„Musik ist der Grund, morgens aufzuwachen“
Ein Gespräch mit der Geigerin Katerina Chatzinikolau
Die Szenerie ist ungewöhnlich. Eine Geigerin, gewandet in eine wunderschöne blaue Robe, spielt in einem Museum. Ist das nicht Beethoven? Der hat doch nichts für Solovioline geschrieben? Nein: Katerina Chatzinikolau spielt ihre Bearbeitung des letzten Satzes von Beethovens 9. Sinfonie. Das sind fünf Minuten nahezu unspielbarer Musik – Beethoven brauchte schließlich ein Orchester mit großem Chor und Solisten. Aber was die Musikerin hier vorstellt, ist kein virtuoses Bravourstück, sondern eine Liebeserklärung an den Komponisten. Und, nicht zuletzt, eine Bekräftigung der „Ode an die Freude“ – die hat von ihrer Aktualität nichts eingebüßt. Wir haben uns digital zu einem Gespräch verabredet.
Fbt: Was hat Dich auf die Idee gebracht, diese Musik für Violine zu arrangieren?
KC: Generell bin ich ein totaler Fan von Beethoven und war es schon immer. Seine Musik reißt einfach mit. Im Vergleich zu Mozart ist er der Revolutionär. Man hat immer das Gefühl: Der will mir gerade etwas sagen.
Will das Mozart nicht?
KC: Mozarts Musik ist voll von Überraschungen, das stimmt. Beethovens Musik lebt von den krassen Gegensätzen, die er ganz bewusst macht. Das gilt nicht nur für die 9. Sinfonie, sondern auch seine Klaviersonaten, die Quartette. Überall hört man nie einfach so die Musik im Hintergrund plätschern. Mozart hat viele Divertimenti, viel Unterhaltungsmusik geschrieben, aber Beethoven war eigentlich nie daran interessiert, die Leute mit seiner Musik zu unterhalten. Alle Werke, die uns von ihm geblieben sind, haben immer eine Aussagekraft. Und ich glaube, er hat auch nie „für die Leute“ geschrieben. Er hat geschrieben, wovon er überzeugt war, ob es den Leuten damals passte, oder nicht. Das kriegt man einfach mit, wenn man seine Musik hört, auch heute.
Du hast sicherlich recht mit Deiner Beethoven-Chrarakterisierung. Wenn ich mir nun den vierten Satz seiner Neunten anhöre, finde ich diese unglaublichen Rezitative der Kontrabässe in der Einleitung des vierten Satzes. Steht Beethoven an der Schwelle zur Moderne?
Er hat immer versucht, seine musikalischen Grenzen zu sprengen. Er wollte nie irgend jemand zufrieden stellen. Um gehört zu werden, musste er extrem radikal sein.
… er konnte ja selbst nicht hören, was er da schrieb….
… aber er hat es in seinem Kopf gehört. Als tauber Menschen wusste er nicht, was die Leute über ihn sagen, er bekam kein Feedback -und wahrscheinlich war er auch nicht interessiert daran. Er war so abgeschottet, hat „sein Ding gemacht“ und in seiner eigenen Welt gelebt und war überzeugt von dem, was er tat.
Vielleicht bliebt ihm ja auch nichts anderes übrig? Die Alternative wäre gewesen, in die Donau zu springen …
… wahrscheinlich, tatsächlich! Was für mich als Geigerin interessant war: Als ich an das Stück heranging, musste ich (ja) (auslassen) die Partitur studieren. Was genau passiert da eigentlich in jedem einzelnen Instrument? Ich kann als Geigerin im Orchester meine Stimme spielen, aber was machen die anderen gerade? Wer spielt das Thema noch einmal, vielleicht nur ein wenig versetzt? Das ist für mich das Interessante, warum ich diese Arrangements schreibe: Ich lerne die Musik viel besser kennen. Die Herausforderung ist, von den wesentlichen Stimmen eine „Essenz“ zu sammeln und zu schauen, was auf meinemInstrument möglich ist und gut klingt. Die ganze Sinfonie dauert über 70 Minuten, allein der vierte Satz knapp eine halbe Stunde. Ich habe den Satz in fünf Minuten gepackt.
Wie erklärst Du Dir, dass diese so komplexe Sinfonie zu den bekanntesten Werken Beethovens gehört? „Freude schöner Götterfunken“ kennen auch Leute, die mit klassischer Musik gar nichts zu tun haben…
Es ist bekanntlich die Europa-Hymne, aber zugleich auch eine Hymne an die menschliche Einigkeit, an die Brüderlichkeit. Und die Melodie ist leicht einprägsam; ich glaube, es ist ein Ohrwurm, man kommt nicht darüber hinweg. Musikalisch gesehen hat die dramatische Einleitung hat ja eigentlich gar nichts mit dem zu tun, was danach kommt. Und dann der Bass: „Ach Freunde, nicht diese Töne…“. Wir wissen heute, dass Beethoven erst an dieser Stelle eine andere Zeile nutzen wollte…
Dann baut sich das Stück langsam auf, und nach 18 Minuten setzt erst der Chor ein. Das ist der Höhepunkt der ganzen Sinfonie.
Wir haben darüber gesprochen, dass Beethoven wegen seiner Krankheit unglaublich einsam war. Aber andererseits vertont er ein Gedicht, dass sich mit Freundschaft beschäftigt: „Alle Menschen werden Brüder…“ Wie interpretierst Du das, war das ein Akt der Verzweiflung, ein Hilferuf? Oder wäre es seine Überzeugung, wenn er nicht ertaubt gewesen wäre…
Ich glaube, dass Beethoven immer nach jemandem suchte, der ihn verstanden hat. Aber er wurde oft – oder meistens - nicht verstanden. Er suchte jemanden, der die Welt so sieht, wie er sie sieht. Er lebte in einer verrückten Zeit (wie wir heute auch): Auf einmal wurde alles auf den Kopf gestellt, die Könige sind gefallen, Revolution in Frankreich, Napoleon (dem Beethoven zunächst seine Eroica gewidmet hatte). Er war von Regierenden umgeben, die eigentlich nicht fähig waren, zu regieren. Beethoven wollte in seiner Gesellschaft leben, wie wir es heute tun oder es uns wünschen. Leben in Freiheit, würdevolle Behandlung, das ist auch nicht selbstverständlich. Wir leben glücklicherweise in einem Land, wo wir noch unsere Rechte als Menschen haben, egal, aus welchem Land wir kommen. Stände wie heute noch in Indien gibt es hier nicht.
Oder denke an die Bewegung „Black lives matter“, deren Anfänge bei Martin Luther King und früher liegen.Es ist alles ein Schrei nach Freiheit, nach Gleichberechtigung und nach der Würde des Menschen.
Es gibt einen Brief Beethovens von einer Konzertreise in Russland. Er schrieb an seinen Freund:„Wann wird die Zeit kommen, wo Menschen endlich als Menschen behandelt werden? Diese Zeit werden wir wahrscheinlich niemals erleben.“ . Heute haben wir das Glück, in einer Gesellschaft zu leben, in der die Unantastbarkeit der Menschenwürde laut Gesetz an erster Stelle steht. Dennoch müssen wir auch immer wieder dafür kämpfen. Es ist keine Garantie und keine Selbstverständlichkeit, in einer demokratischen Gesellschaft zu leben. Wir dürfen uns nicht auf diesen Lorbeeren ausruhen.
Wir können als Kreative, als Menschen, immer nach unseren Werten leben: eine Kultur des Friedens. Das hat ja auch Beethoven gemacht, hat seine Werte in Musik gebracht.
Wenn ein Außerirdischer zu uns käme und fragt „Was habt Ihr Menschen überhaupt zu sagen? Was habt Ihr geschafft?“ Beethovens Neunte wäre das Paradebeispiel für die menschliche Zivilisation und wofür wir stehen; das ist, was uns von anderen Lebewesen unterscheidet.
Der Philosoph Helmuth Plessner hat, wenn ich mich richtig erinnere, Mensch und Tier so unterschieden Tiere haben Bewusstsein, der Mensch hat Selbstbewusstsein. Der Mensch weiß von sich, dass er eine Persönlichkeit ist. Dazu gehört eben mehr, als morgens zur Arbeit zu gehen und abends wieder zu kommen; also nur zu funktionieren.
Ja! Das ist ja, was uns eigentlich auch am Leben hält. Wir kreativen Menschen schöpfen auch unsere Energie daraus. Und wir geben es weiter. Das braucht die Menschheit.
…. das ist systemrelevant….
Das ist absolut systemrelevant! Ich habe kürzlich mit einem Freund, den ich auf der Straße traf, diskutiert. Er sagte, dass er Musik und Poesie liebt, es sei aber nicht systemrelevant. Moment, wo holst Du Dir das gerade her? Habe ich ihn gefragt. Erklär’ mir, was systemrelevant ist. Die Autoindustrie? Ist es relevant, in großen Häusern zu leben und ein schönes Auto zu haben, um zu sagen: Ich bin ein Mensch? Oder was genau zeichnet Dich aus? Wir Menschen brauchen erst mal die „Basics“, um überhaupt leben zu können; schön und gut. Und was kommt direkt danach? Meiner Meinung nach die Frage nach dem Sinn des Lebens, die Philosophie und die Schönen Künste. Sie geben dem Menschen einen Einblick in die Welt der „unsichtbaren“ Dinge dieses Lebens.
Gehen wir ein bisschen zurück: Kannst Du in einen Satz fassen, was Musik für Dich ist?
Das ist schwierig! (lacht)Es ist der Grund, morgens aufzuwachen. Es gibt meinem Leben einen Sinn, die Energie, aufzustehen und zu wissen: Ich habe eine Aufgabe. Nicht: Ich muss aufstehen, weil ich sonst von meinem Chef eins auf den Deckel kriege, weil ich zu spät komme. Das ist für mich auch der Unterschied zwischen „Dienst“ und künstlerischer Arbeit.
Danke für dieses Gespräch!
Katerina Chatzinikolau hat in Düsseldorf und Köln Geige und außerdem Musikwissenschaft studiert. Derzeit ist sie dritte Konzertmeisterin bei den Duisburger Philharmonikern und vielfältig als Solistin und Kammermusikerin unterwegs. Ihre Version der Ode an die Freude ist auf (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)Youtube (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)zu finden.