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Artensterben im Sommerloch

Innerhalb weniger Tage ist die Welt um gleich zwei Fabelwesen ärmer geworden: Die Löwin von Kleinmachnow und die CDU-Brandmauer gegen rechts. An sie beide wurde geglaubt, manche haben sie gar gefürchtet. Zu Unrecht, wie sich nun herausstellte. Beide, Löwin und Mauer, sind passé, aus der Welt geschafft. Und beide wurden per Videobeweis erledigt. Ein genauer Blick auf das mitternachts aufgenommene Handyvideo eines Autofahrers in der brandenburgischen Pampa ergab, was einige Experten (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) von Beginn an vermuteten: Rückenkrümmung und Schwanz gehören nicht zu einer Löwin, sondern zu einem stinknormalen Wildschwein. Die Enttäuschung über diese plötzliche Entzauberung war groß. Und ganz analog ergab ein genauer Blick auf das ZDF-Sommerinterview mit CDU-Chef Friedrich Merz, dass er dazu aufrief, die Wahl von AfD-Bürgermeistern hinzunehmen: „Das haben wir doch zu akzeptieren. Und natürlich muss in den Kommunalparlamenten dann auch nach Wegen gesucht werden, wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet.“

Ganz ohne Blick auf Merz' Rückenkrümmung war vielen damit klar: Futsch ist sie, die Brandmauer gegen rechts. Am Wörtchen „gemeinsam“ zeigt sich: Die AfD ist eine stinknormale Partei – so, wie die Löwin ein stinknormales Wildschwein ist. Und mit stinknormalen Parteien muss man sich arrangieren, Verfassungsschutz-Verdachtsfall (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) hin oder her. Tino Chrupalla, Vorsitzender der AfD-Bundestagsfraktion, konnte seine Begeisterung kaum verstecken und twitterte: „Nun fallen erste Steine aus der schwarz-grünen Brandmauer.“ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) Da nutzten auch mediale Korrekturversuche nichts. Die Katze war aus dem Sack – respektive der rote Teppich ausgerollt. Auch wenn Team Merz sich in den nächsten Tagen redlich um Schadensbegrenzung bemühte, der rote Teppich ließ sich nicht wieder einfach so einrollen. Denn die halbe AfD stand schon fröhlich Sekt trinkend auf ihm, dem roten Teppich, der mal eine Brandmauer war, oder zumindest ein Mäuerchen.

Der Fairness halber: Es gibt Stimmen in der CDU – unter ihnen Berlins Bürgermeister Kai Wegner, der sich allein aus historischen Gründen mit Mauern (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) auskennt –, die nach wie vor auf die Brandmauer gegen die AfD bestehen. Was aus ihrer Sicht bröckelt, ist weniger die starke Abgrenzung gegen den zeitgenössischen deutschen Rechtsextremismus, den die AfD darstellt – als der Rückhalt von Friedrich Merz. Und das nicht ohne Grund. Nach „Sozialtourismus“-Vorwürfen und „kleine Paschas“-Rassismus, beleidigte Merz seine eigene Partei erst vor kurzem als „AfD mit Substanz“, was für gemäßigte Konservative in etwa so klingen muss wie „gesundes Heroin“ für Ernährungsberater. Nach dem Kleinreden der eigenen Partei nun also die kleingeredete Abgrenzung zur AfD in der Kommunalpolitik, was einige Parteigenossen ganz offen an Merz' Eignung als Kanzlerkandidat (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) zweifeln lässt. Vorbei die Zeiten des bedingungslosen Gehorsams, vorbei die Zeiten, in denen der deutsche Monty Burns als alternativloser, profilschärfender Heilsbringer abgefeiert wurde. Was der CDU – Stand Sommer 2023 – nach wie vor fehlt, ist eine klare Linie, eine Vision von einer Partei nach Merkel. Um das zu sehen, braucht es keine entlarvende Videoanalyse, kein Untersuchen winziger Details. Die mangelnde Abgrenzung und gleichzeitig die Notwendigkeit einer sichtbaren Abgrenzung – beides ist unübersehbar. Die Alternative ist eine programmatische Leerstelle, eine Möchtegernmauer.

Auch andernorts geht das Artensterben weiter. Weniger durch entlarvende Abschaffung bedingt als durch Elon Musk. Der größte Partycrasher aller Zeiten schießt den Vogel ab, den blauen Vogel, das Twitter-Symbol. Ersetzt wird das Vögelchen durch ein weißes X auf schwarzem Hintergrund; eine grafische Pornoportalifizierung (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) des Kurznachrichtendienstes. Internetadresse ist wohl zukünftig das etwas blutarme www.x.com (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), nur zwei X entfernt von FSK 18. Im Zuge dieser Umgestaltung wurde nun ein weiteres, eigentlich unbedeutendes Kapitel aus Musks Biografie bekannt: Der Milliardär ist schon seit gut einem Vierteljahrhundert davon besessen, der Domain x.com (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) neues Leben einzuhauchen; ursprünglich sollte PayPal sogar so heißen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Das war allerdings zu einer Zeit, als Elon Musk kein überlebensgroßer Egomane war, den Millionen Jünger trotz aller Stupiditäten kultisch verehrten. Damals, im Jahr 2000, war Musk bloß – wie viele seiner Fans heute – ein junger Unternehmer mit Elterngeld und Geheimratsecken. Und so kam es, dass aus x.com (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) nichts wurde, weil es Gegenstimmen gab, die das Ganze für eine echt dämliche, x-beliebige Idee hielten. Im Jahr 2023 ist Elon Musk allerdings so sehr an der Spitze der libertären Nahrungskette angelangt, dass Kritik an ihm schnell mit einem „Du wärst doch auch nur gern so reich wie er! Du bist doch nur neidisch!“ abgewatscht (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) wird (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Es scheint, als ob Musk ein Schicksal ereilt, das sonst nur Diktatoren wie Wladimir Putin zuteilwird. Sie werden so mächtig, dass sie sich nur noch mit Ja-Sagern umgeben und alle Nein-Sager feuern (in Putins Fall: inhaftieren oder umbringen). Zurück bleiben die Kuscher, die Abnicker. Jeder Mr. Burns hat seinen Smithers, um es mit den Simpsons zu sagen. Oder gleich eine ganze Armee. Der moderne Machiavellist ist vielleicht einsam, aber nicht allein.

Um das Rebranding blöd zu finden, muss man kein BWL studiert haben. Musk nimmt sich eine Marke, die weltbekannt ist und sogar ein eigenes Verb hat. Ob man nun Twitter nutzt oder nicht, die meisten von uns kennen das Wort „twittern“. Allein davon können andere Konzerne nur träumen. Wir „microsoften“ unsere Texte nicht in Microsoft Word, wir „applen“ nicht am I-Phone herum. Bei letzterem heißt wenigstens das Gerät so. Nur „instagrammen“ gibt es, ganz verblos ist die Konkurrenz also nicht. Nichtsdestoweniger: Hier wird eine Marke, die sich über fast zwei Jahrzehnte etabliert hat, durch den Fleischwolf gedreht, äh, ich meine: ge-ixt. Oder heißt es schon durch den X-Wolf geixt? Jemand schrieb mal auf Twitter (wie es damals hieß): „Elon Musk ist, was passiert, wenn der Geist eines verstorbenen 14-Jährigen und der Geist eines Öl-Tycoons aus dem 19. Jahrhundert denselben Körper heimsuchen“. In dieser ungewöhnlich präzisen Beschreibung (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) offenbart sich das ganze Dilemma: Elon Musk ist ein Typ, der – ebenfalls erst in diesem Sommer – seinen Konkurrenten Mark Zuckerberg zu einem Schwanzvergleich (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) aufforderte. So ganz wortwörtlich, unmetaphorisch, Schwengel auspacken. Das alles wäre ganz egal, völlig nebensächlich oder gar lustig, lebten wir nicht in einer digitalen Welt. Natürlich wird niemand dazu gezwungen, Plattformen wie Twitter, Instagram oder auch Zuckerbergs neuem Twitter-Konkurrenzdienst „Threads“ beizutreten. Trotzdem ist die Breitenwirkung und Relevanz der Plattformen so riesig – wie bei Merz' Schadensbegrenzung nach dem AfD-Kommentar deutlich wurde –, dass man ihre Funktion durchaus mit öffentlicher Infrastruktur vergleichen kann. Sie sind große öffentliche Marktplätze. Orte des Zusammenlebens. Das antike Forum in digitalisierter Form. Daher ist es nicht egal, wie verrückt, trollig oder putinesk sich ihre Betreiber geben. Ein komplett durchgeknallter Bürgermeister würde abgesetzt werden. Ein komplett durchgeknallter CEO wird abgefeiert. Darin liegt die Tragik megalomaner Männer und ihrer Konzerne.

Mark Zuckerberg hat übrigens jetzt die einmalige Gelegenheit (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), sein „Threads“ zu rebranden. Da gerade eine Vakanz entsteht, könnte ich mir etwas Schlichtes vorstellen. Vielleicht mit einem Vogel. Irgendwas mit zwitschern?

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