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Das ist kein Zionismus - das ist blinder Hass

Als ich gestern mein Instagram öffnete, sah ich, wie ein Bekannter von mir von jungen Extremisten in Jerusalem verprügelt wurde. Ein Video auf einer Nachrichtenseite zeigt, wie Robby Berman, der seit 35 Jahren in Israel lebt und als Tourguide arbeitet, von Jugendlichen umzingelt wird. Die Jungen, die ihn bespucken, treten und schlagen sind etwa zwischen 15 und, wenn überhaupt, 20 Jahren alt. Sie tragen Strick-Kippas, T-Shirts und Shorts. Manche haben lange Schläfenlocken. Robby ist Jude wie sie. Aber er hatte es gewagt, die Jungen aufzufordern, nicht mehr „Tod den Arabern“ zu brüllen. Daraufhin gingen die Halbstarken brutal auf den 58-Jährigen los. Die unfassbare Szene war keine Einzelfall auf dem sogenannten „Flaggenmarsch“ des Jerusalem Tags in Israels Hauptstadt. Traditionell ein Treffpunkt für Extremist:innen, kommt es jedes Jahr zu Ausschreitungen: Die Hooligangs haben es vor allem auf israelische Journalist:innen, Aktivist:innen und vereinzelt auch arabische Bürger:innen der Stadt abgesehen. Ich nenne sie Hooligangs, weil sie genau so aussehen und sich genau so benehmen. Aber natürlich steht hinter ihrer Gewalt mehr als nur die Lust an der Gewalt, sie glauben im Namen einer Ideologie und ihrer Interpretation eines nationalistischen Judentums zu handeln.

Als die aktuelle Regierung mit den beiden Extremisten Itamar Ben Gvir und Bezalel Smotrich im Dezember 2022 gebildet wurde, waren viele Israelis geschockt. Ben Gvir und Smotrich stehen für Lager, die sich außerhalb dessen befinden, was in der Vergangenheit in Israel als vertretbar empfunden wurde. Sie stehen für ein nationalistisches Judentum, dass von rechtsextremistischen und faschistischen Ideen geprägt wird. Smotrich ist selbst in einer Siedlung in der West Bank aufgewachsen und lebt bis heute dort. Ben Gvir stammt eigentlich aus einer säkularen Familie, als Jugendlicher wandte er sich rechtsextremistischen Gruppierungen zu und war dann so schnell für seine Gewaltbereitschaft berühmt-berüchtigt, dass er sogar vom Militärdienst in Israel ausgeschlossen wurde (und das soll was heißen!). Die jugendlichen Männer, die wir in den Aufnahmen vom Flaggenmarsch in Jerusalem sehen, sind die Jünger Ben Gvirs und Smotrichs. Nicht alle kommen aus Siedlungen in der West Bank, viele von ihnen stammen auch aus dem Kerngebiet Israels innerhalb der Grünen Linie. Was sie vereint ist ihre rigide Vorstellung vom Judentum und ihr Hass auf Araber.

Die Gefahr von nationalreligiösen Extremisten wurde zu spät erkannt

Über Jahre hatte ich das Gefühl, dass man sich in Israel vor allem Zukunftssorgen um die vielen Ultraorthodoxen machte. Die sogenannten Charedim, die mit ihren kinderreichen Familien und meist nicht arbeitenden Männern (sie studieren stattdessen die Thora und beziehen dafür Hilfsgelder vom israelischen Staat), die Demografie und Produktivität der Start-up-Nation Stück für Stück nachhaltig verändern. Den Einfluss und die Gefahr, die von einigen der so genannten „Dati Leumi“, Nationalreligiösen, ausgeht, habe zumindest ich persönlich nicht in diesem Ausmaß erkannt. Ich bin selbst orthodox mit einer nationalreligiösen Organisation übergetreten. Meine Mikwe fand in der so genannten C-Area in der West Bank statt (das ist das Gebiet, das komplett unter israelischer Kontrolle steht). Ganz in der Nähe des religiösen Zentrums, in dem ich zur Jüdin wurde, entführten palästinensische Terroristen später drei junge Talmudschüler und ermordeten sie. Ich empfand die ganze Gegend damals auch deshalb als bedrohlich, weil ich grundsätzlich dafür bin, dass Israel sich endlich zu klaren Grenzen bekennt und nicht weiter versucht, Tatsachen durch Siedlungsbau zu schaffen. Die Nationalreligiösen selbst habe ich als sehr religiös, ja, aber durchaus vernünftig, pragmatisch und extrem engagiert wahrgenommen. Auf meine manchmal kritischen Fragen, habe ich immer Antworten bekommen, die von einem großen Willen zum friedlichen Zusammenleben mit den Arabern gekennzeichnet waren. Anders als die Charedim, arbeiten die Nationalreligiösen. Sie dienen in der Armee. Sie leisten Freiwilligendienste und sind in ihren Traditionen längst nicht so streng. Und trotzdem sind sie zu einer der größten Bedrohung für die Demokratie im Land geworden.

Meine Konvertierung war vor mehr als einem Jahrzehnt. Seitdem hat sich Israel extrem verändert. In einem meiner letzten Newsletter „Die Eskalation ist jetzt Normalzustand“ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)habe ich erklärt, wie lange Raketen auf Tel Aviv die „rote Linie“ waren und wie normal es in den letzten Jahren geworden ist, dass sämtliche rote Linien von Israels Feinden überrannt wurden. Der 7. Oktober war der traurige Höhepunkt einer sich in Gaza, aber auch in der West Bank, immer mehr radikalisierenden Masse an Menschen. Einen gewissen Grad der Radikalisierung aber, den muss man, ohne die beiden Gruppen zu vergleichen, auch in Israel sehen und benennen. Für uns alle, die wir gerade auf Social Media um Israels Existenzrecht und gegen den wütenden Judenhass kämpfen, ist es manchmal schwer, über die eigenen Extremist:innen im Land zu reden. Ich zögere selbst jetzt, sie Terroristen zu nennen, obwohl viele von ihnen das sind. Sie zündeln in der West Bank, aggressiv und gewaltbereit, aber bei weitem nicht nur dort. Wenn ich mir die Personalien der gestern in Jerusalem festgenommenen Hooligans anschaue, dann kommen sie zu großen Teilen auch aus dem Kernland Israels. Und sie sind so wahnsinnig jung. Ich sehe ihre zum Teil noch mit Babyspeck versehenen Gesichter, aus ihren Mündern brüllt es „Tod den Arabern“ und „Brennt ihre Dörfer ab“ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) und ich frage mich: Was für eine Generation des Hasses wächst dort heran? Und wie konnte es soweit kommen?

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