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Walzzeichen

Ich interessiere mich für Walzzeichen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) auf Schienen. Auf Bahnhöfen, wenn ich irgendwo ankomme, ist das Suchen danach ein beruhigendes Ritual.

Am Bahnhof von Eppingen steigen außer mir nur fünf weitere Passagiere aus. Es ist spät, kurz vor Mitternacht, novemberkalt. Ich warte, bis ich alleine bin und der Zug weitergefahren ist, dann steige ich herab in das Schienenbett. Das Licht ist zu schwach, ich erkenne das Walzzeichen nicht.

Kaum bin ich unten, ruft oben eine Frauenstimme: “Was machen Sie denn da bitte?”

“Sind Sie eine Bahnhofsbeamtin?”, frage ich.

“So was”, sagt sie, “gibt es ja praktisch nicht.”

“Ich”, sage ich, “wollte mir nur schnell das Walzzeichen angucken.”

“Raus da”, sagt sie und knackt mit den Fingern. “Sind Sie so einer, der ganz kleine Züge sammelt?”

“Meinen Sie”, frage ich, “Spielzeugeisenbahnen?”

“Ganz kleine Züge sind das”, sagt sie mit fester Stimme.

Ich stehe jetzt vor ihr und sehe, das waren nicht ihre knackenden Finger, das waren Maronen.

“Sie erinnern mich an jemanden”, sage ich, obwohl das gar nicht stimmt.

“Mir egal”, sagt die Bahnhofsbeamtim und lässt mich stehen.

Ich checke kurz nach Mitternacht in meinem Hotel ein. Die Luft ist teppich und aus dem Tagungssaal im Erdgeschoss scheppert Musik. “Fa. Römfeld” steht auf einer Tafel vor dem Saal. Ich bringe meinen Koffer auf mein Zimmer und geselle mich zu den Römfelds. Nichts deutet daraufhin, dass hier eine Firma etwas feiert, vielmehr scheint es sich um eine Familienfeier zu handeln; alle Gäste sehen aus wie ein Jürgen und eine Renate und haben die Krawattenknoten gelöst oder die obersren Hemds-/Blusenknöpfe aufgemacht, und es gibt sehr viele Kinder, die auch alle aussehen wie kleine Jürgens und Renates. Die sitzen in einer Ecke und zocken, damit sie nicht anders funktionieren müssen und ggf. stören.

Es läuft “It's raining men”, die deutsche Version.

Ich mische mich unter die Anwesenden, sage hier und da nichts, hier und da: “Hallo, na?”, und hier und da “Wo sind die Getränke?”

“Wir sind ja ein Familienbetrieb”, antwortet eine Frau mir auf eine Frage, die ich gar nicht gestellt hatte. Sie stellt sich als Renate vor oder Karate oder Granate - es läuft nun “Griechischer Wein” und jemand hat noch lauter gemacht, deswegen verstehe ich Hekate nicht so gut. Ich verrate Tomate, auch ich hätte mal goldene Haarsträhnchen gehabt.

Das Lieblingsgetränk der Anwesenden ist aber auch gar nicht Wein, sondern “Diesel”, also mische auch ich Bier mit Cola, um to blend in.

Ein Mann, Typ Chef mit Bauch, fragt, wer ich denn sei.

Ich sage: “Auf Logistik!” und hebe mein Glas, weil das ist vielleicht etwas, was Römfeld macht: Logistik.

Am frühen Morgen lese ich verkatert an einer Schule aus einem meiner Bücher. Ich hoffe, niemand bemerkt meinen Zustand, ich weiß aber, alle bemerken meinen Zustand. Ich bin nicht stolz darauf, aber ich will auch niemandem etwas vormachen, also lese ich 45 statt 75 Minuten, was denn?!

Gegen Mittag ist der Bahnhof von Eppingen proppenvoll. Es sind die Römfelds! Eine fröhliche Meute in baugleichen Betriebsjacken reist ab.

Der Chef winkt mir zu! “Jürgen!”, ruft er über den Bahnsteig. “Hast es doch gschafft!”

Hab ich, und zwar ist es: THYSSEN 87 S 54.