Monday Motivation #26
Stärken stärken
Das Jahresende naht und damit die allseits beliebte Leistungsbeurteilung, einschließlich der obligatorischen Suche nach Mängeln und Entwicklungsfeldern. Ein Training für besseres Präsentieren geht immer und etwas mehr Emotionale Intelligenz schadet auch nie. Fertig sind die Ziele für das nächste Jahr. Ganz so lieblos läuft das hoffentlich nirgendwo ab, aber der Fokus auf Defizite verfolgt uns doch seit Schulzeiten.
Jeder ist ein Genie. Aber wenn wir einen Fisch danach beurteilen, wie gut er auf einen Baum klettern kann, wird er sein ganzes Leben lang denken, er sei dumm. Dieses geflügelte Wort wird Albert Einstein zugeschrieben. Dafür gibt es zwar keine Belege, aber es passt zu Einsteins Lebenslauf, dessen Stärken auch lange nicht erkannt wurden. Seine Dissertation und vier weitere bahnbrechende Publikationen publizierte er in seinem Wunderjahr 1905 nebenbei, während er hauptberuflich als »ehrwürdiger eidgenössischer Tintenscheisser« Patentanträge überprüfte (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
In seinem Buch »The Effective Executive« widmet Peter Drucker ein ganzes Kapitel der Frage, wie man sich selbst und seine Mitarbeiter am besten einsetzt. Seine Grundannahme ist dabei, dass jeder einige individuelle Stärken hat – und viele Schwächen. So weit, so leidvoll nachvollziehbar in unseren täglichen Erlebnissen und Begegnungen. Die entscheidende Frage ist daher, wie man mit diesen Schwächen umgeht. Es beginnt mit der Einsicht, dass Schwächen unvermeidlich sind, wie Drucker deutlich feststellt (Drucker, 1967, S. 72):
Die Vorstellung, dass es ›abgerundete‹ Menschen gibt, Menschen, die nur Stärken und keine Schwächen haben (…), ist ein Rezept für Mittelmäßigkeit, wenn nicht gar für Inkompetenz. Starke Menschen haben immer auch starke Schwächen.
Die Fokussierung auf unsere Defizite führt fast zwangsläufig dazu, dass Stärken verkümmern und nicht vollständig genutzt werden, während die Schwächen höchstens bis zum Mittelmaß ausgebaut werden. Das Ergebnis ist dann tatsächlich ein rundgeschliffenes Profil ohne große Tiefen – aber auch ohne große Höhen. Die Aufgabe einer guten Organisation ist es daher, Stärken zu stärken und klug einzusetzen: »Die Aufgabe der Organisation besteht darin, die Stärken jedes Einzelnen als Baustein für eine gemeinsame Leistung zu nutzen.« (Drucker, 1967, S. 71)
Die individuellen Schwächen müssen für die optimale Leistung der Organisation natürlich ausgeglichen werden, aber eben nicht nur individuell, als privates, lokales Optimum, sondern im Teams oder der Abteilung. Bei einem Orchester würde auch niemand auf die Idee kommen, dem Tuba-Spieler eine Schwäche beim Geigenspiel zu attestieren und ihm auftragen, im nächsten Jahr daran zu arbeiten.
Lasst uns nächstes Jahr Stärken zur Exzellenz ausbauen und Schwächen organisatorisch irrelevant machen, anstatt Menschen auf Mittelmaß rundzuschleifen.
In diesem Sinne, mit dem geflügelten Wort von Oscar Wilde in eine selbstbewusste Woche: »Sei du selbst, denn alle anderen gibt es schon!«
Marcus
Literatur
Drucker, P. F. (1967). The effective executive: The definitive guide to getting the right things done (repr.). Harper.
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