Romantische Anziehung in Zeiten des Patriarchats
Bei der Partnerwahl vermischen sich biologische und kulturelle Einflüsse – Zeit, aufzuräumen
Ich habe in meinem Buch "Female Choice - Vom Anfang und Ende der männlichen Zivilisation" (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) die These formuliert, dass mit wachsender Unabhängigkeit der Frauen immer mehr Männer keine Partnerin finden würden, und wann immer diese These in Interviews oder Berichten herausgegriffen wird, bekomme ich eine Reaktion: "Wenn immer mehr Männer alleine bleiben, bleiben doch auch mehr Frauen allein".
Wenn wir als Angehörige westlicher Industrienationen das Wort Partnerwahl hören, denken wir mit großer Wahrscheinlichkeit an eine monogame Liebesbeziehung, womöglich sogar an eine, die ein Leben lang hält. Im globalen Norden sowie in Südamerika ist Polygamie per Gesetz verboten – eine Person, die mehrere andere heiraten möchte, würde sich damit strafbar machen. Da sich das Polygamieverbot nur auf die Eheschließung, also die Anerkennung der Beziehung durch den Staat, beschränkt, bleibt allen Menschen natürlich unbenommen, unverheiratet so viele Partnerinnen und Partner zu haben wie sie verkraften können. Doch das monogame Zusammenleben ist das seit Jahrhunderten, vielleicht sogar Jahrtausenden, vorherrschende Partnerschaftsmodell.
Aus dieser Prägung heraus erscheint es geradezu zwangsläufig, das auf jeden Mann, der ohne Partnerin lebt, auch eine Frau kommt, die Single bleibt.
Und weil das ein wunderschönes Beispiel dafür ist, wie tief patriarchale Strukturen in unserem Denken verankert sind, drösele ich jetzt mal auf, warum diese Reaktion falsch ist.
Und ist dieses Patriarchat jetzt hier bei uns im Raum?
Patriarchale Strukturen zu erkennen, ist nicht immer leicht. Die patriarchale, von Männern für Männer gemachte Zivilisation ist die einzige, die wir kennen, und folglich empfinden wir alle Gegebenheiten um uns herum, die Organisation der Gesellschaft, als normal. Und normal bedeutet immer auch natürlich. Alternativlos. Selbstverständlich.
Wir hinterfragen die Existenz von Lohnarbeit, Religion, Familie und Privathaushalt nicht, weil das alles so tief in uns verankert ist, dass wir nicht auf die Idee kommen, diese Dinge könnten patriarchale Strukturen sein. Und mehr noch: Wir hinterfragen sie nicht nur nicht, sondern entwickeln selbst den Wunsch, in diesen patriarchalen Strukturen zu leben. Wir streben nach Macht und Besitz, wollen Karriere machen – und sehnen uns nach der romantischen Zweierbeziehung, die möglichst lange, am besten ein Leben lang halten soll. Ich nenne diese Blindheit für die Einseitigkeit der Welt die männliche Brille. Wir betrachten alles um uns her durch eine männliche Perspektive und richten daran unsere eigenen Leben aus.
(Lebenslange) Monogamie ist patriarchal
Bei dem Wort Beziehung oder Partnerschaft denken wir vermutlich als erstes an Verliebtheit. An ein geteiltes Leben, geteilte Verantwortung, an Geborgenheit, an Sex. Eine klassische romantische Zweierbeiehung.
Doch bis vor wenigen Jahrzehnten sah das noch anders aus. Es waren vor allem wirtschaftliche Zwänge, die Frauen in die Ehe trieben. Es war "normal", dass eine junge Frau sich für immer an einen Versorger bindet und Kinder bekommt. Und noch etwas früher waren die Ehen oft von den Eltern der Braut (zum Teil auch des Bräutigams) arrangiert. Sie suchten den Partner nach wirtschaftlichen und Machtinteressen aus, die Tochter hatte kaum Mitspracherecht. Eine Verbindung ohne Romantik war also weitgehend normal.
Ich bin der Überzeugung, dass die sesshafte Zivilisation diese monogame Beziehungsform brauchte, um soziale Spannungen aufgrund hoher Sexualkonkurrenz unter Männern zu lindern und so das friedliche Zusammenleben an einem Ort zu ermöglichen. Das prä-sesshafte Paarungssystem des Menschen war das gleiche wie das der meisten Säugetiere, die female choice, bei der die Weibchen den Zugang zu Sex kontrollieren. Allein dadurch, dass sie nur während ihrer Ovulation paarungsbereit sind und das auch nur bei den prachtvollen Männchen, deren Erscheinung und Fähigkeiten überlebensfähigen Nachwuchs versprechen. Ein Großteil der Männchen (und Männer) bleibt dabei ohne Partnerin, was mit einer hohen Frustration einhergeht.
Die Form des Zusammenlebens zugunsten der Gemeinschaft zu verändern, ist natürlich noch nicht patriarchal. Wenn man sich aber vor Augen führt, dass Frauen in diese Beziehungsform gedrängt wurden, weil Männer den ganzen Besitz für sich beanspruchten, das Land, den Acker, das Vieh, das Haus, und Frauen verboten, diese Dinge zu besitzen, dass also Frauen schlicht keine Wahl hatten, als sich zu fügen, sieht das schon anders aus. Und wenn man bedenkt, dass die Ehe als Zwangsverheiratung minderjähriger Töchter durch die Väter eingeführt wurde, erst recht.
Die (lebenslange) Monogamie entstand nicht, indem sich die Geschlechter an einen runden Tisch gesetzt und gemeinsam überlegt haben, was das Beste ist. Sie entstand auch nicht als Handel, von dem beide – der Mann und die Frau – etwas haben, wie immer wieder behauptet wird. Sie entstand, weil Frauen in die Besitzlosigkeit und damit zur 100%-igen Abhängigkeit vom Mann gezwungen und junge Mädchen von ihren Vätern entrechtet wurden. Männer verteilten sie als Paarungsmaterial unter sich neu. Der Tag der Hochzeit war für Frauen und Mädchen deshalb ein essentielles Datum, weil er bedeutete, dass sie ab dann in (wirtschaftlicher) Sicherheit war und eine Schwangerschaft nicht Armut, Ehrverlust und Elend bedeutete.
Seit Anbeginn der sesshaften Lebensweise sind Frauen die Verliererinnen dieser Lebensweise. Sie mussten sich nicht nur mit Männern fortpflanzen, die sie sich nicht selbst ausgesucht hatten, sondern sie mussten diesen Männern auch dauerhaft und unabhängig von ihrer Zyklusphase sexuell zur Verfügung stehen. Statt hauptsächlich um den Eisprung herum Interesse an Sex zu zeigen, mussten sie jetzt jeden Tag bereit sein, mit ihrem Ehemann Sex zu haben, ob sie ihn nun begehrten oder nicht. Das ist nicht nur eine institutionalisierte Vergewaltigung der Frau, sondern auch eine vollständige Verformung der weiblichen Sexualität, die bis heute anhält.
Aber die Liebe!
Die belgische Psychotherapeutin Esther Perel sagte einmal: "Früher suchten die Menschen außerhalb ihrer Ehe nach der Liebe, heute suchen sie sie in der Beziehung."
Unser Herangehen an Beziehungen hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts sehr verändert. Zumindest in wohlhabenden, gebildeten Ländern geht es dabei nicht mehr um sexuelle Grundversorgung der Männer oder wirtschaftliche Absicherung der Frau, sondern um eine Art persönlicher Erfüllung.
Seitdem Feminismus und Pille Frauen wirtschaftlich unabhängiger gemacht haben, sind Beziehungen sicher authentischer geworden. Die Frauen tun sich nicht mehr aus Not mit den Männern zusammen oder weil ihre Väter das so verfügt haben, sondern weil sie verliebt sind. Sind sie nicht mehr verliebt, trennen sie sich eher als früher. Was ich für eine sehr, sehr gute Entwicklung halte.
Aber die kulturellen Ideen und Konstrukte rund um Partnerschaften sind deshalb nicht weniger geworden. Im Gegenteil. Die Freiwilligkeit und damit sinkende Eheschließungen machten es nötig, andere Gründe zu finden, Menschen in Beziehungen zu halten. Das klingt ein bisschen nach Verschwörung, nach "die da oben", aber es ist vielmehr ein Druck, der aus uns, aus der Gesellschaft herauskommt.
Auch wenn wir akzeptieren, dass die meisten Beziehungen nicht für immer halten, ist der Wunsch in uns dennoch ein anderer. Und dieser Wunsch wird von Medien, Werbung, Musik, Film, eigentlich von allem aufgegriffen, was wir so an kulturellen "Gütern" erschaffen haben. Liebe und Romantik sind natürlich nicht erst im 20. Jahrhundert entstanden, aber sie haben sich auch dank technischer Fortschritte seitdem tiefer in die Köpfe eingegraben als jemals zuvor. Überall sieht man monogam lebende Pärchen, die glücklich Hand in Hand in den Sonnenuntergang wandern. Bis vor kurzem beinhaltete jeder anständige Disneyfilm eine monogame Romantik-Erzählung. Alle Märchen endeten auf "...und sie lebten glücklich bis an ihr Ende". Selbst kleinste Kinder sogen die Idee von der lebenslangen Romantik quasi mit der Muttermilch auf.
Der Tag der Hochzeit wird bis heute als schönster Tag im Leben einer Frau verbrämt und entsprechend riesig ist das Tamtam, das vor allem Frauen um die Planung ihrer Eheschließung machen. Verlobungsring, Kleid, "bridal Make-up", Geschenke, Größe der Veranstaltung – alles ist extrem wichtig.
Macht das die Partnerschaft weniger patriarchal? In meinen Augen nicht.
Erlernte Wünsche, wie der nach einer monogamen Partnerschaft, sind ebenso Folge patriarchaler Prägung wie misogyne Frauendarstellungen, eine gewisse Keuschheitserwartung an Frauen (Stichwort: "body count") oder die Tatsache, dass männliche Sexualstraftäter oft empörend glimpflich davon kommen. Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit sind die meisten von uns in einer monogamen Familie aufgewachsen mit entsprechend großer emotionaler Fixierung auf eine Mutter und einen Vater. Diese emotionale Fixierung tragen wir bis ins Erwachsenenalter mit uns herum, das, was wir von unseren Eltern bekommen oder auch nicht bekommen haben, fließt in unsere späteren Beziehungswünsche ein. Und wir pressen uns dabei in ein System, das kaum zu unserer sexuellen Natur passt.
Worüber reden wir hier?
Wenn mir also jemand entgegnet, es müssten auch mehr Frauen Single bleiben, wenn mehr Männer Single bleiben, dann hat er vor allem die kulturellen Ideen im Kopf, die aber mit der Art von Partnerschaft, über die ich spreche, nur eingeschränkt etwas zu tun haben. Wenn ich über Partnerschaften spreche, dann meine ich etwas, das seine Wurzeln in unseren Genen hat – eine Anziehung, die soweit wie möglich von ihrer kulturellen Aufladung befreit ist.
Um diesen Unterschied deutlich zu machen, spreche ich oft von SexpartnerInnen, denn "biologische" Anziehung, das heißt Anziehung, die nicht von siebzehn Schrilliarden kulturellen Ideen überlagert wird, beinhaltet nach meinem Verständnis auch immer die intrinsische Motivation zu sexueller Interaktion – vor allem bei den Frauen. Doch dann bekomme ich oft den Einwand zu hören, dass es auch Männern nicht nur um Sex geht.
Das ist zwar wahr und richtig, aber über die sexuelle Komponente hinaus ist die "biologische" Anziehung kaum zu definieren.
Es gibt zwar Hinweise auf die "natürliche" Form des sexuellen Zusammenlebens der Menschen, aber diese sagt natürlich nichts darüber aus, was im Inneren der beteiligten Personen vor sich ging. War ihr Umgang miteinander in dieser "natürlichen" Form liebevoll oder gleichgültig? Worüber haben sie gesprochen? Haben sie einander Trost gespendet? Haben sie so etwas wie Glück miteinander empfunden? Waren sie emotional überhaupt schon so weit entwickelt, solche Gefühle zu haben? Das kann ich nicht sagen.
Sicher scheint mir nur, dass diese "natürliche" Beziehungsform im Einklang mit der menschlichen und hier vor allem der weiblichen Sexualität ist. Und nach Jahrtausenden der Unterdrückung und Verformung der weiblichen Sexualität halte ich einen Wandel hin zu diesbezüglich wahrhaftigeren Beziehungsformen für richtig und notwendig.
Die Anzahl der Anführungszeichen in diesem letzten Abschnitt zeigt übrigens an, wie sehr mir selbst die Schwierigkeit, kulturell geprägte von genetisch geprägte Verpartnerungen zu unterscheiden, bewusst ist. "Natürlich" bedeutet nicht automatisch für die Gemeinschaft besser. "Biologisch" meint nicht automatisch gerecht.
Geschlechtliches Zusammenleben ist und bleibt komplex. Vieles gilt es bei dem gesellschaftlichen Wandel, indem wir stecken, zu berücksichtigen. Aber dass wir bei dieser Berücksichtigung patriarchale Prägung von evolutionär Entstandenem trennen müssen, erscheint mir geradezu zwingend.
Fangen wir doch einfach bei unserem Verständnis der heterosexuellen Zweierbeziehung an, die keineswegs alternativlos ist. Weshalb eben mehr Männer ohne Partnerin sein können, ohne dass zwangsläufig auch mehr Frauen ohne Partner sind.
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(Teaserbild von rawpixel (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre))