Lob des digitalen Schreibens
Die Vorteile einer digitalen Arbeitsorganisation
beim Romaneschreiben
Hinweis: Seit 1.1.2025 erscheint dieser Newsletter auch auf Steady. Links zu älteren Ausgaben von “Plotten für Chaoten” in dieser Ausgabe leiten auf die Plattform Substack weiter.
Liebe Autor*innen,
auf Substack ist dieser Newsletter ist ein Experiment, denn dort besteht er aus zwei Teilen, wovon ihr einen soeben lest. Der zweite erscheint bei meinem Substack-Kollegen Felix Bölter. Während ich hier über die Vorteile des digitalen Schreibens berichte, geht es bei ihm um die Vorteile des analogen Schreibens (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Schaut auf jeden Fall bei ihm vorbei, es lohnt sich, versprochen! Den Link zu Felix’ Newsletter (bei Substack) findet ihr auch ganz unten in dieser Ausgabe.
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Schreibst du mit der Hand oder mit dem Computer?
Das ist eine Frage, die mir oft gestellt wird. Meine Antwort darauf: sowohl als auch. Das Niederschreiben von Ideen, Szenenskizzen oder auch Tagebucheinträgen in ein Notizbuch hat Vorteile (von denen ihr etliche bei Felix nachlesen könnt), aber eben auch ein paar gravierende Nachteile, die sich hauptsächlich bei meiner Art, Romane zu schreiben, bemerkbar machen.
Diese Nachteile zeigen sich mir vor allem in drei Punkten:
Es ist schwierig, in einer Sammlung von analogen Notizbüchern, Zettelkästen oder gar auf einem mit Papier überhäuften Schreibtisch einen bestimmten Text, ein Rechercheergebniss oder einen wichtigen Gedanken wiederzufinden (ja, die Chaotin lässt grüßen …)
Um das Wiederfinden zu gewährleisten, muss eine Menge händischer Arbeit geleistet werden. So müssen z.B. Inhaltsverzeichnisse und Register von Notizbüchern ständig nachgeführt werden, was viel Zeit kostet.
Außerdem muss alles Handgeschriebene später noch einmal neu geschrieben werden, dann nämlich, wenn es um die eigentliche Manuskriptarbeit geht.
Natürlich können alle drei Punkte auch positiv gedeutet werden, weil sie zu kreativen Entdeckungsreisen führen oder Re-Writing-Prozesse einen Text notwendigerweise schon überarbeiten und verbessern. Felix hat dazu noch einige Vorteile mehr. Bei mir allerdings sind es hauptsächlich diese drei Punkte, die mich das Lob des digitalen Schreibens anstimmen lassen. Warum aber konkret? Sehen wir genauer hin.
Verlage wollen digitales Arbeiten
Ich kenne keinen einzigen Verlag, der heute noch analoge Manuskripte einfordert, also Manuskripte, die mit der Schreibmaschine auf Papier getippt oder sogar mit der Hand geschrieben wurden. Das hat einen wesentlichen Grund, und der ist – wie sollte es anders sein, monetärer Natur. Natürlich bedeutet es für Verlag vor allem eine Kostenersparnis, wenn Autor*innen ihnen ihre Manuskripte als Datei liefern. Der aufwändige Prozess des Abtippens durch die Setzerin, der den Buchsatz früher teuer machte, entfiel dadurch.
(Ich kenne es aus meiner beruflichen Praxis noch, dass Manuskripte getippt wurden. Supernervig und anstrengend war das.)
Aber nicht nur der Manuskriptworkflow hat sich durch die Digitalisierung verändert, auch die weiteren Arbeiten am Buch erfuhren eine wesentliche Veränderung. Druckfahnen müssen heute nicht mehr mit Schere und Fixogum (hach!) zusammengeschnippelt und geklebt werden, sondern kommen quasi “fertig” aus dem Computer. Ich als Autorin erhalte vom Verlag auch keinen Ausdruck der Druckfahnen mehr, sondern eine PDF, in die ich meine Änderungswünsche eintragen muss.
Theoretisch also könnte man von der ersten Romanidee bis zur Druckfreigabe der Fahne komplett auf Papier verzichen. Wer meinen Newsletter kennt, weiß allerdings, dass ich das für keine gute Idee halte. Sowohl das Plotten (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) als auch das Überarbeiten (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) können wesentlich leichter von der Hand gehen, wenn man auf Papier, bzw. auf Karteikarten zurückgreift. Vor allem aber: wenn man ab und zu den Modus zwischen analog und digital wechselt, nämlich immer dann, wenn man nicht mehr so recht vorankommt mit dem Romanprojekt.
Digital die “kritische Masse” erreichen
In meinen Kursen geht es sehr oft um die Frage, wie kommt man eigentlich von der Idee – “Ich möchte einen Roman schreiben über … die Auswirkungen des Klimawandels … die Geschichte meiner Großmutter … einen Kriminalfall, den ich besonders spannend finde … – zum fertigen Manuskript?
Ich erzähle dann gern, dass ich erst einmal ein bestimmtes Maß an Input, an angesammeltem Wissen über das Thema meines Romans brauche, bevor der kreative Motor in meinem Kopf anfängt, Figuren- oder Szenenideen auszuspucken. Ich spreche da bildlich von einer “kritischen Masse” an Wissen, die es braucht, um die Story zu “zünden”. (Sorry für die Atombombenmetapher, aber sie passt einfach so gut.)
Dieser Teil des kreativen Prozesses sieht bei mir meistens so aus: Die Idee oder das Thema sind da. Ab diesem Punkt sammelt mein Autorinnenhirn alles, was irgendwie – möglicherweise auch nur entfernt – zu dieser Idee oder diesem Thema passen könnte: Zeitungsartikel, TV-Sendungen (ich liebe Sender wie 3Sat oder Arte!), Social Media-Posts … Früher habe ich all das in Stapeln, Ordnern, Kästen und auf endlosen Zettelparaden festgehalten und mich oft genug in dem Chaos verloren.
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(© Kathrin Lange. Symbolbild. Ich möchte glauben, dass ich so chaotisch dann doch nie war. :)
Klar ist auch, dass sich auf diese Weise TV-Sendungen nicht archivieren lassen. Von irgendeiner Struktur des Ganzen fangen wir besser erst gar nicht an, ebensowenig wie von dem ständigen Gefühl, die eine natürlich ganz wichtige Info, den einen Artikel, der die Story rund machen würde, irgendwo in den Tiefen des Chaos’ verloren zu haben.
Aus diesem Grund nutze ich mittlerweile schon seit Jahren eine App, die sich “Pocket” nennt. Früher hieß diese App “Read it later”, und damit ist eigentlich schon gesagt, was sie kann: In Pocket kann man Artikel, Mediatheken- und Social Media-Beiträge speichern, später erstmals – oder auch neu – lesen und, das ist das Beste, man kann sie sinnvoll verschlagworten!
Finde ich zum Beispiel beim täglichen Lesen und Surfen im Internet etwas, das zu einem meiner nächsten Romanprojekte passt – ein Artikel über ein absurdes Quantenphänomen zum Beispiel, bei dem ich an einen feministischen Zeitreise-Roman denken muss, den ich schon länger schreiben will – dann speichere ich diesen Artikel in Pocket und vertagge ihn mit dem Arbeitstitel des Zeitreiseromans, aber auch mit weiteren Schlagworten. Auf diese Weise kann ich mir später problemlos eine Liste von Artikeln anzeigen lassen, die alle mit dem Zeitreiseroman zusammenhängen. Oft passiert es, dass sich dabei zwei Dinge zu etwas ganz Neuem verbinden, das ich vorher nicht auf dem Schirm hatte. So habe ich rund um den Twitter-Kauf durch Musk unter dem Schlagwort “Elon Musk” eine Weile lang Artikel über ihn gesammelt. Einige davon bekamen auch Schlagworte wie “Social Media”, “Kommunikationswissenschaft” oder “Kapitalismuskritik”. Unter letzterem findet sich auch eine Rezension eines Romans des SF-Autors Kim Stanley Robinson, dessen Bücher ich schätze, weil ich ihre kapitalismuskritischen Themen teile. Und ich mag Robinsons Art, Welten zu bauen, weswegen ich versuche, ihn als Vorbild für meine Projekte zu nehmen. Als es also um den Weltenbau von besagtem Zeitreiseroman ging und ich mich fragte, wie meine postkapitalistische Welt aussehen könnte, suchte ich also nach “Kapitalismuskritik”. Dabei kam auch jener eine Artikel über Musk an die Oberfläche. Die Idee war noch nicht ausgegoren, aber sie war das Fundament für weitere Detailarbeit: Was, wenn jemand wie Musk durch die schiere Macht seines Geldes anfängt, die Welt völlig zu verändern? Diese Überlegung stammt übrigens von 2022. Das Projekt wurde dann von der Realität ein- und überholt und wird so wie ursprünglich geplant niemals geschrieben werden. Aber das Beispiel zeigt, wie Pocket mir dabei hilft, Schneisen durch die schiere Menge meiner Recherchen zu schlagen.
Ein wenig ähnelt diese Methode übrigens dem berühmten Zettelkasten (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) von Niklas Luhmann, mit dem für mich wertvollen Vorteil, dass ich nicht Stunden jeden Tag mit dem Vollschreiben von Karten und dem Anlegen von Inhaltsverzeichnissen und Registern beschäftigt bin. Da Pocket das für mich erledigt, kann ich mich ganz auf Inhaltliches konzentrieren – und gleichzeitig auch mehrere Romanideen im Kopf jonglieren. Befasse ich mich dann mit einer konkreter, setze ich mich an Pocket und grabe mich durch mein gesammeltes Recherchematerial.
Pocket hat übrigens noch einen Vorteil, der mir schon ein paarmal zugute gekommen ist: Es hinterlegt nicht nur einen Link zu dem gespeicherten Artikel, sondern zieht aus ihm den gesamten Text raus und speichert ihn ab. Auf diese Weise gehen Rechercheinfos auch nicht verloren, wenn die Originalseite einmal vom Netz genommen werden sollte.
[An dieser Stelle ein kleiner Transparenzhinweis: Ich bekomme für keines der hier genannten Tools Werbeeinnahmen.]
Einen Schritt weiter: Den Affen im Kopf zähmen
Wenn ich an dem Punkt angekommen bin, an dem ich anfange, Text zu produzieren, passiert es oft, dass mein Hirn schneller arbeitet, als meine Finger schreiben können. Dieses Problem umgehe ich durch das digitale Arbeiten zumindest zum Teil, denn ich tippe einfach schneller, als ich mit Bleistift oder Füller schreiben könnte. Da ich viel assoziativ schreibe und dabei das Unbewusste, meine Gedanken und den Text einfach fließen lasse, kann ich dem Gedankenstrom in meinem Kopf beim Tippen viel besser folgen als beim Schreiben mit der Hand.
Auf diese Weise zähme ich den sprichwörtlichen Affen im Kopf, all die wirren und unstrukturierten Gedanken, die sich erst in dem Moment manifestieren, indem ich sie aufschreibe. Da ist es irgendwie konsequent, dass das zweite Tool, das ich zur Organisation meiner Romane benutze, Monkkee (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) heißt. Monkkee ist eigentlich ein Tagebuchtool, bei dem die Einträge brav in der Reihenfolge dastehen, in der ich sie geschrieben habe, der neueste immer oben, jeder mit dem Datum und der Uhrzeit, zu der ich angefangen habe, ihn zu schreiben. Auch bei Monkkee kann man Einträge verschlagworten, sodass die Methode wunderbarerweise genauso funktioniert wie bei Pocket. Ich schreibe eine Idee auf, arbeite sie vielleicht schon in ersten groben Zügen aus. Auch hier bekommt der Eintrag den Arbeitstitel des zugehöriggen Projektes als Schlagwort. Auf diese Weise sammele ich hier ebenfalls alles, was zu einem bestimmten Projekt gehört, in einer langen Liste. Der Unterschied: In Monkkee kann ich bereits ganze Szenen, Figurenbeschreibungen, Settings niederschreiben, was bei Pocket nicht geht.
Ich nutze Monkkee auch, um mir spontane Gedanken zu Dingen zu notieren, die ich organisieren oder tun muss. Zum Beispiel möchte ich in absehbarer Zeit meine Meta-Kanäle stillegen, weil es mir sehr gegen den Strich geht, dass Menschen mit fragwürdig-unmenschlichen politischen Ausrichtungen die Macht darüber haben, zu entscheiden, was von meiner Arbeit meine Follower*innen zu sehen bekommen und was nicht. Dazu möchte ich einen längeren Blogbeitrag schreiben, der meine Entscheidung erläutert und Zahlen- und Recherchematerial mitliefert, die mir als Entscheidungbasis dienten. Jedesmal, wenn ich zu diesem Essay einen Gedanken habe, schreibe ich ihn in Monkkee nieder, verschlagworte ihn und kann auf diese Weise meinem eigenen Gedankenstrom folgen, wenn ich dieses Schlagwort anklicke. Da stehen dann ein einem Eintrag Sätze wie:
“Artikel damit anfangen, dass …”
und zwei Tage später (aber durch das Schlagwort eben direkt als nächstes):
“Besser so anfangen: …”
Plotten geht ebenfalls digital
Das dritte Element, an dem ich (wenigstens ab und zu) digital arbeite, ist der eigentliche Vorgang des Plottens. Als Leser*innen dieses Newsletters wisst ihr, dass ich ein Fan vom Plotten auf Karteikarten bin. Aber natürlich hat das auch einige Nachteile, vor allem platztechnischer Art: Die Familie macht es nicht allzu lange mit, auf dem Fußboden zu essen, nur weil der Tisch mit Plotkarten voll liegt, die natürlich auf keinen Fall angefasst werden dürfen!
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(Beweisfoto: Der Tisch ist lang, aber dann eben auch voll!)
Auch meine ständigen Lesereisen sind bei der Arbeit mit analogen Plotkarten problematisch, denn wie diese mitnehmen, ohne die bereits mühsam erarbeitete Struktur zu verlieren? (Kleiner Einschub: Ich habe dafür eine Methode entwickelt, aber da ich in diesem Doppelnewsletter für das Lob des Digitalen zuständig bin, erläutere ich euch das mal an anderer Stelle. Wenn ihr darüber mehr wissen wollt, schreibt mir das doch mal in die Kommentare!)
Methode hin oder her, es ist auf jeden Fall ziemlich mühsam, in jedem neuen Hotelzimmer die Karten nach System wieder neu zu arrangieren, und Platz dafür ist sowieso nur auf dem Bett. Ein paarmal habe ich das gemacht, dann lag jedesmal ein großer roter Zettel auf dem Ganzen, auf den ich geschrieben hatte: “Bitte NICHT wegräumen!!” Ich stelle mir vor, wie Menschen vom Zimmerpersonal mit einer Mischung aus Verwunderung und vielleicht auch Sorge Dinge gelesen haben wie “Was wollen die Terroristen?” oder “Am nächsten Abend rammt Paul Anna ein Messer in den Leib.” :)
Bei diesen beiden Problemen – Platz und Reisen – hilft ein Karteikartenprogramm, also auch wieder der digitale Weg. Ich nutze dafür Papyrus Autor, dessen Denkbrett-Funktion die Karteikarten auf dem Esstisch oder dem Hotelbett gut simuliert – und das auf dem Laptop immer dabei sein kann, ohne dass die erarbeitete Struktur durcheinanderkommt.
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Auszug aus dem Denkbrett für meinen Science-Thriller TOXIN (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Das war im Wesentlichen mein Lob des digitalen Schreibens. Wie hiervor bereits ein paarmal angeklungen ist, hat auch das analoge Schreiben viele Vorteile. Welche genau das sind, könnt ihr bei Felix nachlesen. Er freut sich mit Sicherheit auch über ein Like, einen Kommentar oder gar ein Abo. :)
https://felixboelter.substack.com/p/analoges-schreiben (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
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Euch wünsche ich eine gute Zeit bis zum nächsten Newsletter, in dem es dann erstmals um das Schreiben von Dialogen geht.
Bleibt kreativ und zuversichtlich!
Herzliche Grüße
Eure Kathrin
Dieser Newsletter ist für alle, die sich für das Handwerk des Schreibens interessieren – und für nützliches Wissen, um aus einer Idee am Ende auch einen Roman machen zu können. Außerdem gibt es eine aktive Community, die Support beim Schreiben bietet.
Haben euch diese Tipps und Tricks geholfen?
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Mein Dank geht an alle, die meine Arbeit an diesem Newsletter wertschätzen.
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