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The Handmaiden (Park Chan-Wook)

In Park Chan-Wooks The Handmaiden begeben wir uns in das von Japan besetzte Südkorea der 1930er. In dem Kammerspiel geht es um Täuschung, Liebe, Lust und Kunst. Die Waise Sook-Hee wird als Hausmagd bei der adligen Hideko eingeschleust, um sie dazu zu bringen, sich in den Hochstapler Graf Fujiwara zu verlieben. Zudem lernen wir noch Hidekos Onkel kennen, der sich als Kunstliebhaber und Japaner ausgibt, aber in Wahrheit nur ein perverser Fälscher ist, der für seinen Reichtum vor nichts zurückschreckt.

Wir werden Zeuge von einem Ränkespiele über Klassenunterschiede, das mit einer statischen aber virtuosen Kamera auf die Leinwand projiziert wird, welche ihre Darsteller oft sekundenlang verharren lässt, bis diese sich wieder bewegen dürfen. Man könnte fast meinen, wir wohnen einem Shakespeare-Drama bei. So falsch ist der Eindruck auch gar nicht, basiert der Film doch auf dem Buch The Fingersmith von Sarah Waters, einer Crime-Story, die im viktorianischen England spielt.

Neben der Identität sind Kunst, Macht und Emanzipation die zentralen Themen des Films. Vor allem die expliziten Sexszenen der beiden Hauptdarstellerinnen Kim Min-Hee (Hideko) und Kim Tae-Ri (Sook-Hee) werfen die Frage auf, ob Park Chan-Wooks Versuch eines feministischen Films geglückt ist, oder ob er letzten Endes doch nur eine Fleischbeschau vor toller Kulisse erschaffen hat.

Das Schlüsselloch

Im ersten Kapitel des Films sehen wir wiederholt, wie Sook-Hee versucht, Hideko und besonders die Interaktion zwischen dem Grafen und Hideko unbemerkt zu beobachten. Im zweiten Kapitel hingegen sehen wir aus Hidekos Perspektive, das Umgekehrte, wie sie immer wieder Sook-Hee nachspioniert. Der fundamentale Unterschied, den wir erst im zweiten Kapitel realisieren, ist, dass sich Hideko zu jeder Zeit der Blicke Sook-Hees bewusst war, Sook-Hee aber nichts von Hidekos neugierigen Augen ahnte.

Alfred Hitchcock definierte den Begriff der Suspense in Filmen als Informationsvorsprung des Publikums vor den Charakteren. Als Beispiel führte er die tickende Bombe an, die sich unter dem Tisch zweier Menschen befindet, die sich nichtsahnend über etwas Alltägliches unterhalten. Als Zuschauer möchte man die beiden warnen, doch sind wir schlussendlich machtlos. Dieses Konzept hat Hitchcock dann in seinem Klassiker Das Fenster zum Hof umgesetzt. An den Rollstuhl gefesselt bleibt Hauptfigur Jeff nur der voyeuristische Blick in die offenen Fenster der Nachbarschaft, wo er eines Tages einen Mord beobachtet. Die anderen Bewohner sind sich seiner nicht gewahr, doch sind es sie, die handeln können. Auf diese Weise nimmt Jeff dieselbe Rolle ein, wie die Zuschauer. Er hat zwar einen Informationsvorsprung ist aber zur Passivität verdammt.

In The Handmaiden sind beide Frauen sowohl Beobachterin als auch Beobachtete. Die Frage stellt sich hier im Zeichen der Macht: Welche von beiden kann über die andere befinden? Die Prämisse gibt vor, dass Hideko von Sook-Hee hinters Licht geführt werden soll, jedoch wird während des zweiten Kapitels klar, dass die Rollen vertauscht sind. Nicht nur ist sich Hideko zu jeder Zeit bewusst darüber, dass Sook-Hee sie beobachtet, sondern spielt sie auch in diesen Szenen genau das vor, was Sook-Hee sehen und glauben soll. Dadurch wird Sook-Hee vom handelnden Subjekt zum Objekt, das sich seinem Schicksal fügen muss.

Der Zuschauer nimmt im ersten Kapitel die Rolle von Sook-Hee ein. Genau wie Sook-Hee glauben wir, einen Informationsvorsprung vor Hideko zu haben und daher im Vorteil zu sein. Die Suspense, im Sinne von Hitchcock stellt sich ein, sobald Hideko sich Sook-Hee annähert und wir - und auch Sook-Hee - spüren, dass sich hier mehr entwickelt als ein bloßes Angestelltenverhältnis zwischen der Adligen und der Dienstmagd; und auch mehr als ein Con-Artist Verhältnis zwischen Täter und Opfer. Wir wollen Hideko vor den Intrigen des Grafen warnen, doch müssen wir einsehen, dass wir machtlos sind. Ähnlich geht es Sook-Hee, spätestens nach der Liebesnacht der beiden hat sich Sook-Hee in Hideko verliebt. Sie möchte ihr alles beichten, sie vor dem Grafen schützen, mit ihr zusammen durchbrennen, doch wie könnte sie, hat sie sich doch auch schuldig gemacht und ist zudem mittellos. Die Idee der Suspense greift hier für die Zuschauer und die Protagonistin gleichermaßen.

Im zweiten Kapitel dreht sich der Fokus dann um. Wir wissen, wie es für Sook-Hee endet und erkennen, was für ein Spiel Hideko zusammen mit dem Grafen treibt. So haben wir einen Wissensvorsprung vor Sook-Hee und wollen sie warnen, dass sie in ihr Verderben läuft. Das ändert sich dann wiederum im dritten Kapitel, wenn die Fronten geklärt und die beiden Frauen zusammen sind. Von da an sind die Protagonistinnen im Wissensvorsprung, ab jetzt haben sie die Macht nicht nur über den Grafen und den Onkel, sondern auch über die Zuschauer.

Feminismus

Ein zentrales Thema des Films ist die Rolle der Frau im patriarchalen Südkorea. Im ersten Kapitel wird vieles nur angedeutet, aber was Hideko unter der Kontrolle ihres Onkels erleiden muss und welches Schicksal ihre Tante schließlich zum Suizid getrieben hat, wird erst im zweiten Kapitel deutlich. Hideko wird nach dem Vorbild ihrer Tante körperlich und seelisch misshandelt und darauf trainiert, vor adligen Männern aus der Kunstsammlung des Onkels vorzulesen. Schnell wird klar, dass es sich bei der Kunstsammlung lediglich um pornografische Bücher handelt. Dem Onkel geht es darum, die Bücher zu verkaufen und die Männer ergötzen sich daran, von einer Frau die schlüpfrigen Geschichten vorgelesen zu bekommen.

Beide Frauen sind unfrei. Sook-Hee aufgrund ihres Standes, Hideko aufgrund ihres Onkels. Hideko wird trotz ihres Reichtums und Adels niemals frei sein können. Beide vertrauen dem Grafen, sie aus der Abhängigkeit zu befreien, jedoch tauschen sie damit nur eine Unfreiheit gegen eine andere aus. Der Graf macht die Frauen von sich abhängig, indem er beide gegeneinander ausspielt und jeweils ein autonomes Leben verspricht. An dieser Dynamik können wir auch deutlich sehen, worin die größte Gefahr für die Emanzipation der Frau liegt: Wenn diese sich gegenseitig bekämpfen, anstatt geschlossen gegen die Unterdrücker vorzugehen.

In The Handmaiden ist die Person, die diese Dynamik verinnerlicht hat, die Haushälterin. Sie sorgt dafür, dass die Regeln des Hauses und damit des Onkels eingehalten werden und hindert auch Hidekos Tante an der Flucht. Sie ist die perfekte Komplizin des patriarchalen Onkels. Aber auch Hideko und Sook-Hee sind einzig auf ihren eigenen Vorteil bedacht, wenn sie die jeweils andere durch Täuschung versuchen in den Abgrund zu treiben. Dass der Graf der Hauptnutznießer dieser parasitären Beziehung ist, stört nicht weiter und dass sie die jeweils anderen Unterdrückten vor den Bus werfen auch nicht. Erst, wenn beide zusammenarbeiten, können sie sich gegen die Pläne des Grafen wehren und auch den Fängen des Onkels entkommen. Nicht nur das, sondern auch der individuelle Gewinn von beiden fällt viel höher aus, als er unter dem Diktat des Grafen hätte sein können.

Den vollständigen Triumph fahren Hideko und Sook-Hee in der Schlussszene dann ein. Die Flucht aus Japan ist geglückt, die Peiniger sind tot und die Zukunft steht dem jungen Paar offen. In der finalen Liebesszene setzen beide Liebeskugeln ein, die zuvor noch in den Pornos explizit beschrieben wurden. Die Pornos waren Mittel und Zweck des Onkels, seine Nichte zu unterdrücken und die Liebeskugeln entsprechend eine Metapher für diese Unterdrückung. Nun, am Ende, als sich beide aus den partiarchalen Fängen befreit haben, bauen sie die Liebeskugeln in ihren Sex ein. Dadurch wird aus dem ehemals unterdrückenden Instrument ein Symbol der Emanzipation. Ähnlich, wie es mit dem N-Wort der schwarzen Community geschah oder auch unter vielen LGBTQ-Teenagern mit den Harry Potter Romanen, wurde der Begriff, die Transfeindliche Ideologie der Autorin oder eben das Werkzeug des Patriarchats der eigentlichen Bedeutung beraubt. Die Deutungshoheit ging auf die Unterdrückten über und wurde dadurch ein Symbol des Widerstands.

Werk und Künstler

Gemeinhin gilt Kunst oft als subversiv, als ein Mittel des Bürgers, um gegen Ungerechtigkeiten und Staatsgewalt vorzugehen. Denken wir zum Beispiel an Graffiti oder an grenzen-testendes Theater, um Kritik am Status-Quo zu üben. Was geschieht aber, wenn Kunst als Agenda der Herrschenden dient? Für Hitler zum Beispiel waren propagandistische Filme und Texte ein Mittel der Machtsicherung. Weniger drastisch können wir ähnliche Tendenzen auch im heutigen China erkennen, wo alle Filme zuerst von der staatlichen Zensur geprüft werden müssen, ob sie auch auf Linie der KP sind.

In The Handmaiden wird Hideko unter dem Vorwand der Kunst misshandelt und unterdrückt. Mit brutaler Gewalt wird sie von ihrem Onkel gezwungen, die pornografischen Bücher stoisch und deutlich vorzutragen. Der Onkel selbst gibt sich als Kunstliebhaber und Sammler, doch um sein Kapital zu vermehren und seine Macht auszubauen, fertigt er Fälschungen an. Hierbei hilft ihm der Graf, der schon vorher als Kunstfälscher über die Runden gekommen ist. Das Publikum, dem er versucht seine Werke zu verkaufen, besteht aus reichen Geschäftsmännern. Allzu gern nehmen sie unter dem Vorwand der Kunst an den Lesungen teil, wo sie gebannt Hideko lauschen.

“Ich bin nur ein alter Perverser, der sich gerne die Gesichter meines Publikums ansieht”, gesteht der Onkel am Schluss. In der Tat wird die Kunst als Ganzes hier als Scharlatanerie entlarvt. Das Publikum lechzt und schluckt nach den Worten Hidekos, doch das Buch, das daraufhin feilgeboten wird, ist leider doch nicht mehr so begehrt, weil eine Seite mit einem erotischen Bild darin fehlt. Worauf es den Männern ankommt, ist die Phantasie, mit der jungen Hideko diese erotischen Abenteuer zu erleben, oder eben sich an einem expliziten Bild zu ergötzen. Ohne das Bild und Hidekos Stimme (und Körper) ist das Buch wertlos.

Sobald Sook-Hee das erste Mal die Bibliothek sieht und versteht, was Hideko durchmachen musste, versteht sie instinktiv, dass die Bücher zerstört werden müssen, damit Hideko sich von den Klauen des Onkels befreien kann. Man könnte es an dieser Stelle jetzt beenden, doch endet der Film mit einer expliziten Sexszene zwischen den beiden Frauen. Im vorherigen Kapitel haben wir festgestellt, dass Hideko und Sook-Hee sich die Deutungshoheit des Sexspielzeugs und der erotischen Narrative aneignen und sich damit die Selbstbestimmtheit ihres Körpers und ihrer Gefühlen wiederholen.

Doch wie müssen wir das verstehen, dass wir eben diese Szene jetzt auf der Leinwand beobachten können? Die Perspektive des Male Gaze hilft uns, den Schluss einzuordnen. Laura Mulvey argumentierte, dass in der visuellen Kunst, die dominiert ist von Männern, es oft zu einer männlichen Perspektive kommt und dadurch die Frau zum Objekt wird. Wir haben es grundsätzlich mit 3 möglichen männlichen Perspektiven zu tun: Die männlichen Charaktere innerhalb des Films, die männliche Person hinter der Kamera, und schließlich das männliche Publikum.

Die Frage muss also lauten, ob ein männlicher Regisseur tatsächlich einen feministischen Film drehen kann, besonders, wenn der Sex eine so zentrale Rolle spielt. Im Film geht es um einen reichen Mann, der sich als Künstler und Kunstversteher ausgibt, aber schlussendlich doch nur ein Geschäftsmann ist, der sich an seinem lüsternen Publikum ergötzt. Ein Publikum, welches sich selbst gerne ebenso als Kunstliebhaber sieht. Diese metaphorische Sicht wird überdeutlich in der letzten Szene. Wie durch ein Schlüsselloch betrachten wir die jungen Frauen, wie sie nackt auf einem Tisch kniend sich aneinander räkeln und sich die Liebeskugeln einführen. Durch ihre Position und das Setting im Hintergrund, werden ihre Körper sprichwörtlich zu einem erigierten Penis.

Fazit

The Handmaiden ist ein faszinierendes Manifest gegen das Patriarchat, das ebenso schön anzuschauen ist, wie es spannend und doppeldeutig erzählt wird. Wir, als Publikum, sind entsetzt über den Onkel, den Grafen und die lüsternen Männer. Allzu erhaben fühlen wir uns, wenn wir uns unserer eigenen Moral und Sitten sicher sind. Jedoch stellt uns Park Chan-Wook am Ende selbstkritisch die Frage, ob er wirklich ein emanzipierter Künstler ist, der das Falsche in der Gesellschaft anprangert, oder ob er doch nur der perverse Onkel ist. Gleichzeitig fühlen wir uns ertappt: sind wir die kunst-interessierten Feministen, oder doch nur eine Horde lüsterner Männer, die gerne ein paar Nackte auf der Leinwand beobachten wollen. Eine Frage, der wir besser nicht allzu tief nachgehen wollen, um unserer selbst willen.


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