Von Sex-Positivity zu 4B: Warum wir über die neue Ära der Sexnegativität sprechen müssen
… und was dieser Struggle mit meinem Roman macht.
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Es steht nicht gut um die Heterosexualität und das schon ein bisschen länger. Nach dem viralen Artikel über Heteropessimism (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) (2019) und diversen YouTube Essays (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) über Frauen, die bewusst sexuell abstinent leben (2023–), sind wir inzwischen in einer Art … neuen Ära der Sexnegativität angekommen, die ich in dieser Form nicht erwartet hätte. Hatten wir nicht alle erst Jessica Ferns Polysecure gelesen, bevor es innerhalb eines halben Jahres zum Joke verkam?
Jedenfalls habe ich gerade „Heterosexualität“ als Trigger-Warnung in meinen Roman eingefügt (der 2026 bei Haymon erscheint). Weil ich es lustig finde, und auch, weil es mir ein bisschen unangenehm ist, dass ausgerechnet mein Debütroman von so etwas Peinlichem wie heterosexuellem Begehren handelt.
FUCKGIRL ist kein queerer Roman, kein „politisch korrekter“ Roman, kein Roman mit einer sexuell abstinenten Feministin, die es so wie die Frauen in diesem Internet vermeintlich besser weiß.
Sie hat sich nicht dem 4b-Movement angeschlossen und lebt auch nicht glücklich und zufrieden #männerfrei und #childfree vor sich hin. Auch das wäre sicherlich ein gutes Thema für einen Roman, aber es ist nicht meines. Denn ich schreibe über die Abgründe eines ganz bestimmten Problems, das keiner mehr so wirklich haben möchte: sexuelles Verlangen nach heterosexuellen Männern.
Um was geht’s ganz grob?
Mein Main Character ist eine Frau Ende 30, die die Gewalt, die ihren weiblichen Verwandten in den vergangenen 100 Jahren widerfahren ist, auf ihre eigene Art ausgleichen möchte. Quasi als transgenerationale Rache. „Wenn Schmerzen über Generationen hinweg weitergetragen werden, sagte ich mir, dann können sie auch posthum wieder rückgängig gemacht werden.“
Monogame Beziehungen kommen für sie nicht mehr in Frage. Sie kann nicht nachvollziehen, warum sie nach Hunderten von repressiven Jahren ausgerechnet auf diese neue Form der Freiheit verzichten sollte. Mein Main Character lebt in einer offenen Ehe, und möchte die Optionen, die ihr diese Beziehung ermöglicht, so oft wie möglich auskosten. Wie viele Frauen sind schon mit Männern zusammen, die es nicht nur tolerieren, sondern sogar gutheißen, wenn ihre Partnerin auf Dates geht, Apps nutzt und mit anderen Sex hat?
Kleine Spoiler: Das Problem an der ganzen Sache ist, dass die Dates nicht unbedingt so verlaufen, wie sie sich das vorstellt. Surprise, Surprise! Eigentlich hatte ich erst ein ganz anderes Ende für den Roman vorgesehen, aber wie das so oft beim Schreiben der Fall ist, habe ich währenddessen ein zeitgeistliches Windchen wehen gespürt, das ich unbedingt einfangen wollte.
Und zwar die Schattenseiten der sexuellen Liberation. Talking about: Männern, die keine Kondome verwenden und sich nicht dafür schämen, Männern, die ihre Freundinnen und Kinder verschwiegen und der mentalen Recovery, die selbst nach einem guten Fick dringend nötig ist.
Irgendwie wurde bei all der Sex-Positivity der letzten zehn Jahre nämlich völlig außer Acht gelassen, dass Frauen in unserer hypersexualisierten Gesellschaft weiterhin eine marginalisiertere Gruppe darstellen; eine Gruppe, die anfälliger ist für Geschlechtskrankheiten, eine Gruppe, die im Falle des Falles die Kosten von Abtreibungen zu tragen hat und nicht auf den Support eines Mannes, den sie kaum kennt, zählen darf.
So. Was also machen? Auf der einen Seite des Spektrums haben wir radikale, sex-negative Bewegungen wie 4b aus Südkorea (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), bei den Frauen der Ehe, Kindern und Sex mit Männern abschwören. Auf der anderen Seite des Spektrums haben wir weiterhin Frauen, die sich unbedingt eine Beziehung mit einem Mann wünschen, und ihr heterosexuelles Begehren nicht ablegen können. Oder, um Stella Tsantekidou (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) auf Subtsack zu zitieren:
„Most women I know are well-presented, successful, pleasant, if a little frigid, and looking for a relationship that never seems to arrive. Yet, we are being bombarded by articles written by 30-40-year-old women reassuring the world (themselves?) that being permanently single is fine, actually.“
Und genau mit diesem Struggle hadere ich auch beim Buch. Wie kann ich eine Hauptprotagonistin schreiben, die sich in seltsame Situationen bringt, um good dick zu bekommen; und gleichzeitig eine feministische Message transportieren? Ist es genug, dass ihr widersprüchliches Verhalten in Bezug auf Heten-Männer eine gewisse Relatability bietet? Ich hoffe doch?!
Denn sind wir einmal ehrlich: Bewegungen wie 4B sind weiterhin Rand- und Nischenphänomene, und sind noch nicht einmal ansatzweise in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Als Autorin habe ich nicht den Anspruch, in meinem Buch einen „Trend“ abzubilden, und gleichzeitig hat er mich doch viele Nachmittage und Abende zum Nachdenken gebracht. Mitten in einem deutlich messbaren Feminismus-Shift eine Protagonistin zu schreiben und zu begleiten, die sich im Struggle ihres eigenen, heterosexuellen Begehrens befindet – ohne daraus auszubrechen, obwohl sie das längst könnte – ist und war gelinde gesagt schwierig.
Woraus sich gleich die nächste Frage ergibt: Nur, weil Frauen jetzt die Chance haben, Kindern, Ehe und Sex abzuschwören, heißt das ja noch nicht, dass sie das kollektiv tun werden. Oder?
Wie Brooke Brader so schön auf Substack festhält:
Irgendetwas an diesem take räsonierte mit meiner eigenen, schambehafteten Heterosexualität. Denn ja, wenn heterosexuelle Frauen sich so einfach von ihrem Begehren loslösen und Frauen daten könnten, sie würden, glaubt mir. Sexualität ist eben keine Wahl.
You cannot „trend“ women out of heterosexual desire.
Obwohl ich dem 4B-Movement sehr viel abgewinnen kann, ist es technisch gesehen moralistisch sex-negativ – und damit nicht unbedingt das, was heterosexuelle Frauen jetzt brauchen. Oder, wie es Beate Abslon in ihrem Buch „Not Giving A Fuck“ schreibt:
„Obwohl Sexnegativität eine progressive Kraft ist, die sich gegen Zwangssexualität wehrt, können sich in ihr durchaus Schwachstellen wie sexmoralische Tendenzen einschleichen. Frei nach dem Motto: Nur wer wenig Sex hat, ist wirklich befreit!“
Klingt nach ganz vielen, neuen Regeln, um eine gute Feministin zu sein.
Konsequenterweise ist laut Absalon demnach davon abzusehen, BDSM oder Penis-in-Vagina-Sex als inakzeptabel für Feministinnen abzustempeln (moralisierende Sexnegativität), als auch dem Trugschluss zu folgen, sexuelle Freilebigkeit allein sei bereits ein revolutionärer Akt (zwangssexuelle Sexpositivität).
Also. There’s a fine line between progressive und moralisierende Sexnegativität.
Don’t get me wrong: Ich finde es insgesamt gut, dass wir mehr darüber nachdenken, warum wir mit wem Sex haben, als früher; und dass eine promiskuitive Lebensweise nicht mehr ausschließlich als ein Akt der feministischen Revolution gesehen wird.
Auch mein Main Character fragt sich immer wieder: Wann lohnt es sich, Sex zu haben – und mit wem? Wann ist der Schaden größer, den ich mir durch eine Begegnung zufüge, als die Befriedigung, die ich dadurch erfahre?
Es sind genau diese Nuancen, die ich versuche in FUCKGIRL abzubilden. Ich hoffe, es wird mir gelingen.
Bis dahin lese ich noch schnell: The Case Against the Sexual Revolution (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) von Louise Perry – und werde berichten.
Kommt gut in den kalten Dezember, wo immer ihr seid.
Ich bin hier,
Eure Groschenphilosophin