken über Strategien, darüber, wie wir die Gegenseite unter Druck setzen konnten. Es war ihre Idee gewesen, die DE – die Deutsche Energie – vor Gericht zu bringen, um den Konzern rechtlich zu zwingen, sich an die Vorgaben des Pariser Abkommens zu halten. Dass wir damit Erfolg hatten, hatte uns überrascht. Das Urteil: Die DE müsse ihre Emissionen innerhalb von zehn Jahren um knapp die Hälfte senken. Ein Durchbruch, ein Triumph. Wir hatten das System genutzt und gewonnen.

Nach der Urteilsbekanntgabe hatten wir ein Jubelselfie auf den Stufen des Gerichts aufgenommen, unser Vertrauen in den Rechtsstaat schien sich ausgezahlt zu haben. Konzerne in ganz Europa zitterten. Ein Funken Hoffnung. Die Nachricht vom DE-Umzug fühlte sich an wie ein Tritt in die Magengrube.

Ich holte mein Handy raus. Einige Minister empörten sich müde auf Twitter, andere boten Müller wahrscheinlich schon Steuererleichterungen an, falls sie doch bliebe. Doch Müller würde das durchziehen. Während einer Aufsichtsratssitzung soll sie mal fast eine Assistentin geschlagen haben, weil die ihr ein Glas Wasser über die Hose gekippt hatte.

»Das ist doch alles für’n Arsch«, sagte Sara.
»Ja«, sagte ich und guckte sie an.
Vielleicht waren sie und ich wirklich mal Albatrosse gewesen, denn es gab sie, diese Momente tiefer Verbundenheit, wenn wir mal die Gelegenheit fanden, mittags gemeinsam zu kochen, auf dem Balkon Sonnenstrahlen zu fangen, Gedanken zu teilen; wenn zwischen uns fast alles leicht und alles andere bedeutungslos schien.

Aber wir schwebten immer seltener so mit aufgespannten Schwingen nebeneinander über der Welt, hetzten stattdessen von Demo zu Orga-Treffen, von Interview zu Strategiesitzung. Keine Zeit, auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, mit nackten Bäuchen auf einer italienischen Insel in der Sonne zu liegen. Morgens kaum jemals Zeit, nach dem Sex noch zusammen zu frühstücken, oft nicht mal für Sex. Und wenn wir doch mal zusammen aufwachten und frei hatten, las bald eine von uns auf ihrem Handy wieder irgendeine Nachricht darüber, wie Kängurus in Buschbränden verreckten, weil sie auf der Flucht in Stacheldrahtzäunen hängen blieben, und die Stimmung war kaputt.

Früher hatte es in Liebesgeschichten geheißen: Lass uns zusammen durchbrennen. Bei uns war es mehr: Lass uns zusammen ausbrennen. Und auch die Bewegung, unsere Familie, zerfiel. Viele stiegen frustriert aus. Andere bissen bloß noch die Zähne zusammen.

»Whose Streets? Our Streets!«, schallte es von hinten. Haltet die Fresse.
Die ganzen Plakate mit den gemalten Eisbären, den gewitzten Sprüchen und bunten Farben kamen mir immer mehr vor wie Anklagen gegen mich, wie Spiegel meines Scheiterns.

Ich spürte Wassim und Sara neben mir, spürte, wie mit jedem Schritt ihre Anspannung wuchs. Doch Gewalt war keine Lösung. Wir würden friedlich bleiben. Politik und Konzerne hörten nicht auf uns, aber wir konnten sie nicht zwingen.

Dann tauchten vor uns die Glasfassaden des Potsdamer Platzes auf. Die riesigen Werbebanner. Die verstopften Straßen. Die Reste der Berliner Mauer, die Passantinnen, die davon Fotos machten, ohne wirklich zu verstehen, was sie da sahen: das Zeugnis einer friedlichen Revolution.

Wassim warf einen Blick zu Sara. Die beiden nickten einander zu, ließen das Fronttransparent fallen, und Sara brüllte: »Kommt, Leute, heute schreiben wir Geschichte!«

Sie stürmten los. Die anderen rannten hinterher. Rissen mich fast um.

Und dann mit.

Mir hat's Riesenspaß gemacht, das zu schreiben, und würde mich freuen, euch heute Abend im Heimathafen zur Premiere zu sehen. Falls ihr nicht könnt, und es trotzdem lesen wollt: Unterstützt eure lokale Buchhandlung, bestellt am besten bei Geniallokal (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).

Ich bin gespannt, von dir zu hören!

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