März. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.
Ich schreibe jeden Morgen drei Seiten Tagebuch. Am Ende jedes Monats unterstreiche ich die Stellen, die ich nicht vergessen möchte. Unterstreichungen aus dem Lockdown-März 2021.
Fantasie: Leute über 50 machen diesen Frühling Raves in der Hasenheide, jagen sich maskenlos durch U-Bahnwaggons, fühlen sich nicht angesprochen, rächen sich an der Corona-Partyjugend 2020.
Gab es "die Zahlen" jemals in einem positiven Kontext? Selbst wenn jemand sagt "Die Zahlen sehen gut aus", bleiben "die Zahlen" für mich negativ konnotiert, es ist wie: "Der Tumor ist gutartig". Die Zahlen bleiben eine potenzielle Gefahr, die nur für den Moment gebannt ist. Aber die Zahlen jagen uns immer vor sich her. Wenn Unternehmenszahlen heute gut sind, sind die Ziele übermorgen verdoppelt. Von guten Zahlen haben nur wenige etwas.
Ich bin mit dem Glauben aufgewachsen, Künstler, das seien immer die anderen, aber nicht wir, nicht unsere Familie. Wir sind die, die applaudieren. Wir erschaffen im Kleinen, wir machen Schultheater.
Meiner Oma ist Kunst, glaube ich, egal. Sie sieht die Fähigkeit, eine Harmonie zu erzeugen als eine Art Gefälligkeit; etwas, das man im Lebenslauf unter "Hobbys" aufführt, um eine gute Figur zu machen. Seltsam, wenn man bedenkt, dass sie selbst Klavier gespielt hat.
Frauenkampftag. Der erste Impuls: Ermüdung. Ich bin nicht mal vorne an der Front, mache mich nicht bei Twitter zur Zielscheibe und bin trotzdem schrecklich müde. Das Bewusstsein: Fuck, zu meinen Lebzeiten wird es nicht vorbei sein. Besser vielleicht, aber nicht vorbei.
Wollte aufschreiben, welche feministischen Themen mich besonders bewegen, aber merke: Jeder Tag frei ist auch ein Urlaub von diesem Thema, weil ich am Steuer sitze, weniger auf ich einwirkt. Ich muss mir nicht bewusst Zeit nehmen, über die Lage der Nation zu sinnieren, weil ich sie ohnehin rund um die Uhr unfreiwillig wälze; weil ich nicht die Freiheit habe, nicht über sie nachdenken zu müssen.
Ich kann mich auch ohne Tabak amüsieren, I guess. Wenn ich daran zurückdenke, was die gemeinsamen Rauchmomente besonders gemacht hat, war es dann der Tabak? Was kann man statt Rauchen tun? Lernen, mit leeren Händen zu kommen, come as you are. Darauf vertrauen, dass einem ohne Kippe genau dieselben Ideen kommen. Welche Mucke würde Kurt heute machen?
Wenn mein Ego gekränkt wird, überrascht mich das meist. Ich weiß überhaupt nicht, wo da meine Triggerpunkte liegen.
Wie bescheuert. Jetzt sitzt sie hier irgendwo in dieser Stadt (Wohnt sie noch hier? Ich weiß nur, dass sie mit einem scheinbar älteren Franzosen zusammen gekommen ist.) und ich sitze hier und wir hätten ein Wir sein können, aber ich musste dringend diese Phase in meinen frühen 20ern haben, in der ich vulkanartig Freunde von mir wegschleuderte, selten aus gutem Grund. Zu meiner Verteidigung: Die anderen taten es auch. Wahrscheinlich fühlten sie sich dabei genauso goldrichtig wie ich; wahrscheinlich war das unsere Art damals, Grenzen aufzuzeigen: Clear Cuts und Ghosting. Heute bleibt man danach einfach befreundet. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.