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Prostitution in Irland

Vom Ende des Sex-Handels

Mia Döring ist eine Dubliner Therapeutin und Autorin und will das Ende des Sex-Handels* in Irland erreichen – am liebsten auf der ganzen Welt. Zuletzt hat sie über ihre Erfahrungen zu dem Thema das Buch „Any Girl“ geschrieben. Ein Porträt.

Von Mareike Graepel, Dublin  

Einer von 15 Männern (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) in Irland hat einer Ruhama (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)-Umfrage zufolge bereits mindestens ein Mal in seinem Leben eine Frau für Sex bezahlt. So wie mutmaßlich der Mann, der mit der Rumänin Geila Abram Sex hatte, bevor er sie tötete. In den ersten Wochen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) des Jahres 2023 töteten Männer auf der Grünen Insel im Schnitt alle sieben Tage eine Frau, weltweit starben in den vergangenen zehn Jahren 850.000 Frauen – in etwa die Einwohner*innenzahl von Amsterdam – an einem Femizid. Wie das zusammenhängt?

„Es gibt einen gemeinsamen Nenner: männliche Macht über Frauen“, erklärt Mia Döring. Die 39-Jährige ist in Dublin aufgewachsen und als Trauma-Therapeutin tätig. Ihr Vater ist Deutscher – daher der Name – aber sie spricht die Sprache nur „sehr wenig“. Ihr Lieblingswort sei „Verschnaufpause“, erklärt sie, um dann genau null Pausen einzulegen. „Das muss aufhören“, sagt sie und meint damit alle eingangs genannten Fakten. 

„Wir müssen viel früher ansetzen – bereits bei der Sprache. Es muss heißen: ‚Mann vergewaltigt Frau‘. Und nicht ‚Frau wurde vergewaltigt’ ohne aktives, handelndes Subjekt im Satz.“ Und noch früher, wenn es an die Darstellung der Frauen und Meinungen der Männer auf Websites wie „Escort Ireland (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)“ gehe. Tag für Tag bewerten Iren Frauen – in vielen Fällen Nicht-Irinnen – im Internet auf einschlägigen Buchungsseiten nach ihren sexuellen Leistungen, ihrem Körper, ihrer Unterwürfigkeit.

„Die Freier haben wissentlich Sex mit traumatisierten Frauen, können Sterne für die Leistung vergeben, sie bewerten wie Produkte, sagen, wie akkurat die Fotos waren, wie hoch der Grad der Befriedigung, wie die körperliche Erscheinung der Frau war und ob sie finden, dass sie genug Leistung für ihr Geld bekommen haben.“ Mia Döring schaudert es, weil sie das an sich schon abstoßend findet. Aber auch, weil sie aus Erfahrung weiß, dass Männer in vielen Fällen glauben, mit Geld jedes Recht selbst auf nicht abgesprochene Praktiken oder Gewalt erworben zu haben.

Eigene Vergewaltigung heruntergespielt

In ihrer Autobiographie „Any Girl“ schreibt sie darüber, wie sie als Studentin Sex mit Fremden hatte, die sie dafür bezahlten, und wie es dazu kam. „Ich hatte ein normales Leben, Mittelschicht, liebevolle Familie. Aber meine normale Kindheit war vorbei, als ich mit 16 Jahren vergewaltigt wurde, von einem Jungen, der mit meinen Freunden und mir im Park war. Wir küssten uns, bevor ich ein wenig einnickte. Als ich aufwachte, hat er mich vergewaltigt.“ Sie hat ihn nicht angezeigt, niemandem etwas davon erzählt, und es auch vor sich selbst heruntergespielt. „Ich habe versucht zu ignorieren, was passiert war.“

Kurze Zeit später amüsierten Döring und ihre Freund*innen sich über Kontaktanzeigen, die Männer im hinteren Teil eines lokalen Magazins aufgegeben hatten, weil sie Sex haben wollten. „Ich beschloss, einigen heimlich eine SMS zu schreiben. Das war erst dummes Teenagerverhalten, das eigentlich harmlos hätte sein sollen, aber ein Mann antwortete.“ In ihrem Buch nennt sie ihn nur „J“. Über ein Jahr tauschten sie Textnachrichten mit sexuellem Inhalt aus, trafen sich aber erstmal nicht. „Die Heimlichkeit und die Aufmerksamkeit waren aufregend – ich hatte keine Ahnung, dass er mich ‚heranzog‘, ‚groomte‘.“ Als er sie zu Hause besuchte, schlug er sie, missbrauchte sie – und bezahlte sie dafür. „Auf eine seltsame Art und Weise gab mir das Geld das Gefühl, wertgeschätzt und gewollt zu sein“, erinnert sich Döhring.

Nach etwa drei Jahren lud er dann auch einen „Freund“ ein. Mia Döring bemerkte, dass sie in der Lage war, dieses Maß an Gewalt zu ertragen. Dass es ein Job war, den sie machen konnte. Sie schaltete Anzeigen auf Websites, wann immer sie Geld brauchte. Das sei nicht „feministisch und stark“ gewesen, wie manche Menschen ihr gegenüber Prostitution schon beschrieben hätten. „Mir ist sehr bewusst, dass das selbstverletzendes Verhalten war“. Ihre Freiheit lag darin, Nachrichten von Freiern zu beantworten und Anrufe entgegenzunehmen. Außerdem hatte sie keinen Zuhälter.

Die meisten Prostituierten aus Lateinamerika und Osteuropa

Dabei werden 94 Prozent derjenigen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), die in Irland der Prostitution nachgehen, laut einer Studie des Forschungsprogramms zur sexuellen Ausbeutung (SERP) dazu gezwungen. Ruth Breslin, wissenschaftliche Mitarbeiterin, erklärt: „In der Studie werden im Schnitt 26 Nationalitäten genannt, aber 2021 haben Frauen aus 56 verschiedenen Nationalitäten (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) an vorderster Front zu tun gehabt.“ Das heißt, es gab eine Verdopplung, als die Corona-Pandemie besonders akut war. Die meisten in der Branche stammen aus Lateinamerika, vor allem Brasilien, und Mittel- und Osteuropa, vor allem Rumänien.

Es gibt geschätzt 110.000 Sex-Käufer pro Jahr in Irland, denen gegenüber zu jeder Zeit etwas mehr als 1.000 Frauen stehen. Zum Vergleich: In Deutschland sind laut Statistischem Bundesamt (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) knapp 24.000 Prostituierte bei Behörden gemeldet, die Dunkelziffer (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) liegt um ein Vielfaches höher. Die Anzahl der deutschen Freier ist nicht zu ermitteln, Schätzungen gehen in die Millionen.

„Einige der Frauen sind sehr mobil, sie ziehen in ganz Europa um oder werden zum Zweck der Prostitution umgesiedelt“, sagt Ruth Breslin. „Gegenwärtig werden an einem normalen Tag mehr als 700 Frauen auf einer einzigen Website für Prostitutionsanzeigen inseriert, die von Sex-Käufern in Irland hauptsächlich genutzt wird.“ Viele dieser Frauen schreiben diese Anzeigen nicht selbst, aber es ist schwer, die Zuhälter zu identifizieren.

Mia Döring erklärt: „Oft sind die Freier überrascht, dass die Frauen wenig oder kein Englisch sprechen, haben aber schon an der Tür bezahlt und wollen dann, was sie glauben, das ihnen zusteht.“ Ob es das ist, womit die Frauen rechnen ist meist irrelevant. Dabei schauen Vermieter*innen oft wissentlich weg, erzählt Döring. „Die horrenden Preise auf dem irischen Immobilienmarkt werden ohne Murren bezahlt, das allein zählt. Was in den Wohnungen dann passiert, nicht.“

Der Durchschnittsfreier ist der Durchschnittsmann

Der Verkauf von sexuellen Dienstleistungen ist in Irland legal. Es ist aber verboten, sexuelle Dienstleistungen zu kaufen oder anzubieten, ein Bordell zu betreiben oder jemanden zu zwingen, sexuelle Dienstleistungen zu verkaufen und daraus Profit zu schlagen. „Wenn die Polizei Freier und Zuhälter festnimmt, werden diese Männer oft geschützt und nicht namentlich genannt“, so Döring. Frauen, die sich nicht ans Gesetz hielten, würden hingegen öffentlich an den Pranger gestellt. 

Der mutmaßliche Mörder der jungen Rumänin Geila Ibram steht derzeit in Belfast vor Gericht. Er hatte mit ihr im Vorfeld des Zusammentreffens eine „Vereinbarung eines sexuellen Austauschs“ getroffen. Als er nach dem Treffen die von ihr genannte Adresse verließ, ließ er das Opfer mit zahlreichen Stichen in den Nacken, das Gesicht und den Unterleib zurück. Das Gericht bezeichnete die Tat als einen „bösartigen und rasenden Angriff“.

„Geila Ibram hätte nicht sterben müssen. Die, die unser Gesetz unterstützen, das den Kauf von Sex unter Strafe stellt, sagen natürlich zu Recht, dass ihr Tod ein Beweis dafür ist, dass das Sexgewerbe von Natur aus gewalttätig ist. Das stimmt“, erklärt Mia Döring wütend. Sie selbst hat mehr als ein Mal erfahren, was Männer machen, sobald sie Geld für Sex bezahlen – oftmals Dinge, die sie mit ihrer Partnerin nicht machen würden.

„Je näher ich kam, desto mehr konnte ich ihn riechen – als ob er sich seit Tagen nicht gewaschen hätte. Er schnallte seinen Gürtel für den Oralsex ab, für den er mich gebucht hatte, und ich versuchte, meinen Ekel zu verbergen, weil ich Angst hatte, was passieren würde, wenn ich einen Rückzieher machen würde. Plötzlich schlug er mir hart ins Gesicht und versuchte, mich zu vergewaltigen. Ich wehrte mich, aber er zog mich so fest an den Haaren, ich bekam keine Luft mehr, und dann zwang er sich auf mich. Hinterher saß ich in meinem Auto und war wie betäubt. Wie war ich hier gelandet?“ (Auszug aus: „Any Girl“, Hachette Books Ireland, nur auf Englisch erhältlich)

Nach dieser Erfahrung ist für sie Schluss. Sie ist zu dem Zeitpunkt 24 Jahre alt. Im Buch beschreibt Mia Döring den Durchschnittsfreier – auch den gewaltbereiten – als nach außen hin wie einen Durchschnittsmann wirkend, dem man „das“ nicht zutrauen würde. Verheiratet, oftmals Vater, und nicht als den – Zitat – „einsamen, nach Liebe lechzenden Menschen, den sich viele gern vorstellen, wenn die Legalität von Prostitution diskutiert wird“.

Reden, Vorträge und eine Petition

Die, die eine völlige Entkriminalisierung der Prostitution wollen, behaupten, dass das wiederum Geilas Tod hätte verhindern können. Es sei ärgerlich, dass der Tod der jungen Rumänin für beide Argumente benutzt werde. Döring ist überzeugt, dass kein Gesetz der Welt das Sexgewerbe zu einem sicheren Ort für Frauen machen werde. Mia Döring setzt alles in ihrer Macht Stehende ein, um den Sex-Handel in Irland zu beenden. Es ist ihr egal, wenn andere diesen Plan für unrealistisch halten.

Sie hält Reden und Vorträge an Universitäten und in Schulen, in Präsenz und online wie kürzlich beim kanadischen Gipfel zur sexuellen Ausbeutung (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Sie organisiert eine Petition (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), mit der sie das Justizministerium (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) der irischen Regierung aufruft, einen Gesetzesplan umzusetzen, der jede Website, die Sex zum Verkauf anbietet, sperrt, insbesondere „Escort Ireland“. In ihrem Buch beschreibt sie ungeschönt – und ohne sich zu schonen – wie ungerecht und unfair der Handel mit Sex ist.

„Ich hatte erst große Angst, meiner Familie und meinen Freund*innen so explizit von meiner Geschichte zu erzählen.“ Aber der Wunsch, die Situation für andere Frauen zu beenden, war größer als ihre Angst. „Es gibt Frauen, die im Sex-Handel tätig sind und behaupten, Prostituierte könnten sich doch auch einen anderen Job suchen. Das stimmt nicht. Solche Aussagen normalisieren das Business auf gefährliche Weise.“

Mia Döring ist selbstverständlich klar, dass die Sex-Industrie auch in Irland ein millionenschweres Geschäft ist. „Aber die Freier denken, dass ihr Geld die Frau dafür entschädigt, was sie ihr antun.“ Das sei totaler Bullshit. Sie sieht es als Vergewaltigung, sobald die Frau psychologisch nicht gesund ist und das aus völlig freien Stücken tut, was ihrer Einschätzung nach sehr selten vorkommt. Und: Die Frau bekommt das Geld oft gar nicht – oder nur einen kleinen Teil davon.

Hinweis: In diesem Text wird so sensibel wie möglich mit den unterschiedlichen Begriffen Sex-Handel, Sex-Arbeit und Prostitution umgegangen. Manchmal sind die Hintergründe fließend und eine Einordnung ist nicht eindeutig möglich. An diesen Stellen haben wir versucht, den hoffentlich passendsten Begriff zu wählen. Mehr zum Thema gibt es bei den Kolleginnen von der Wochenzeitung DIE ZEIT. (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

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