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Darf ich das schreiben?

Autorin Isabell Prophet schreibt zur Frage, wie viel Expertin man sein muss, wo die Vor- und Nachteile liegen und wie man kompensiert, wenn man keine ist.

Das Impostor-Syndrom hat mich bei meinem ersten Buch vor acht Jahren sehr gequält. Darf ich das schreiben? Darf ich über Glück schreiben, wenn ich keine Psychologin bin? Darf ich über gesellschaftliche Phänomene schreiben, wenn ich doch nur aus meinem Blickwinkel als Ökonomin und Journalistin erzähle? Und vielleicht stellst du dir ähnliche Fragen.

Die Antwort lautet erst einmal: Ja, darfst du. Denn wenn du sauber arbeitest, dann musst du keine Expertin sein. Im Gegenteil: Wir brauchen verschiedene Blickwinkel auf ein Thema. Die der Expert*innen von außen und die derer, die von innen auf das Leben schauen.

Experten beweisen sich nicht selbst

Die Wissenschaft und die berufliche Praxis sind tolle Quellen, aber der Alltag ist es eben auch. Wahrheit verändert sich, wie es die Gesellschaft auch tut. Und die Fragen, die du dir stellst, die Aspekte, die dir auffallen, die sind wichtig. Schreib sie auf. Arbeite sauber.

Auch wer einen Experten-Status hat, der muss diesen Status mit Quellenarbeit belegen. Das »Ich kenne mich aus, vertraut mir«-Subgenre gibt es zwar noch, zu Recht wird es aber immer wieder in Rezensionen kritisiert. Auch für Expertinnen und Experten sind Belege ein Ausweis sauberer Arbeit.

Das gefällt nicht allen, aber das ist in Ordnung. Während meiner ersten Lesung stand jemand auf und sagte: »Ich finde das alles sehr wissenschaftsgläubig.« Wir befanden uns in einem Kloster, es war die Nacht vor Sturm Xaver, mehr als 70 Menschen und ich starrten ratlos. Ich presste unsouverän die Lippen aufeinander und nickte langsam. Ja … Ja. Meine Themen waren ausgedacht, meine Fakten waren es nicht.

Was ist denn diese »saubere Arbeit«?

Für fast alle Autorinnen und Autoren im Sachbuch gilt: Belege, was du behauptest. Du schreibst über eine Alltagsbeobachtung? Dann stell das im Text klar. Und dann prüfst du, ob andere dazu geforscht haben oder ob es Debattenbeiträge von Menschen gibt, die sich auskennen.

Die Forschung sagt das Gegenteil von dem, was du beobachtest? Super! Das ist das spannendste, was dir passieren kann. Schreib darüber. Warum ist das so? Was schließt du daraus? Verändert sich etwas? Hat die Forschung einen Blinden Fleck? Fehlt den Experten eine Perspektive?

Lass dich auf die Debatte ein, die du selbst angefangen hast. Folge deinem Gedanken, nimm aber auch die Blickwinkel anderer ernst.

Es ist in Ordnung, dabei nicht immer zu einem eindeutigen Ergebnis zu kommen. Du kannst immer sagen: »Und doch bleibe ich bei meiner Position, denn …« Es gibt hochrangige Philosophie-Professoren da draußen, die Bücher darüber veröffentlichen dürfen, dass sie die Urknall-Theorie suboptimal finden, denn dann hätte ja alles mit einer Explosion angefangen. Ich bin sicher, du kriegst das plausibler hin.

Wer weiß, wohin es dich führt?

Wenn du auf diese Art arbeitest, dann wirst du während der Recherche zur Expertin. Denn du lässt dich auf das ein, was andere sagen. Du lernst. Das versorgt dich mit Argumenten, mit denen du dich später besser streiten kannst.

Deine Recherchereise wird zur Erkenntnisreise deiner Leserinnen und Leser. Sorge dafür, dass ihnen etwas geboten wird. Deine Beobachtungen und Ideen sind Selbstdarstellung – im positivsten Sinne. Arbeit, Wissen und verschiedene Blickwinkel sind deine Dienstleistung für die Lesenden. Du schuldest sie ihnen.

Acht Jahre, nachdem ich mein erstes Buch »Die Entdeckung des Glücks« geschrieben habe, studiere ich heute nebenberuflich Psychologie. Und ich warte die ganze Zeit darauf, dass mir auffällt, dass ich damals Unfug geschrieben habe. Bis jetzt schützt mich meine saubere Arbeit.

Isabell Prophet ist Stress-, Schlaf- und Konfliktberaterin. Sie hat vier Bücher (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)veröffentlicht. In ihrem Feierabend-Newsletter (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) schreibt sie in jeder Woche über gesunde Arbeit und Organisation.

Danke, dass du dir Zeit für einen von Isabells Texten genommen hast. Sie sind es meiner Erfahrung nach immer Wert!

Deine Katharina