Das Ende des Spielejournalismus?
Hi! Dennis von Indie Fresse hier.
Zwischen unseren Podcast-Folgen gibt’s kluge Gedanken zu schönen Spielen in eurem Postfach. Heute ohne schönes Spiel, denn zum einen suchte ich mich gerade für die nächste Podcast-Folge durch Clair Obscur und zum anderen muss ich hier wieder schwer ärgern.
Aber das ist nicht alles: Wir haben aktuell ein neues Steady-Goal: Eine IF-Sprechstunde auf Twitch!
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Ein kluger (?) Gedanke: RIP Polygon

Am 01. Mai hat das US-Medienunternehmen Vox Media (The Verge, SB Nation, Vulture) bekanntgegeben, dass es seine Games-Webseite Polygon für eine unbekannte Summe verkauft. Ein Großteil der über 30-köpfigen Redaktion wurde entlassen — am Arbeiterkampftag, mitten in Gehaltsverhandlungen mit der Gewerkschaft. Der Käufer ist Valnet, die Firma eines ehemaligen Porno-Moguls (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), vor allem bekannt für die Fandom-Wiki-Seiten voller nervtötender Autoplay-Videos. Die Zukunft von Polygon unter dieser neuen Führung sieht nicht gut aus.
Und warum ist das wichtig?
Polygon ist nicht einfach irgendeine Games-Webseite. Seit 2012 stand Polygon für etwas sehr bestimmtes: Spiele-Kultur-Journalismus mit Anspruch. Gestartet von einer Reihe der erfahrensten US-Games-Journalisten hat Polygon auf eine Mischung gesetzt aus meinungsstarken (oft (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) kontroversen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)!) Reviews, langen Features und kreativen Videos, die etwa der Karriere-Startpunkt waren für Comedy-Video-Genie Brian David Gilbert (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Aber, Dennis, wenn Polygon so toll ist — warum wurde es dann verkauft?
So richtig gute Gründe für den Kauf und Verkauf werden nicht kommuniziert. Hier ein guter Verge-Artikel (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) dazu. Hier wird’s also spekulativ.
Im (hörenswerten!) Aftermath-Podcast (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) geben sich die Hosts (alles erfahrene Journalisten) schockiert. Polygon zu verkaufen sei komplett verrückt.
Polygon sei eine wichtige Webseite im Portfolio von Vox, denn es sei die Nummer 1 im Internet für Guides, für Spiele-Tipps,. Tatsächlich: Ich benutze dauernd diese Guides. Sie sind wirklich super. Und sie tauchen regelmäßig in den Top-Google-Suchergebnissen auf. Die Podcast-Hosts sagen: Die Zukunft von Webseiten wie Polygon sähe mit dem bevorstehenden Release von GTA VI und der Switch 2 rosig aus.
Aber ist das wirklich so? Mein guter Freund Hagen hat hier (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) treffend aufgeschrieben, warum das vielleicht zu kurz gedacht ist:
The traffic was never Polygon’s to begin with. It was Google’s. Nobody searching for a solution cares about who provides it.
Ich gehe da mit. Ich vermute, Vox Media ist klargeworden, dass der Google-Traffic für die Polygon-Spieletipps nicht ewig halten kann. Denn Google fasst Guide-Inhalte inzwischen regelmäßig selbst mit KI zusammen und gibt Antworten auf Fragen für Blue Prince und Clair Obscur einfach selbst.

Und wenn die Guides wegfallen, was bleibt dann? Kulturige Reviews (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)? Artikel über aktuelle Serien (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) und Popkultur (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)? Witzige Videos (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)? Ja. Aber ist das genug, um, eine Webseite über Games mit einer mittelgroßen Redaktion am Laufen zu halten? Nein, sagt Vox Media.
Und was bedeutet das jetzt?
Das Ende des Spielejournalismus? Nein, natürlich nicht. Aber vielleicht ein Ende einer ganz bestimmten Vision des Spielejournalismus. Nämlich der, dass es genug Menschen da draußen gibt, die an klugen Gedanken über schöne Spiele interessiert sind, dass sich aus diesem Interesse heraus, eine ganze Redaktion bezahlen ließe.
Polygon schließt sich jetzt einer Reihe von anderen Magazinen und Webseiten an, die mit einem ähnlichen Anspruch gescheitert sind, die entkernt worden sind und, wie etwa Kotaku, immer weiter in der Bedeutungslosigkeit versinken.
Nicht mal einen Abschieds-Post oder eine Ankündigung gibt es auf Polygon. Die Community versammelt sich gerade unter diesem (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) sonst eher uninteressanten News-Post über teurer werdende Xbox-Konsolen. Zum Glück hat jemand aus der Community eine Microsite (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) gebastelt mit Links zu den entlassenen Autor*innen.
Das ist bitter für Journalist*innen, wie mich. Denn genau an diese Vision habe ich ja geglaubt. Polygon, Kotaku, Waypoint — das waren Webseiten, auf die ich früher mit ganz viel Neid und ganz viel Bewunderung geschaut haben. Natürlich war nicht alles prima und es gab genug Dinge, die zu kritisieren wären, doch die Autor*innen waren Vorbilder für mich — und auch für zahlreiche Kolleg*innen, mit denen ich über die Jahre zu tun hatte.
Und für den Journalismus als Job sind oder waren diese Webseiten ebenfalls enorm wichtig. Denn sie boten jungen Menschen die Möglichkeit, zu lernen und erfahrenen Autor*innen gemeinsam an großen Stories zu arbeiten oder stabile, langjährige Karrieren aufzubauen.
Der Verkauf von Polygon signalisiert (vielleicht ja endgültig): Für Medienunternehmen ist das kein Business.
Ach, komm, ist jetzt alles wirklich so schlimm?
…nee.
Tatsächlich nicht. Denn gerade passiert auch viel im Spielejournalismus. In Deutschland ist die GameStar immer noch eine echte Macht und veröffentlicht mit ihrem Plus-Angebot wirklich tollen Journalismus. Diese Story (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) über Wale in Free2Play-Spielen? Chef’s Kiss!
IGN unter unserem Freund Manu von Insert Moin hat vor kurzem eine neue feste Redakteurinnen-Stelle besetzt (Glückwunsch an Antonia Dreßler (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)!)
Es gibt fantastische Newsletter (Game File (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), VGIM (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), Game Discover Co (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), The Game Business (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)), Podcasts wie Triple Click (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), Stay Forever (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), OK Cool (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), Insert Moin (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Und neue, kleine, unabhängige Magazine wie Aftermath (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), Remap (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) oder Second Wind (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), die aus den Ruinen von Kotaku, VICE und Escapist entstanden sind und die versuchen als “worker owned” Medienunternehmen weiterhin guten Journalismus über Spiele zu machen.
Ich weiß nicht, ob ich das heute genauso inspirierend finde wie damals die Gründung von Polygon. Denn diese Medienunternehmen am Laufen zu halten ist ein heftiger Struggle. Auch da empfehle ich noch mal den Aftermath-Podcast (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Eine 30-köpfige Redaktion? Ist da nicht drin.
Meine Hoffnung: Dass sich das ändert. Dass diese neuen Outlets langsam, über Jahre hinweg zu stabilen Magazinen werden, die vielleicht ja irgendwann mal den (US-)Spielejournalismus wieder aufbauen. Dass ein Verständnis dafür entsteht, dass Kultur-Journalismus über Spiele/Filme/Musik wertvoll ist. Und dass kluge Menschen rausfinden, wie man klug über diese Medien sprechen kann, sodass es möglichst viele Menschen interessiert.
Und, dass in der Zwischenzeit andere Medien (Tech-Medien, Zeitungsverlage, große YouTube-Kanäle, Podcast-Unternehmen) sich dazu entscheiden, die Lücke zu füllen, die gerade entsteht.
Meine Befürchtung: Dass das nicht passieren wird.
BONUS CAT EULEN-CONTENT

Sorry, für den Heavy-Newsletter heute. Als Ausgleich: Eule Olaf von der Eulenwanderung von Molly auf Mastodon (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Danke fürs Einsenden und keep it coming!