Warum mich die Legosteinrampen mittlerweile mächtig nerven
Immer mehr Projekte sammeln in Deutschland Legosteine zum Rampenbau. Vor Jahren hatte ich einmal damit gebastelt (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Doch eine nachhaltige Lösung sind sie nicht. Darauf waren sie auch nie angelegt. Daher distanziere ich mich von diesen Fürsorgekampagnen – denn sie lenken von den eigentlichen Herausforderungen ab.
Neulich hatte ich einen ziemlich grellen Traum. Ich erinnere mich kaum, nur war es darin unangenehm und aufdringlich bunt, als wäre die Gegend in einen Farbkasten gefallen. Als ich dann aufwachte, musste ich feststellen, dass mancher Alptraum leider wahr wird:
„Bunte Lego-Rampen begeistern Deutschland“ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), da, und im SZ-Magazin war die Rede von „aufsehenerregend bunte Rampen“ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Und dann war es da, das Déjà-Vu.
In Deutschland werden gerade an vielen Orten Legosteine gesammelt. Sie sollen zu Rampen zusammengebaut werden, um mehr Barrierefreiheit für Rollstuhlfahrer*Innen zu erreichen. Denn einerseits seien sie „bunt und fröhlich“ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) und andererseits „klären (sie) über Barrieren auf“ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Spätestens ab diesem Zeitpunkt merkte ich, dass da etwas aus dem Ruder gelaufen ist:
Denn von einer „Begeisterung des ganzen Landes“ für Rampen allgemein hatte ich bisher nichts gehört; jeder Tag beweist mir, dass er voller Barrieren ist. Auch diese aufgesetzte Leichtigkeit und Lustigkeit stört mich inzwischen sehr. Denn dass wir nur über Barrieren aufklären brauchen, damit sich die Lage bessert (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), glaube ich nicht mehr. Es muss darum gehen, die Barrierefreiheit als Grundrecht einzufordern statt ehrenamtlich mit Lego zu basteln!
Denn darauf fällt alles zurück. Leider auch auf mich:
2014 stellte ich im Netz ein paar Experimente von mir vor. Ich bastele ja gern, und technikfeindlich bin ich auch nicht. Ein 3D-Drucker begeisterte mich sofort, und ich versuchte mich am “Ausdruck” von Rampen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), kam dann rasch auf das Zusammenstecken von Legosteinen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) (meine Rampen waren übrigens in schlichtem Rot, vielleicht bin ich nicht fröhlich genug). Es war eine provisorische Spielerei mit praktischem Hintergrund für handwerklich Interessierte. Deutschland begeistern sollte das nicht, und auf keinen Fall sind Legorampen, wie das SZ-Magazin fabuliert, „die Lösung für alles“!
Nun gibt es also diese Sammelaktionen hier und da, und alle verweisen auf mich. Ich habe aber mit all dem nichts zu tun. Für mich hat dies den Geschmack von Fürsorgeevents für Behindis. Ein bisschen Charity, natürlich bunt und fröhlich muss es sein, und wir haben uns alle lieb.
Da diese Aktionen vorwiegend von Menschen ohne Behinderung durchgezogen werden, drängt sich bei mir die Frage auf, ob sie die Menschen mit Behinderung gefragt haben, was sie davon halten. Schließlich ersetzt guter Wille nicht echte Teilhabe, und das Gespräch über uns statt mit uns hat in Deutschland eine alte, unglückselige Tradition. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass da von oben herab ein bisschen Wohlfahrt auf die armen Behinderten regnet. Sowas mag das schlechte Gewissen ob der menschenfeindlich gestalteten Umgebung beruhigen, klärt aber nicht auf, sondern zementiert eher die schlechten Verhältnisse.
Denn echte Barrierefreiheit ist machbar, und sie geht über ein paar Bastelaktiönchen weit hinaus. Barrierefreiheit ist Auftrag für den öffentlich zugänglichen Raum, sie sollte Auflage sein. Doch da macht sich das angeblich begeisterte Deutschland seit Jahren einen schlanken Fuß. Was die Zugänglichkeit angeht, bleiben wir als Gesellschaft immer noch stecken. (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
Solche Legosteinaktionen verwalten also nur die Misere. Sie sind Placebo. Es ist, als ob der Nachbar in den Garten kommt, Blumen ausreißt – und dann anbietet, dass einem im Nachbarschaftstreff Papierblumen gebastelt werden.
Mit Legosteinen ist das Thema nicht erledigt.
An all die Gruppen, die nun angefangen sie zu sammeln, möchte ich appellieren:
Es ist toll, dass Ihr Euch für mehr Barrierefreiheit engagiert!
Aber:wie wäre es, wenn Ihr die Verantwortlichen an ihre Verantwortung erinnert
Wie wäre es, wenn Ihr bei den kommunalen Behörden die Sachbearbeiter*innen mit Fragen nervt,
die Inhaber*innen von Geschäften an ihr Interesse erinnert, möglichst viele Kunden anzulocken?
Noch immer wird Barrierefreiheit beschrieben, als wäre dies besonders. Ein Geschenk oder eben eine Legosteinspende (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Aber wenn in einem Rathaus die Toilette für alle zugänglich gemacht wird, dann ist dies in meinen Augen keine feierliche Meldung mit Fototermin in der Lokalzeitung wert (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), sondern schlichte Notwendigkeit.
Bitte hinterfragt diese Charityaktionen. Ich finde sie bevormundend. Und in der Zwischenzeit verwendet dafür bitte nicht mehr meinen Namen.