Kunstmachen, heute
Ich las gestern am Theater Magdeburg (in Kooperation mit dem Literaturhaus), und ich bin so sehr gern dort: in dieser Stadt und an diesem Theater. Die Uraufführung von “Wolf” habe ich den Magdeburgern gegeben, weil das Team eine so gute Idee für die Umsetzung hatte, aber auch, weil ich es grundsätzlich wichtig finde, dass gesellschaftlich brisante und politisch aktuelle Stoffe an kleineren Häusern gespielt werden oder auch in Städten, die schwierigere kulturpolitische Kämpfe zu kämpfen haben - mit AfD im Kulturausschuss - als das bei vielen Großstädten der Fall ist mit dem Perlenkettenpublikum in der Tasche.
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Wir sprachen nach der Lesung darüber: Was die Rolle des Künstlers sein kann oder sogar soll heute sowie welche Aufgabe die Kunsträume haben, in denen sich Kultur in ihren vielen Formen darbietet, stattfindet und also konsumiert wird - die Theater, die Museen, auch Wohnzimmer können solche Orte sein.
Angst spricht in dieser Art von Gespräch zuletzt immer mehr mit. Angst, dass Schaffensprozesse erschwert, die Präsentation der Ergebnisse gestört werden, Gelder gekürzt werden könnten, sollten faschistische Kräfte noch mehr Macht erhalten, wissend, dass dann die Fundamente freiheitlicher und unabhängiger Bildung und Kunst und Medien - wie gerade in den USA oder damals in Jugoslawien und noch davor 1933 - als erste beschädigen werden. In jenen Städten, in denen die AfD bereits mehr Mitspracherecht hat, leuchten die Störfeuer bereits grell: die ewigen sinnlosen Anträge und Befragungen verzögern wichtigere Debatten und Entscheidungen, die Einmischung in Inhalte bei ihrer gleichzeitigen Unkenntnis ist ermüdend (siehe die Bauhaus-”Debatte (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)”, der Versuch, selbst tendenziös völkische Themen zu setzen, bleibt ein gleichermaßen archaisch dummer wie gefährlicher Vorgang - wenn er dann mal Früchte trägt.
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Kultur muss wehrhaft bleiben. Und weil wir Kultur sind, als Produzenten und Rezipienten, müssen auch wir wehrhraft bleiben und damit uns treu: Treu, denn Kultur ist sich selbst stets auch eigener Antrieb und eigener Kontext und eigene Sendung, und ihre wichtigste nicht-thematische Qualität ist ihre (theoretische) Unantastbarkeit.
Kultur muss aber auch, das meine ich, offensiv um die Räume kämpfen, die nicht traditionell bereits durch zahlreiche Angebote besetzt sind. Mehr also die Stadt verlassen, mehr in ländlichen Gegenden stattfinden. Niedrigschwelliger werden und auch jene Menschen ansprechen, die sich Kultur nicht leisten können oder auch das Gefühl haben, die seien an solchen Orten fehl am Platze.
Das bedeutet noch größere Anstrengung, und wo käme das Geld her? Also rauszugehen und zum Beispiel die AfD-Hochburgen zu bespielen? Mut bräuchte es dafür ja auch und Resilienz vor Widerspruch und Verzahnung vielleicht mit der Wissenschaft und Kenntnis um das, was die Menschen antreibt, die nicht ein Theater-Abo haben.
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Mit welchem Ziel das alles aber? Muss Kultur denn bekehren? So viel Kraft ihr zuzugestehen heutzutage, wäre ohnehin naiv. Ich meine, es reicht auch eigentlich, wenn wir einfach “spielen”. Wenn Theater Theater sein dürfen, das aber überall tun, also auch ungewöhnlich sich bewegen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) in Stadtteilen, in anderen Sprachen und für andere soziokulturellen Milieus, Visionen also eines Trotz-Allems, realistischer Weise gespickt mit Visionen des Untergangs.