Hallo!
Auch wenn man über Geld bekanntlich nicht spricht, wollen wir genau das heute tun. Denn wir im FYI-Kollektiv reden sehr gerne über Geld. Gerade als freie Journalist:innen halten wir es für essentiell, darüber zu sprechen.
In diesem Newsletter wollen wir daher einmal Tacheles reden: Was verdient man als freie:r Journalist:in, warum ist das oft zu wenig – und was muss sich ändern? Außerdem wollen wir wieder einen kleinen Einblick in unsere aktuellen Arbeiten geben, denn fernab vom Sommerloch ist bei uns so einiges im Gange.
300 € für einen Text: Eh gut, oder?
Nicht selten bekommen wir (und viele unserer Kolleg:innen) als Honorar für einen Text 300 Euro angeboten. Das mag auf den ersten Blick nach viel klingen.
Trotz Inflation haben sich die Honorare für Freie in den vergangenen Jahren kaum verbessert. Der gesamte Honorarreport der Freischreiber Deutschland erscheint Ende August. Foto: privat.
Vorweggeschickt: Kein Text ist gleich, manchmal geht’s schneller, weil man gut im Thema drin ist und man Gesprächspartner:innen schnell zur Hand hat; manchmal ist der Wurm drin, weil - Urlaubszeit! - einfach niemand ans Telefon geht oder man Schwierigkeiten hat, das Recherchierte zu Papier zu bringen. Nachfolgende Rechnung ist ein fiktives Beispiel für einen Text, der so oder so ähnlich in einer Tageszeitung erscheinen könnte und aus unserer Sicht den Alltag vieler freier Journalist:innen ganz gut abbildet.
Wie viel Arbeit fließt in so einen Text?
Bevor wir einen Text anbieten, braucht es etwas Vorrecherche und einen Pitch, den wir an eine Redaktion schicken. Wenn’s gut läuft, schaffen wir das in 1 Stunde.
Dann geht’s an die eigentliche Recherche, die dauert in unserem Beispiel ca. 3 Stunden.
Zusätzlich sprechen wir mit zwei Expert:innen. Da wir das normalerweise telefonisch erledigen, brauchen wir inklusive Terminvereinbarung hier insgesamt 2 Stunden.
Danach geht’s an Schreiben, was für einen durchschnittlichen Text für eine Tageszeitung noch einmal ca. 3 Stunden in Anspruch nimmt.
Anschließend müssen wir die Zitate unserer Gesprächspartner:innen autorisieren lassen und gegebenenfalls nochmal nachbessern, ca. 1 Stunde.
Wir finalisieren unseren Text, schleifen ihn nochmal, schicken ihn an die Redaktion und müssen unter Umständen noch Feedback einarbeiten, ca. 1 Stunde.
Macht insgesamt 11 Stunden, also 27,30 Euro pro Stunde.
Wie viel bleibt davon?
Als freie Journalist:innen sind wir selbständig, zahlen also Sozialversicherung und Einkommenssteuer. Von unserem Bruttoeinkommen bleiben grob 65 Prozent übrig, von den 300 Euro also etwa 195 Euro bzw. 17,45 Euro pro Stunde.
Handwerker:in gesucht!
Selbständig sein bedeutet auch: Für unsere Produktionsmittel (Laptop, Handy, Internet, Aufnahmegerät etc.) bezahlen wir selbst und wir tragen das Risiko für unseren unternehmerischen (Miss-)Erfolg. Arbeiten wir nicht, beispielsweise im Urlaub oder wegen Krankheit, verdienen wir auch kein Geld. Außerdem erledigen wir viel “unproduktive” Arbeit, etwa wenn wir Akquise betreiben, unsere Buchführung machen, uns fortbilden, Dingen hinterher recherchieren, aus denen letztlich keine Veröffentlichung folgt oder Newsletter schreiben, in denen wir uns über schlechte Bezahlung beklagen.
300 Euro für einen Text mag viel klingen - sucht mal nach einer Handwerkerin, die zu einem solchen Stundenlohn arbeiten will ;)
Warum erzählen wir das? Weil nicht über Geld zu sprechen uns allen schadet. Wir sind der Meinung, dass Redaktionen und Leser:innen wissen sollten, zu welchen Bedingungen die Beiträge entstehen, die sie lesen oder hören - und die im Idealfall wichtige gesellschaftliche Debatten anstoßen. Auch sind wir der Meinung, dass wir uns als freie Journalist:innen deutlich mehr über Honorare austauschen sollten. Nur wer um die Bedingungen anderer weiß, kann auf Augenhöhe verhandeln.
Was muss sich ändern?
Wir sind uns bewusst, dass die meisten Medienhäuser in finanziellen Schwierigkeiten stecken, gerade kritische, unabhängige und/oder spendenfinanzierte Medien haben in Österreich einen - politisch gewollten - schwierigen Stand. Aber wir sind der Meinung, dass qualitativ hochwertiger Journalismus entsprechende Arbeitsbedingungen braucht - und 300 Euro pro Text für hochwertigen Journalismus nicht reichen!
Damit wir und andere freie wie fixangestellte Journalist:innen unsere Arbeit anständig machen können, braucht es bessere Rahmenbedingungen:
Eine entsprechende (staatliche) Finanzierung von Qualitätsjournalismus anstelle von Boulevard-Förderung und Inseratenkorruption (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
Ein anständiger Kollektivvertrag (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), der für Freie mehr als nur symbolischen Charakter hat
Mehr Institutionen, die kritische Recherchen fördern, beispielsweise in Form von Stipendien
Mehr Transparenz! Wir legen allen Journalist:innen und Interessierten das Honorartool der Freischreiber ans Herz: https://www.wasjournalistenverdienen.de/ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
Übrigens: Ende August erscheint der Freischreiber-Honorarreport (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), der einen Überblick über die Einkommen von freien Journalist:innen liefert - reinschauen lohnt sich!
Und jetzt seid ihr dran: Liebe Freie, liebe Fixangestellte, liebe Leser:innen, mailt uns gerne eure Erfahrungen und Einschätzungen zum Thema an redaktion@fyi-kollektiv.at (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
Woran arbeiten wir?
Auch wir genießen vereinzelt gerade unseren Urlaub, von Sommerloch kann bei FYI jedoch keine Rede sein. Christof und Johannes haben sich in den letzten Monaten intensiv mit Donau-Kreuzfahrten auseinandergesetzt, ihr Beitrag über die Arbeitsbedingungen inmitten von Luxus und Klimbim läuft am 29. August bei ORF Eco.
Und apropos Arbeitsbedingungen: Johannes beschäftigt sich damit schon seit einigen Jahren, am 19. August erscheinen seine Recherchen über die Arbeitsbedingungen von Migrant:innen unter dem Titel “Ausbeutung auf Bestellung” (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) im ÖGB-Verlag.
Mit der Arbeitswelt hat sich auch Nadja unlängst eingehend befasst, unter anderem mit Menstruationszyklen und “Ideen der feministischen Anti-Work-Bewegung”. Ihren Beitrag fürs TAGEBUCH lest ihr hier (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Aktuell macht Nadja eine Workation in Spanien. Foto: privat.
Milena traf die Schriftstellerin Alicia Kozameh, die als politische Gefangene unter der argentinischen Militärdiktatur die Folterhaft überlebte. Das Porträt erscheint Anfang September im Südwind-Magazin. Außerdem fragte Milena Expert:innen nach einer Bilanz der (noch) aktuellen Regierung aus entwicklungspolitischer Perspektive (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) und tüftelt gerade an den letzten Texten für die September-Ausgabe des MO - Magazin für Menschenrechte (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Die argentinische Autorin Alicia Kozameh erzählte im Gespräch mit Milena von ihrem Widerstand unter der Militärdiktatur in Argentinien, der Bedeutung des Schreibens und der aktuellen Politik des Präsidenten Javier Milei. Foto: Alexander Chitsazan
Christian hat sich zuletzt angesehen, wie es eigentlich ist, für die eigenen Überzeugungen ins Gefängnis zu gehen. Seinen Beitrag über das “Häfen-Gehen” als klimapolitisches “Statement” lest ihr in der neuen - an FYI-Beiträgen sehr reichen - Augustin-Ausgabe (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Mit Klimapolitik beschäftigte sich auch Naz. Für relevant.news (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) sah sie sich an, was aus den “coolen Straßen”, einer Maßnahme gegen Hitze in der Stadt, der Wiener Rot-Grün-Regierung, geworden ist. Außerdem traf sie den Mann, der plant, ein Dankmal für Gastarbeiter in Wien aufzustellen. Das Porträt lest ihr in der Furche (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)!
Liebe Grüße wünscht im Namen des Kollektivs: Johannes!