Endlich selbstbestimmt
Hi, hier schreibt Laura. Heute mit einer guten, einer mittelguten und einer vielleicht guten Nachricht. Enjoy!
Die gute Nachricht zuerst: Das Selbstbestimmungsgesetz kommt!
Endlich! Nach 44 Jahren löst das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) das sogenannte Transsexuellengesetz (TSG) ab. Trans Personen sowie intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen können ab dem 1. November per Selbstauskunft gegenüber dem Standesamt ihren Geschlechtseintrag und ihren Vornamen ändern lassen. Damit gehört dann auch die entwürdigende psychiatrische Zwangsbegutachtung der Vergangenheit an. Bis 2011 wurden trans Personen zur Sterilisation gezwungen, bevor sie ihren Geschlechtseintrag ändern lassen konnten. Bis 2008 mussten sie ihre Ehen scheiden lassen. Insgesamt wurde das TSG sechsmal vom Bundesverfassungsgericht als grundgesetzwidrig eingestuft. (Lest dazu z.B. die Erklärung des Bundesverband Trans* (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) von Mai 2023.)
Die mittelgute Nachricht: Hätte geiler sein können …
Bei aller begründeten Freude über diesen Meilenstein: Aus queerfeministischer Sicht gibt es noch viel zu tun. Tessa Ganserer, Bundestagsabgeordnete von Bündis 90/Die Grünen, mahnt etwa über ihren Instagram-Account an, dass das Unrecht, das Menschen unter dem veralteten TSG angetan wurde, auch als solches anerkannt und entschädigt werden müsse. Die Ampelparteien haben sich im Koalitionsvertrag auf einen entsprechenden Entschädigungsfonds geeinigt. Es wäre toll gewesen, wenn dieser mit dem neuen Gesetz zusammen gekommen wäre. „Die Umsetzung des im Koalitionsvertrag vereinbarten Entschädigungsfonds bedarf noch der Vorbereitung. Er wird zu einem späteren Zeitpunkt geregelt werden”, heißt es beim BMFSFJ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Hausrechtsparagraf bleibt drin
Am Selbstbestimmungsgesetz können wir außerdem sehr gut sehen, wie rechtspopulistische, transfeindliche Narrative nachhaltig Einzug in die Gesetzsprechung halten. Trotz Kritik von Betroffenenverbänden und dem Deutschen Juristinnenbund (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) bleibt der Hausrecht-Paragraf in dem Gesetz enthalten. Das impliziert, dass von trans, intergeschlechtlichen oder nichtbinären Menschen eine Gefahr gegenüber Frauen ausginge – obwohl es sich tatsächlich um eine der vulnerabelsten Gruppen in der Gesellschaft handelt, die Schutz und Rückzugsräume braucht. Gewalt an Frauen geht mehrheitlich von cis Männern aus und geschieht im Nahbereich. Jede Stunde werden laut Angaben der Bundesregierung (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) 14 Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt. Beinahe jeden Tag versucht ein Partner oder Ex-Partner eine Frau zu töten.
Das Gesetz enthält eine Sperrfrist von einem Jahr. Erst nach Ablauf dieses Jahres soll es möglich sein, den Geschlechtseintrag erneut ändern zu lassen. Außerdem gibt es eine dreimonatige Frist zwischen der Anmeldung und der tatsächlichen Änderung. Quasi eine Bedenkzeit. Beides impliziert, Menschen würden aus einer Laune heraus ihren Geschlechtseintrag ändern lassen wollen (tun sie nicht).
Intergeschlechtliche Personen nicht ausreichend berücksichtigt
2022 haben Lena und ich im Lila Podcast (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) bereits einige Mythen rund um das Selbstbestimmungsgesetz unter die Lupe genommen. Bei der Tagesschau (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) gibt es ebenfalls eine gute Übersicht über gängige transfeindliche Falschbehauptungen mit Einordnung. Wer genauer wissen will, wer wie abgestimmt hat, kann das z.B. hier nachlesen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Beim Verfassungsblog (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) findet ihr eine ausführliche aktuelle Stellungnahme zum neuen Gesetz, die noch mehr in die Tiefe geht, als ich das hier tun kann. Auch die Stellungnahme des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) aus dem Jahr 2023 ist noch immer lesenswert. Ich hab daraus für mich den Impuls mitgenommen, in Zukunft verstärkt auch die Belange von intergeschlechtlichen Personen in den Blick zu nehmen. Diese würden im SBBG kaum berücksichtigt, schreibt der LSVD. Ich muss zugeben, dass ich als cisgeschlechtliche Feministin trotz aller Bemühungen um Intersektionalität die Bezeichnungen trans, intergeschlechtlich und nicht-binär häufig in einem Atemzug herunter rattere – obwohl da eigentlich mehr Sorgfalt und Respekt den jeweiligen Lebensrealitäten gegenüber geboten wäre.
Trans oder trans*?
Und wo wir gerade bei Sorgfalt sind: Ich schreibe das Adjektiv trans bisher ohne Sternchen. Beim Bundesverband Trans* hingegen wird es benutzt. Ebenso bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Bei puls vom BR (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) habe ich dazu eine tolle Übersicht gefunden. Das Sternchen sei der Versuch, „einen nicht wertenden und nicht kategorisierenden Oberbegriff für das gesamte Trans*-Spektrum zu finden.” Trans*-Spektrum? Bisher hab ich eine ziemlich einfache Rechnung aufgemacht: cis = identifiziert sich mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht und trans = identifiziert sich nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht. Wo ist da ein Spektrum?
Zum einen gibt es viele verschiedene Begriffe mit dem Präfix „trans”, um die es anhaltende Debatten gibt und mit denen sich nicht alle gleichermaßen wohlfühlen. Zum anderen ist mir eine Leerstelle im eigenen Denken klargeworden: Es gibt eben nicht nur Menschen, die sich mit ihrem zugewiesenen Geschlecht entweder identifizieren oder nicht identifizieren. Es gibt auch Menschen, die sich auch, aber nicht nur mit dem zugewiesenen Geschlecht identifizieren. Somit ist trans* (mit Sternchen) ein Oberbegriff der etwa auch genderfluide Personen inkludiert. So zumindest verstehe ich es Stand jetzt.
Trotzdem bin ich noch etwas unsicher. Ich weiß noch, wie ich eine Zeit lang den Begriff Frau* benutzt habe: in der besten Absicht trans Frauen zu inkludieren. Ich durfte lernen, dass diese Schreibweise suggeriert, trans Frauen seien keine richtigen Frauen – und habe aufgehört, die Schreibweise zu nutzen. Mich würden daher Ansichten aus Betroffenen-Communitys interessieren: trans oder trans*? Welche Schreibweise bevorzugt ihr?
Die vielleicht gute Nachricht: Schwangerschaftsabbruch könnte in Deutschland endlich legalisiert werden
Und noch etwas zum Thema Selbstbestimmung: Selbstbestimmt einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen, ist in Deutschland nach wie vor nicht ohne Weiteres möglich. Noch immer ist laut Paragraf 218 StGB ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich rechtswidrig, unter bestimmten Umständen jedoch straffrei. Genau diese grundsätzliche Rechtswidrigkeit ist nicht haltbar. (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) Zu diesem Ergebnis kam kürzlich die Expert*innen-Kommission, die von der Regierung zu dieser Frage einberufen wurde. Seitdem wird wieder heiß (und ziemlich populistisch) diskutiert. Während bei unseren Nachbar*innen in Frankreich das Recht auf Abtreibung in der Verfassung (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)verankert wurde.
Beim Thema geschlechtersensible Sprache wird ja gern argumentiert, eine Mehrheit der Deutschen sei dagegen. Einer aktuellen Umfrage zufolge (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) sind 80 Prozent der Deutschen für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Bin mal gespannt, wie ernst das nun als Argument genommen wird. To be fair: Letztes Jahr kam eine andere Umfrage (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) zu einem anderen Ergebnis. Sagen wir: Es bleibt politisch gesehen spannend.
Currently watching: Girls State
Apropos Abtreibung: Ich schaue mir gerade die Doku „Girls State” bei Apple TV an. Darin geht es um eine Art Camp, in dem junge Frauen Politik simulieren. Vor dem fiktiven Obersten Gericht im „Girls State” verhandeln sie das Thema Schwangerschaftsabbruch. Während der Dreharbeiten war bekannt geworden, dass der richtige Oberste Gerichtshof in den USA das Urteil „Roe v. Wade” kippen würde. Seither haben 21 US-amerikanische Staaten Schwangerschaftsabbrüche eingeschränkt (nachzulesen z.B. in der Rezension von fluter.de (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)). Hört euch auch das Interview mit Emily in der BBC Woman’s Hour (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) an. Sie war Teilnehmerin des Camps und möchte 2040 Präsidentin der Vereinigten Staaten werden – bisher gab’s noch nicht eine einzige.
Bis bald im Podcast oder im Postfach!
Laura