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Paris im Mai

Schule und Leben/Dokudrama aus dem Élyséepalast/Le Select

Wird ein neues Mitglied in die Académie Française aufgenommen, die ich am Freitag besuchen durfte, erheben sich die 39 anderen. Dann sagt der Präsident: "Madame, Monsieur  - wir haben uns heute zu Ihren Ehren von den Sitzen erhoben. Das werden wir nur ein weiteres Mal tun: Am Tag ihres Todes." 

So ein Ort ist das. 

Die Führung zog sich etwas in die Länge und ich hing eigenen Gedanken nach. Mir fiel ein: Vor fünfzig Jahren kam ich in die erste Klasse der Albert Schweitzer Grundschule in Dudweiler/ Saar. Ich war noch nicht ganz sechs Jahre alt, aber meine Mutter hatte keine Kinderbetreuung. Eine große Hilfe war die Schule in dieser Hinsicht nicht, denn spätestens um 11 Uhr 30 war alles aus. Wir lernten, dass die Menschheit zwei Milliarden Menschen umfasst und hatten ein Fach namens Schönschrift, in dem alle Jungen versagten. Kinder mit Namen Sabine und Stefan wurden durchnummeriert, so viele gab es.  

 Als ich in Meinungsverschiedenheiten mit älteren Jungs geriet, musste ich mir etwas überlegen. Glücklicherweise teilten wir uns den Pausenhof mit den älteren Klassen, die meine Nachbarn und Kumpel Bernie und Sven besuchten. Sie waren fit und furchtlos und haben mich manches Mal aus brenzligen Situationen befreit. Schutz organisieren - das war ein großer Lerneffekt auf saarländischen Schulhöfen, auf denen Gewalt so selbstverständlich war wie das Wetter. Heute würde es in solchen Fällen Mails und Konferenzen mit Elternbeteiligung geben. Wir Kinder waren ziemlich viele (1965 und 1966 waren die geburtenstärksten Jahrgänge überhaupt) und man hätte die Eltern wohl nur in Fragen von Leben und Tod verständigt. Kinder hatten einen anderen Stellenwert. Vor der Pille, der Reform des § 218 und ohne Kinderbetreuung machten sich viele Mütter bei aller Liebe gewaltige Sorgen, wie sie alles schaffen sollten. Väter hatten wiederum ganz andere Sorgen, die, vermute ich, mit ihren eigenen Vätern zusammen hingen. 

Ich hatte Glück und bewahre gute Erinnerungen, vor allem an den Zusammenhalt mit den anderen Kindern in unserer Straße. Vielleicht gehe ich auch daher noch heute selten ohne Mäppchen, Hefte und Tasche aus dem Haus. Lebenslanges Lernen. 

In Paris kann man heute schon den Zustand der urbanen Mobilitätsentropie studieren. An manchen Momenten scheint es, als würde man sich überhaupt nicht mehr bewegen können, dann stehen Räder, Laster, Roller und Autos gleichermaßen. Die Beschäftigten der Métro streiken. Mit dem schönen Wetter kommen die Touristen aus aller Welt zurück und überraschen die Stadt überrascht.  Und weil es auch die Hauptstadt des Dramas ist, vergeht kein Tag ohne gewaltige Kolonnen schwarzer Fahrzeuge, die mit Blaulicht und Motorradgendarmerie durch die Innenstadt fegen. Wer sitzt drin? Was ist passiert? Muss das sein? Fragen, die keine Antwort finden. 

Und dann solche Szenen: Ich sitze in einem Taxi, das gemütlich rechts abbiegt, als der Fahrer, der ununterbrochen schimpft wie ein Rohrspatz,  wie verrückt bremsen muss. Ein junger Mann rast auf seinem Fahrrad den Hügel hinab und schneidet uns den Weg ab. Nach einem dramatischen, aber glimpflich vollendeten Manöver erklärt er uns,  sein Fahrrad habe keine Bremsen und - wir sind in Frankreich - er entschuldigt sich. Plötzlich ist aller Unmut beim Taxifahrer verflogen. Er lacht glockenhell und freut sich über "diese Jugend!" C'est Paris!

Politisch ist die Lage bis zu den Parlamentswahlen unübersichtlich, die ganze Stadt ist voller Gerüchte. Unterdessen kann man sich dieses politische Dokudrama ansehen, perfekt gemacht, zeitgemäße Optik. Praktischerweise hat es der Präsident selbst veröffentlicht: 

https://www.youtube.com/watch?v=aFiAm-oCfbU&list=PLlkCbrsB7nL5dPlrVY71VItk1Liw3U8O4&index=3 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Als es an einem Abend mal spät wurde, verzog ich mich ins "Le Select" bei Montparnasse – einer Kneipe wie eine ganze Welt. Küche bis zwei Uhr morgens und weltweise Kellner, die bestimmt einiges zu erzählen hätten. Neben der Theke hängt ein Schreiben der Bürgermeisterin Anne Hidalgo, die das Team des "Select" für die guten Hähnchen lobt. Da bin ich mal einer Meinung mit ihr. Es war nicht Sonntag – aber ich erging mich schon mal in Vorfreude auf den siebten Tag.

Kopf hoch

ihr

Nils Minkmar

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