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Das beste Deutschland

Buchmesse 2024/Shrinking2/Zeiten ohne Wende/ Klink und das Schnitzel

Der erste Tag der Buchmesse ist - von den Feiern in der Familie abgesehen- mein liebstes Datum im ganzen Jahr. Ich komme mir dann vor wie in einem heiteren Traum: Alle paar Meter wieder ein neues, bekanntes Gesicht. In rascher Folge plaudert man, geht einen Kaffee trinken und staunt einfach nur über die milden Spleens, die hier ausgelebt werden. Als würden alle aus ihren Lesehöhlen, Provinzen und Privatwelten in die Welt hinausströmen, für einige Tage. Ich sah einen Mann, fast ein Riese mit beeindruckendem Bauch, der zwei Plüschohren trug und einen rotbraunen Schweif am Gürtel wie ein Comic-Fuchs. Dann bricht man auf zu Spaziergängen einmal durch die Welt, wie sie sich an Bücherständen darstellt. Man bekommt dort keine Bücher, kann nur die Cover betrachten. Mich beeindruckt immer wieder das universalistische Potential, das sich in den Ratgeber- und Sachbüchern ausdrückt: Wie man die Kinder erzieht, sich was zu Essen kocht, mehr Erfolg im Job hat und das eigene Heim wohnlicher macht, das möchten die Menschen auf der ganzen Welt wissen.

Kein Buch empfiehlt, den Nachbarn zu deportieren, sein Zeug zu stehlen oder zur Lösung nationaler Probleme in das Nachbarland einzumarschieren. Die Welt der Nachrichten und die gewünschte Welt der Leserinnen und Leser liegen weit auseinander. Einerseits erinnern die juristischen Fachbücher und Ratgeber an die Existenz des Rechtsstaats, andererseits spuken mit Trump und Putin Männer straffrei durch die Medien, denen schwere Verbrechen zur Last gelegt werden. Die politischen Themen des Jahres lassen sich auf dem Rundgang auch ablesen: Jeder Verlag bietet etwas an, um sich einen Reim zu machen auf den russischen Angriffskrieg und die Lage im Nahen Osten, auf Inflation und Rechtsextremismus. Immer noch sind Bücher der beste Schlüssel, um sich eine verrückte Gegenwart zu erschließen.

Komplizierter wurde die Sache im Gastlandpavillion. Jedes Jahr besuche ich die kleine Halle, in der sich das jeweilige Gastland darstellt. Meist sind die Auftritte missglückt. Argentinien verstreute mehr oder weniger wahllos Elemente von Dinosauriern im Saal. Und Frankreich schien einen Wettbewerb gewinnen zu wollen, in dem es darum geht, möglichst viele Diskussionspodien in den Raum zu bekommen. Überall wurde permanent diskutiert, man wurde an den revolutionären Wohlfahrtsausschuss erinnert, der bekanntlich permanent tagte.

Aber nun, Italien, war etwas ganz anderes. Der große Saal wurde zu einem antik anmutenden, mit Säulen umfassten Forum umgestaltet. Ein Künstler saß am Klavier und spielte Canzone im Paolo Conte Stil.

In Nebenräumen gab es Sonderausstellungen, eine über Machiavelli und sein Erbe. Eine andere zeigte Fundstücke und Fresken aus Pompeji - da hatte jemand nachgedacht und einen kulturgeschichtlichen Bogen beschrieben von der Antike bis heute. Manche vermuteten eine faschistische Ästhetik, wegen der Säulen, und richteten die Kritik, die man wegen Melonis Innen-und Kulturpolitik formulieren kann, an den Pavillon. Ich fand ihn nicht einschüchternd, sondern inspirierend. Auch die Republik ruht auf klassischen Säulen.

Ich habe eine andere Botschaft behalten: Die expressiven Gesichter und Kunstwerke aus dem untergegangenen Pompeji zwinkern uns zu. Relaxt, Leute, auch die übelste Regierung ist irgendwann Geschichte. Und wir auch – aber noch nicht heute, an diesem schönen Herbsttag in einem idealen, wenn auch flüchtigen Frankfurt der Bücher.

In diesen Zeiten kann man gute Komödien gebrauchen, so ist es eine gute Nachricht, dass eine der lustigsten Serien der Welt nun mit einer neuen Staffel am Start ist. Das Ganze spielt in einer psychotherapeutischen Praxis in Kalifornien und wirklich jeder und jede sind Veteranen des modernen Lebens. Die erste Staffel haben wir mehrfach angeschaut, bin gespannt auf diese Ausgabe.

https://www.youtube.com/watch?v=uiKELYu1obk (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Zu den wichtigen Büchern des Herbstes zählt Christian Schweppes Bestandsaufnahme der Zeitenwende. Zweieinhalb Jahre hat er recherchiert, um den wichtigsten Begriff der scholzschen Kanzlerschaft gründlich auszuleuchten.

Der französische Autor Philippe Lançon prophezeite mir schon im Frühjahr, dass der russische Krieg gegen die Ukraine zum zentralen politischen Kriterium wird, an dem sich die Lagerbildung der Zukunft vollziehen wird - wie einst Antikommunismus oder politischer Katholizismus. Bücher wie dieses werden also einen großen Beitrag zum Ausgang der kommenden Bundestagswahl leisten.

Meine frühere Kollegin Barbara Supp dufte in der Küche der Wielandshöhe bei Vincent Klink hospitieren und da beneide ich sie -teilweise.

https://www.spiegel.de/panorama/wielandshoehe-in-stuttgart-eine-woche-in-der-sternekueche-von-vincent-klink-a-333d1910-4627-4495-8914-193ee9d4ee7b (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Zu Ehren des bücherbegeisterteten Kochs hier noch einmal seine legendären Ausführungen zum Wesen des Schnitzels - auch bei uns am Sonntag eine legitime alternative zu Huhn

https://www.wielandshoehe.de/2024/10/09/wiener-schnitzel-seltenes/ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Kopf hoch,

ihr

Nils Minkmar

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