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Warum du jetzt aufstehen und diesen Newsletter im Gehen lesen solltest

Jeden Freitag erzähle ich dir von Erkenntnissen aus Neurowissenschaft und Psychologie, die du kennen solltest. Heute: über die Macht von Stehschreibtischen und den Unsinn von Stillarbeit.

Ein Mann in Cartoon-Optik läuft von links nach rechts.

Bevor es losgeht: Morgen ist die erste Ausgabe dieses Newsletters exakt ein Jahr her! 🥳 Seitdem ist viel passiert: 40 Ausgaben habe ich geschrieben, übers Lernen, über Liebe, übers Erinnern, über Alkohol, über Neugier. Aus einer fixen Idee wurde ein preisgekrönter Newsletter. (Hier (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) findest du übrigens alle bisherigen Ausgaben.)

Weil Jubiläen gefeiert werden wollen und ich mich bei euch für eure Treue bedanken will, mache ich euch ein Angebot: An diesem Wochenende bekommt ihr die Mitgliedschaft 15 Prozent günstiger! Damit könnt ihr alle Ausgaben in voller Länge lesen und dafür sorgen, dass es diesen Newsletter auch weiterhin gibt. Das Angebot gilt bis Sonntagabend!

In der aktuellen Serie dreht sich alles um eine Erkenntnis: Denken findet nicht nur im Gehirn statt. Wer besser lernen, arbeiten und kommunizieren will, sollte wissen, wo noch.

Neuerdings stehe ich bei der Arbeit. Ich habe mir zwei Pappaufsteller auf den Schreibtisch gestellt, einen für die Tastatur und einen für den Bildschirm, damit ich im Stehen arbeiten kann. (Stehschreibtische haben wir in der Krautreporter-Redaktion leider nicht). Ich hatte so ein Gefühl, dass ich mich im Stehen besser konzentrieren kann und weil ich ungern nur »so ein Gefühl« habe, habe ich nach Forschung dazu gesucht. Und siehe da: Ich fühlte richtig.

Die ständigen kleinen Bewegungen, die wir im Stehen machen, indem wir unser Gewicht von einem Bein auf das andere verlagern und unsere Arme freier bewegen, werden von Forscher:innen als »Aktivität mit geringer Intensität« bezeichnet.

Untersuchungen haben ergeben, dass die Verwendung eines Stehpults mit einer Verbesserung der exekutiven Funktionen von Schüler:innen und Studierenden (der entscheidenden Fähigkeit zur Planung und Entscheidungsfindung) verbunden sind. Außerdem widmen sie sich den Aufgaben konzentrierter. Bei Erwachsenen hat sich gezeigt, dass die Arbeit an einem Stehpult die Produktivität steigert. Also: gern geschehen, Krautreporter.

Es ergibt keinen Sinn, sich nur in Pausen zu bewegen

Damit aber nicht genug. Heute geht es um den Zusammenhang zwischen Bewegen und Denken. Warum? Wir assoziieren Stille mit Beständigkeit, Ernsthaftigkeit und Fleiß. Wir glauben, dass es etwas Tugendhaftes hat, den Bewegungsdrang zu kontrollieren. Wenn es etwas zu tun gibt, wird sich nicht bewegt! Das ist nicht nur in Deutschland so, sondern in weiten Teilen der westlichen Welt. Denk mal zurück an deine Schulzeit. Wie viele Stunden hast du still auf deinem Platz verbracht, als es darum ging, etwas zu lernen? Eben: die meisten. Im Schnitt verbringen Kinder und Jugendliche 10,5 Stunden am Tag in der Sitzposition. Das hat das Institut für Sport und Sportwissenschaft der Uni Heidelberg in einer Umfrage (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) herausgefunden.

Dass sich Schüler:innen (den Sportunterricht ausgenommen) nur in den Pausen bewegen dürfen, ist aus Sicht der Hirnforschung schlichtweg schwachsinnig. Denken und Bewegen hängen eng miteinander zusammen. Dass wir meinen, die 45-Minuten-Denkeinheiten sollten am besten komplett ohne Bewegung stattfinden, zeigt vor allem: Wir haben nicht sonderlich viel Ahnung vom Denken.

Lehrkräfte sollten das Wort »Stillarbeit« aus ihrem Wortschatz streichen

Hier ein Beispiel, das zeigt, was ich meine. In dieser Studie untersuchten Radiolog:innen eine Reihe von Bildern, einerseits im Sitzen und andererseits beim Gehen auf einem Laufband mit einer Geschwindigkeit von einer Meile pro Stunde. Die teilnehmenden Ärzt:innen identifizierten insgesamt 1.582 bedenkliche Bereiche auf den Dias und stuften 459 davon als potenziell ernsthafte Risiken für die Gesundheit der Patient:innen ein. Hat man die Ergebnisse verglichen, die sie im Sitzen oder Stehen erzielten, kam heraus: Radiolog:innen, die sitzen blieben, erkannten im Durchschnitt 85 Prozent der Unregelmäßigkeiten auf den Bildern. Diejenigen, die liefen, haben im Durchschnitt 99 Prozent von ihnen identifiziert.

Noch ein Beispiel. Für eine 2018 veröffentlichte Studie baten Wissenschaftler:innen Gruppen von Freiwilligen, eine Reihe von Matheaufgaben im Kopf zu lösen, während sie entweder still standen, entspannt blieben, sich aber nicht wesentlich bewegten, oder sich leicht in einem rhythmischen Muster bewegten.

Die ganze Zeit über wurde die kognitive Belastung der Teilnehmer:innen mit einer Gehirnscanning-Technologie (fNIRS) gemessen. Die Ergebnisse: Die kognitive Belastung der Proband:innen nahm unter der Anweisung 'nicht bewegen' erheblich zu. Bezeichnenderweise steigerte der Befehl, stillzuhalten, die Hirnaktivität in demselben Bereich wie die Matheaufgaben: dem präfrontalen Kortex, der für die Ausführung intellektueller Aufgaben wie Rechnen und für die Kontrolle unserer Impulse zuständig ist. Von den drei Bedingungen führte die Aufforderung, still zu halten, zu den schlechtesten Leistungen.

Falls ihr Lehrer:in seid – vielleicht ist es Zeit, den Begriff »Stillarbeit« mal aus dem Wortschatz zu streichen.

Warum du jetzt aufstehen und im Gehen weiterlesen solltest

Das ist natürlich alles kein Zufall. Wenn wir uns körperlich betätigen, ist unser Sehsinn geschärft, insbesondere im Hinblick auf Reize, die in der Peripherie unseres Blickfelds erscheinen. Evolutionär ergibt das Sinn: Wenn wir unterwegs sind, müssen wir aufmerksamer sein, als wenn wir ruhig in unserer kleinen, dunklen Höhle sitzen (ich meine jetzt nicht Klassenräume).

Warum Bewegung so hilfreich beim Denken ist, ist noch nicht bis ins letzte Detail erforscht. Ein paar Ansätze gibt es aber: Es kommt zu einer verstärkten Durchblutung des Gehirns und zur Freisetzung einer Reihe von Neurotransmittern, die die Effizienz der Informationsübertragung im Gehirn erhöhen und das Wachstum von Neuronen fördern.

Schon lange hält sich der Mythos, dass es verschiedene Lerntypen gäbe. Wir würden entweder besser beim Lesen lernen oder beim Hören – je nach Typ. Dass das nicht stimmt, habe ich hier bereits erklärt. Richtig ist aber: Bewegung tut jedem Lernen gut. Unser Gedächtnis scheint für das, was wir getan haben, also für physische Handlungen, viel empfänglicher zu sein.

Bewegungen setzen einen Prozess in Gang, der als prozedurales Gedächtnis bezeichnet wird (Erinnerung daran, wie man etwas tut, z.B. wie man Fahrrad fährt) und sich vom deklarativen Gedächtnis (Erinnerung an Informationsinhalte, z.B. den Text einer Rede) unterscheidet. Wenn wir Bewegung mit Informationen verbinden, aktivieren wir beide Arten des Gedächtnisses, und unser Abruf ist infolgedessen genauer. Dieses Phänomen nennen Forscher:innen »Enactment-Effekt«.

In dieser Schule müssen die Schüler:innen nicht sitzenbleiben

Was passiert, wenn Schulen diese Erkenntnisse anwenden und ihre Schüler:innen sich viel mehr bewegen dürfen? Nicht nur in den Pausen, sondern auch während des Lernens? Nun: Erstaunliches.

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Sujet Wie das Gehirn lernt

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