Leserbrief Ausjabe 2
Danke für den Newsletter.
Unterstützung ist angedacht, würde dann aber die von DerFlix beenden. Schwere Entscheidung, da er mal angab den Ballettunterricht seiner Tochter davon zu finanzieren. Allerdings kaufe ich immer wie blöd alle seine Comics.
Würde mich über eine Quelle zum Monroe-Bild freuen (wer hat’s gemacht).
Das mit dem Heroin-Moment fand ich etwas grenzwertig, machte aber schon deutlich, dass es gerade keine schöne Situation war.
Hätte beinahe mal bei Lumas ein Bild mit Kanye drauf gekauft. Gut, dass ich es nicht tat.
Ansonsten: Viel Erfolg (hab’s gleich an drei nette Menschen weiter empfohlen, die sehr kulturaffin sind) weiterhin und alles Gute
Netter Gruß
Marian L. aus Berlin-Wittenau
Aus dem Logbuch
21. und 23. Januar
21. Die erste Woche in der Jonas ein Tag mehr bei Peter ist. Das Training gestern war okay, auch wenn mir heute weh tut, von dem ich nicht wusste, es könnte mir weh tun. Ich mache mich lächerlich, aber die Gedanken an diesen dämlichen Ball helfen.
Die Doku von Thomas Brasch gesehen. „Schreiben heißt für mich, öffentlich Angst zu überwinden“, sagt Brasch und sein Gesicht sieht dabei pfahl aus. Der Körper abgemagert. Nur seine Augen haben über die Jahre nicht an Kraft verloren. Die Stelle mit der Taube auf dem Balkon, großartig.
23. Bisschen Krach mit Peter, die Umstellung macht mich zickig.
Zum zweiten Mal die Brasch-Doku gesehen.
Anmerkung des Chefredakteurs: Du und deine Braschs!
Dokumentation
Brasch- Das Wünschen und das Fürchten
Einsam mit Blick auf die Spree
Thomas Brasch betritt eine Wohnung. Es ist eine große Wohnung mit großen Fenstern am Schiffbauerdamm 5, direkt neben dem Berliner Ensemble. Einziehen möchte er in diese große Wohnung, die Vermieterin ist bereits für die Übergabe dort. Brasch hat seinen Freund Christoph Rüther dabei. Seit Wochen filmt und interviewt er Brasch. Brasch ist zu diesem Zeitpunkt, mitte der 90er Jahre, mit seinem Leben fast fertig. Das wissen natürlich weder Brasch selbst, noch sein Freund. Die Vermieterin auch nicht. Der Schriftsteller ist ihr suspekt, schließlich hüpft der aus dem niedrig gelegenen Fenster in eine Art Hinterhof und behauptet, dies sei der schönste Teil der Wohnung. Unter freiem Himmel. Und doch, obwohl niemand weiß, dass Thomas Braschs Herz nur ein paar Jahre später am 3. November 2001 versagen wird, hat dieser Film etwas abschließendes. Trägt das Unmittelbarbevorstehende mit sich herum. Der Mann ist abgekämpft. Vom Koks und von der Ungehorsamkeit. Einer, der die DDR für die BRD verließ, aber dort nie ankam. Brasch erzählt von seinem Leben, seinem Denken, seinem Schreiben. Immer wieder gibt es Sequenzen, in denen Brasch alleine in seiner Wohnung am Schiffbauerdamm mit der Handkamera herumläuft. Die Fenster weit geöffnet, es läuft Musik, man kann die Spree sehen. Brasch sagt: Es ist die Wunde, die ihn interessiert, der Riss, der durch den Menschen geht. Dreimal habe ich diesen Film schon gesehen.
Meine Lieblingsstelle: Die Vermieterin verlässt nach Vertragsabschluss die leere Wohnung. Sie gehört jetzt Thomas Brasch. Was machte er? Er geht erst mal duschen. Anmerkung des Chefredakteurs: Brasch, Brasch, Brasch. Ausjezeichnete Austern kann man Schiffbauerdamm 5 essen! Ich erwähne es nur flüchtig. Unten in dem franzöischen Restaurant. Nobel! AK
Briefzitat
Es gibt fast keinen Brief von Dir an mich, von mir an dich. Können wir uns etwas schreiben – oder sagen -, was wir nicht voneinander wissen?
Christa Wolf an Gerhard Wolf, 2010
Kunst & Kultur
Hohenschönhausener Nachmittag
Am Montagabend bekomme ich den Jungen nach dem Osterwochenende mit seinem Vater wieder. Am Dienstagmorgen wachen wir auf und ich frage: „Wollen wir heute auf die Kita pfeifen?“ Der Junge guckt mich an und ruft: „Juhuu!“ Schwänzen könnten bei uns vielleicht später ein Thema werden. Aber später ist später. Heute möchte ich mit dem Auto irgendwo hinfahren. Und mir fällt nur ein Ort ein, wo es hingehen könnte. Das Linden Center in Hohenschönhausen. Darüber habe ich ja schon einiges erzählt, deswegen möchte hier von einem Ort neben dem Linden Center berichten, den ich zufällig entdeckt habe, weil wir aus dem falschen Eingang des Einkaufszentrums raus sind.
Anmerkung der Redaktion: Oben im Einkaufszentrum befindet sich die Anna-Seghers-Bibliothek. Unten ein ziemlich guter China-Imbiss. Wir sagen Ja zu blinkenden Autos, in die man Geld und Kind wirft.
Entlang der Plattenbauten sehe ich ein Schild. „Heute: Mal- und Zeichenkurs“. Ich drehe mich zum Gebäude. Über den Eingang in großen und bunten Buchstaben prangt: „RAUM FÜR KREATIVITÄT“ Wasn das? Ich verstehe es als Einladung. Und ich bin sofort entzückt. Mit ausladenen Schritten eile ich zur Tür, der Jungen nebendran. Beim Betreten begrüßt uns ein Mann, der hinter einer Theke steht und einen Karton Kugelschreiber sortiert. Er ist vielleicht so um die fünfzig, trägt einen Pferdeschwanz und kann mit meinem breitgrinsenden Gesicht genau gar nichts anfangen. „Guten Tag!“, sage ich. „Wie schön es hier ist.“ Der Mann guckt mich verwirrt an. „Tach. Kiekt euch ruhig um.“ Sein Blick geht wieder runter zu den Kugelschreibern. Der Junge und ich laufen in die Galerieecke. Dort hängen etwa an die acht Bilder. Auf der anderen Seite stehen Tische. Von weitem sehe ich Papierstapel und Nähmaschinen. Jetzt will ich es aber genauer wissen und frage nach. Ich erfahre, das Kunsthaus 360° (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) engagiert sich im Kiez seit fünf Jahren mit Auststellungen, Workshops, Lesungen und Konzerten. Der Mann zieht einen Kursplan hervor.
Dienstag:
Mal- & Zeichenkurs mit Torsten Solin, 16-19 Uhr, Teilnahmegebühr 2,50 Euro
Mittwoch:
offene Nähwerkstatt mit Inge Wesoli, 10-13 Uhr, Teilnahmegebühr 2,50 Euro
Donnerstag:
Korbflechten mit Margitta Richter, 16-18 Uhr, Teilnahmegebühr 3,50 Euro
Kreativ mit Mama mit Moreen Vogel, 15:30-18:30 Uhr, kostenfrei
Freitag:
offene Nähwerkstatt mit Alo Mohammadi, 16-18 Uhr, Teilnahmegebühr 2,50 Euro
Keramikkurs mit Milena Krüger, 16:30-18.30 Uhr, Teilnahegebühr 8 Euro, ermäßigt 5 Euro
Ich studiere den Kursplan.
„Das ist ein nettes Angebot.“
„Kreamik is 8 Euro.“
„Warum?“
„Keramik is teuer.“
„Ich mag nähen.“
„Dit is jünstig.“
„Ich hab hier mal gewohnt.“
„Warum auch nicht?“
"Stimmt."
Der Junge zieht an meiner Jacke.
„Ich muss pullern.“
„Darf er pullern gehen?“
„Natürlich darf er pullern jehen.“
Wir gehen pullern. Zurück schaue ich mir noch mal den Raum an, bevor ich schließlich den Sohn an die Hand nehme. „Müsstda einfach nur vorbeikommen.“ Das werden wir.
Grace Kelly liest
Foto: Howell Conant, 1955
Redaktioneller Hinweis: Nachtrag // Marylin Monroe wurde von Eve Arnold fotografiert.
Verehrte Leser und Leserinnen,
dies war nun der vierte Newsletter. Kommt gut ins Wochenende. Vielleicht lohnt sich der ein oder andere Ausflug in einen Randbezirk.
Viele liebe Grüße
Judith Poznan Anmerkung des Chefredakteurs: So kann man die Leute doch nicht entlassen. Wo ist das Herz? AK
Hier: