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Noltes Notizen | 9. September 2022

Liebe KLup-Freund:innen,

herzlich grüße ich euch aus der Aula der Synodalversammlung in Frankfurt. Ich schreibe aus dem Pressepulk. Direkt vor mir sitzt Georg Löwisch, Chefredakteur von "Christ&Welt" in der "Zeit", daneben Lothar Schröder von der "Rheinischen Post", eine Reihe davor Jürgen Erbacher von der ZDF-Redaktion mit dem schönen Namen "Kirche und Leben", rechts von mir "Domradio"-Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen, vorn rechts der WDR-Kollege Theo Dierkes, links neben mir Kolleg:innen aus Italien, Belgien und Frankreich. Ohne es genau zu wissen, dürften wir sicherlich 50 Journalist:innen sein.

Wir haben viel zu tun - und es bleibt für mich immer sehr herausfordernd: Ich schreibe viele Statements mit, sortiere gleichzeitig, beginne irgendwann, daraus einen Artikel zu machen. Mitunter - wie gestern, bei der spannenden Abstimmung über das Grundsatzpapier zur Sexualmoral - schalte ich um darauf, einen "Ticker" zu füllen - also permanent Positionen von Delegierten einfach zu dokumentieren. 

Was dann gestern geschehen ist, war schlichtweg ein Desaster. Im Raum stand eine unglaubliche Wut - und bei einigen Bischöfen ganz offenbar eine gewisse Zufriedenheit. Ob sie wirklich verstanden haben, was sie da angerichtet haben, wage ich zu bezweifeln. Allen anderen stand der Schock ins Gesicht geschrieben. Ich habe Menschen weinen sehen, völlig verzweifelt, eine Frau ist ganz in meiner Nähe zusammengebrochen, Bischöfe blickten völlig ungläubig in den Saal. 

Um es klar zu sagen: Natürlich ist das alles mit rechten Dingen zugegangen. Die Regeln wurden eingehalten: Wenn es keine Zweidrittelmehrheit in der Gruppe der Bischöfe gibt, ist ein Text abgelehnt. Was aber auch stimmt: So haben zehn Prozent der Delegierten es geschafft, eine 82-prozentige Zustimmung der Synodalversammlung zu Fall zu bringen. Das ist laut Satzung so möglich. Mit Demokratie hat das selbstverständlich nichts zu tun. Vermittelbar ist das auch nicht. Mag sein, dass das Synodalität ist, aber auch ich habe große Schwierigkeiten zu verstehen, warum die Stimme der Bischöfe in diesem so wichtigen, gemeinsamen Prozess so viel mehr wiegt als die Stimme jeder oder jedes anderen Delegierten in diesem Raum.

Noch mehr wundere ich mich darüber, wie leicht dieser Eklat gestern Abend mit Spiritualität übertüncht wurde. Als Erstes kündigten zu Beginn eines "EinHalts" die Geistlichen Begleiter des Synodalen Wegs an, jetzt werde eine (an sich ganz großartige) Combo (deren Namen ich leider nicht weiß - eine überaus spannende Verbindung von Elektro und geistlicher Musik) eine Vertonung von Psalm 22 musizieren: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Und anschließend sang die Versammlung das Taizé-Stück "Nada te turbe" - übersetzt: "Nichts soll dich betrüben, nichts dich ängstigen". - Mit Verlaub: Nicht Gott hat diese Versammlung verlassen (das hoffe ich jedenfalls), sondern ein entscheidender Teil der Bischöfe. Und wenn dieser Eklat nicht betrüben, nicht ängstigen soll, dann weiß ich es nicht. 

Gestern Abend haben dann Bischöfe und ZdK getrennt voneinander beraten. Ich weiß, dass die Bischöfe danach im Hotel wortlos auf ihre Zimmer gegangen sind, und auch im ZdK muss die Stimmung extrem wütend gewesen sein. Da stand alles auf der Kippe, keine Frage.

Umso mehr musste ich mich heute Morgen wundern, wie schnell das Präsidium - Bischof Georg Bätzing und Irme Stetter-Karp - nach einigen zweifellos ernsten Worten des Entsetzens wieder zur Tagesordnung übergehen wollte. Das hat die Delegiertenversammlung sehr souverän verhindert. Es wurde dann intensiv diskutiert und appelliert, nicht zuletzt an die Transparenz der Entscheidungen der Bischöfe inhaltlicher Art. Sie sollten doch bitte vor Abstimmungen auch so ehrlich und aufrichtig sein zu erklären, warum sie nicht zustimmen können. 

Nunja - aber das Grundproblem, nämlich das des Übergewichts der bischöflichen Stimmen, kam mit keiner Silbe zur Sprache. Null. Dabei ist genau das meines Erachtens einer der Knackpunkte dessen, worüber wir hier sprechen - nämlich des Zueinanders und Miteinanders aller Getauften im Volk Gottes. Dabei geht es darum, an wie viel Macht die Bischöfe festhalten - selbst hier, wo es mit dem Missbrauchsskandal als Auslöser genau darum geht, Macht abzugeben, Beteiligung zu ermöglichen. Wenn das allerdings sogar der Selbstreflexion dieser Versammlung entgeht, ist das ein klarer Hinweis darauf, wie sehr wir hier wohl auch in der Bubble katholischer Harmoniesucht sind. Ich hatte ehrlich mit einem Knall, vielleicht sogar einem Aus dieser Versammlung gerechnet. 

Vielleicht aber ist es auch eine Stärke, dass die Delegierten trotz aller Verletzungen, Enttäuschungen, aller Wut und Müdigkeit trotzdem bleiben. Mehr noch: Menschen, die gestern diesen Saal verlassen mussten, weil sie nicht mehr konnten, sind wieder da. Davor habe ich großen Respekt. Ob ich das könnte, wenn ich nicht als Journalist hier wäre, der qua Job eine innere Distanz zu diesem Geschehen wahrt, - ich weiß es nicht. Vielleicht muss auch ich da lernen.

Umso erstaunlicher, was am Nachmittag geschah. Denn als es dann um das Frauen-Papier ging, das ja nicht zuletzt eine Öffnung der Diskussion über das Amt für Frauen will, gab es tatsächlich eine sehr intensive Auseinandersetzung. Auf einmal meldeten sich nahezu 30 Bischöfe mit teils ausführlichen Erkärungen dafür, wie sie sich entscheiden werden - die Redezeit wurde dafür auf zwei Minuten erhöht. Am Ende hätte ich damit gerechnet, dass auch dieses Papier mit Krawall abgelehnt wird. Dann aber bat Bischof Bätzing um eine Unterbrechung der Sitzung, was sich als extrem kluger Schachzug herausgestellt hat. Offenbar haben die Bischöfe noch einmal intensiv diskutiert - vornehmlich darüber, ob dieser Text ein fertiges Statement und eine Forderung ist oder "nur" ein Vorschlag, ein Impuls zur weiteren Diskussion und Prüfung auf Weltkirchenebene. Offenbar hat es geholen, dass die zweite Sicht intendiert ist.

Denn am Ende haben mehr als 90 Prozent der Delegierten zugestimmt, sogar mehr als 80 Prozent der Bischöfe. Die Erleichterung im Saal war mit Händen zu greifen, Delegierte standen applaudierend auf. Da ist also etwas gelungen - und die Erleichterung von Professorin Dr. Dorothea Sattler, Theologin und mit Bischof Franz-Josef Bode Vorsitzende des Forums, zeigt mir: Hier ist offenbar wirklich ein Erfolg erzielt worden, auch wenn er nicht ein klares Statement, sondern "nur" ein Impuls sein soll. 

Schon geht die Debatte weiter - gerade wird in zweiter Lesung über Handlungstexte zu Homosexualität und die Kirchliche Grundordnung diskutiert. In diesem Moment unterbricht Bischof Bätzing allerdings schon wieder, um mit den Bischöfen unter sich noch einmal zu diskutieren. Und ich bin gespannt, wie lang dieser Abend wird. Online werden wir euch weiter auf dem Laufenden halten. Die Tagesordnung ist längst außer dem Ruder, keiner weiß so richtig, was morgen geschieht. Und es stehen noch riesige Themen zur finalen Abstimmung: etwa die über den Zölibat und den Synodalen Rat.

Bleibt uns treu, bleibt uns gewogen, empfehlt uns weiter!

Guet goahn aus Frankfurt!

Markus Nolte (Chefredakteur Online)