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Il-Normalize it

 Das ist doch kein Tabu, alle Megastars sind depressiv

Doch wenn du in der echten Welt jeden Tag ′ne Fresse ziehst

Lädt dich irgendwann keiner mehr auf seine Party ein

Selbstmordgedanken? Alter, du musst nicht alles teil'n

 So beginnt der neue K.I.Z Song „Lächel doch mal“.
Hä? Ich dachte, wir haben Depressionen schon auf 10234 Insta- Slides normalisiert!?

 Wenn ich mein Instagram öffne, stoße ich immer mal wieder auf Beiträge, in denen dafür plädiert wird, irgendetwas zu normalisieren. Wie bei der einen Influencerin, die zuerst ein Foto von sich postete, ohne Kontext, einfach so. Und dieselbe Influencerin die zwei Stunden später dann wieder postete, wie jemand ihr dazu schrieb: Krass, dass du dich mit Achselhaaren zeigst. Vorbild! Wir müssen das endlich normalisieren!

Oder die andere Influencerin, die einen schlechten Tag hatte und einen Text darüber schrieb, dass wir es normalisieren müssen, auch mal einen schlechten Tag zu haben. Und die etlichen beipflichtenden Kommentare darunter, darüber, dass es okay ist, mal zu weinen, auch als Mann übrigens, okay ist, in den 20ern zu sein, und nicht zu wissen, was man will, okay ist, zur Therapie zu gehen, okay ist,  zu strugglen, okay ist, zu heilen, okay ist, sich zu isolieren, okay ist, Grenzen zu setzen, okay ist

 Hot Take: All diese Dinge sind bereits normal. Doch wann immer wir sie ansprechen, weil sie uns auffallen, und wir betonen, wie normal sie eigentlich sind, machen wir sie zu etwas nicht-Normalem. Denn normale Dinge erhalten in der Regel keine Aufmerksamkeit. Normale Dinge sind oft ganz selbstverständlich sichtbar. Normale Dinge stören nicht. Wenn ich also ein Lob ausspreche, dafür, dass eine Influencerin sich nicht rasiert und damit ein Tabu bricht, verstärkte ich das Tabu, indem ich sie aus dem Normalen, Selbstverständlich-Sichtbaren ins Außergewöhnlich-Sichtbare hervorhebe, was zwangsläufig wieder in Unsichtbarkeit mündet. Ich reproduziere in bester Absicht die Nicht-Normalität ihres Seins.

 Und wann immer ich etwas normalisieren möchte, und es aber gleichzeitig relativiere, indem ich sage es ist nur okay, wenn es mal vorkommt, nicht immer, es ist okay, solange es nicht auffällt, und vor allem nicht stört mache ich es im Stillen weiterhin zur Ausnahme einer bestehenden Regel, oder eben zu einer Norm und, naja, dann beginnt das Normalisieren wieder von vorn. Solange es nur MAL OKAY ist, einen schlechten Tag zu haben, bleiben gute Tage die Norm, solange es okay ist, zur Therapie zu gehen, ich aber trotzdem befürchten muss, dann meinen Job oder soziale Anerkennung zu verlieren, bleibt die Normalisierung nur ein Hohn und das Thema, um das es geht, dann eben einfach nur verbal normal.

 Und dann bleibt das Tabu ja irgendwie bestehen, vielleicht weniger als Wort, dafür als Bild, in den Köpfen aller. So wie K.I.Z in ihrem Song beschreibt, kann es eindeutige Verlierer der Normalisierung geben, nämlich jene Menschen, die sich nicht trauen, das Tabu zu brechen, weil sie schlichtweg zu viel zu verlieren haben und die dann aber noch schräger angeschaut werden als vorher, denn es ist doch längst normalisiert über all das zu sprechen! Im Zweifel werden sie dann nicht nur von der Normgesellschaft nicht gesehen, sondern auch von jenen, die versuchen diese Normen aufzubrechen.

 Wir sollten es normalisieren, über Dinge zu schweigen. Das klingt provokant, wenn das doch der Ausgangspunkt jeglicher Normalisierungsdebatten war, der Grund für so viel Schmerz und Kummer. Was ich damit meine ist, dass es nicht ausreicht, nur über Dinge zu reden, um sie zu verändern. Man muss sie sehen können. Immer und immer wieder. Das funktioniert aber nur, wenn sie sichtbar bleiben. Wann immer also sich jemand entscheidet, ein Tabu zu brechen, und sich damit sichtbar und im Zweifel verletzlich zu machen, sollten wir es nicht durch ein Finger-Zeigen wieder in die Außergewöhnlichkeit versenken. Normale Dinge sind oft Selbstverständlich-sichtbar. Normale Dinge erhalten in der Regel keine Aufmerksamkeit. Lasst uns sein, wie wir wollen, ohne es zu thematisieren. Lasst Achselhaare Haare sein und kein Statement.

Sujet #What I hated this week

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