Harnverlust beim Sport - Ursachen & Lösungsansätze
Hallo liebe Newsletter-Abonnentin, hallo du wunderbare Frau!
Im Rahmen der Welt-Kontinenz-Woche vom 17. - 23. Juni 2024 möchte ich heute meinen Beitrag zum Thema “Harnverlust beim Sport” schreiben. Und damit alle davon profitieren können, gibt es heute ausnahmsweise keine zusätzlichen Inhalte für zahlende Mitglieder.
Auch die Deutsche Kontinenz Gesellschaft verweist auf ihrer Internetseite (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) auf unzählige (kostenfreie) Veranstaltungen und schreibt: Das Thema Inkontinenz “…braucht gesellschaftliche Aufmerksamkeit. Inkontinenz ist kein unabwendbares Schicksal. Der unkontrollierte Harnverlust lässt sich medizinisch behandeln. Es gibt vielfältige Untersuchungs- und Therapiemöglichkeiten und auch durch Prävention und Früherkennung kann der Erkrankung entgegengewirkt werden.”
Viele Frauen sind von Blasenschwäche betroffen
Es gibt grundsätzlich unterschiedliche Arten von Inkontinenz (Harninkontinenz, Stuhlinkontinenz, Windinkontinenz). Auch kommen diese in unterschiedlichem Alter und jedem Geschlecht vor. Ich beziehe mich im meinem heutigen Beitrag auf die Zielgruppe der Frauen sowie die Harninkontinenz (Blasenschwäche / Urinabgang / Harnverlust), die den unwillkürlichen, das heißt unfreiwilligen, Verlust von Urin bezeichnet. Die Realität ist: Viele Frauen sind betroffen! Die meisten Studien berichten von einer Häufigkeit jeglicher Harninkontinenz im Bereich von 25-45%. Ab einem Alter von 40 Jahren ist etwa jede 4. Frau betroffen. Mit zunehmendem Alter steigt das Vorkommen.
Belastungsinkontinenz als häufigste Form
Innerhalb der Harninkontinenzen gibt es unterschiedliche Formen, z.B. Drang- / Reflex- / Überlaufinkontinenz. Die häufigste Form ist die Belastungsinkontinenz (früher auch “Stressinkontinenz” genannt), die dann auftritt, wenn körperlicher Druck auf die Blase bzw. den Blasenhals zu ungewolltem Urinverlust führt. Es gibt eine Einteilung in drei Schweregrade in Bezug zur Belastungsinkontinenz: Grad 1 = bei Husten, Niesen, Springen, ruckartigen Bewegungen oder Heben von (schweren) Gewichten, Grad 2 = Beim Gehen oder Aufstehen, Grad 3 = im Liegen.
Wieso kommt es überhaupt zu Harnverlust?
Man könnte vielleicht denken, dass da “einfach” der entsprechende Schließmuskel “zu schwach” ist. Tatsächlich sind es mehrere Systeme, die hier zusammenarbeiten und funktionieren müssen, um für die Kontinenz zu sorgen - egal ob im Alltag oder bei sportlicher Aktivität: die Qualität der faszialen Strukturen (Bindegewebe, Bänder, Sehnen, Muskel- und Organhüllen etc.) im Bereich des Beckenbodens (Elastizität, aber vor allem auch Steifigkeit sind relevant), die (Schnell-)Kraft, Koordination und Beweglichkeit der Beckenbodenmuskulatur und natürlich das Zusammenspiel zwischen Blase und den Schließmuskeln der Harnröhre. Das bedeutet, dass sich irgendetwas geändert hat, wenn es Urinverlust kommt.
Ursachen und mögliche Lösungsansätze
Gründe für diese Veränderung im Gesamtsystem gibt es viele:
Die faszialen Strukturen können durch Schwangerschaft, die Geburt eines Kindes oder genetische Voraussetzungen geschwächt bzw. stark gedehnt werden, so dass die benötigte Steifigkeit an der richtigen Stelle nicht mehr vorhanden ist. Auch verändert sich mit zunehmendem Alter das fasziale Gewebe (Verringerung des Wassergehalts / mehr fasziales Gewebe innerhalb der Muskulatur) und scheint damit dazu beizutragen, dass Frauen mit steigendem Alter häufiger betroffen sind. Auch eine mögliche Organsenkung, welche vorrangig durch geschwächtes Bindegewebe entsteht, kann mit dem Harnverlust in Verbindung stehen. Was kannst du tun? Das muskuläre und fasziale Beckenbodentraining kann helfen (übrigens ist ab September / Oktober 2024 unser 10-wöchiges Online-Programm “Faszientraining & Kräftigung für den Beckenboden” buchbar). Die Versorgung mit einem Pessar kann den Blasenhals stabilisieren und hier ebenfalls für Sicherheit und Verbesserung der Symptome sorgen. Man kann diesen auch nur für die sportliche Aktivität nutzen. Häufig kennen sich die / der Frauenärztin / Frauenarzt nicht ausreichend mit diesem Thema aus, aber sie können diese durchaus als Hilfsmittel verschreiben. Ein Besuch bei einer spezialisierten Fachkraft im Sinne der Beckenbodentherapie ist hier sinnvoll (LISTE BECKENBODENTHERAPEUT:INNEN (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)). Auch die Gabe von Gelatine als hydrolisiertes Kollagen als Nahrungsergänzungsmittel (in Kombination mit Vitamin C) verbessert laut einer Studie von Shaw et al. (2017) die Kollagensynthese, also die Zusammensetzung / Herstellung von Kollagen als wichtiger Bestandteil faszialer Strukturen. Und auch wenn ich jeder Frau anraten würde, alle konservativen Möglichkeiten auszuschöpfen, so finde ich es ebenso wichtig zu erwähnen, dass es auch operative Möglichkeiten gibt und jede Frau selbst eine möglichst informierte Entscheidung treffen sollte zu welchem Zeitpunkt dies in Betracht gezogen wird.
Nun zur Beckenbodenmuskulatur: Sie soll kräftig sein, koordiniert und reflektorisch arbeiten und beweglich sein im Sinne von “nicht steif”. Das ganze Bewegungsausmaß von Anspannung und Entspannung soll vorhanden sein. Es gibt hypertone Beckenböden, die also dauerhaft eine zu hohe Spannung haben. Auch dadurch kann Urinverlust entstehen. Hier sollte etwa die Entspannungsfähigkeit im Fokus stehen, wenn man an das Training denkt. Für die Kräftigung und Koordination ist gezieltes Beckenbodentraining natürlich sinnvoll und wichtig. Das geht innerhalb eines Kurses, innerhalb therapeutischer Sitzungen oder auch mithilfe von Biofeedback- / Stromgeräten (die je nach Befund empfohlen und verordnet werden). Es werden auch unzählige “Helferlein” und andere Trainingsmethoden im Internet oder von Fitnessstudios angeboten. Diese alle zu nennen und ihren Nutzen zu evaluieren, sprengt jedoch diesen Rahmen (ist wohl aber eine ganz gute Idee für einen Newsletter in der Zukunft :-) Sag mir gerne Bescheid, falls dich etwas Bestimmtes interessiert). In manchen Fällen gibt es zugrunde liegende neurologische Erkrankungen oder Schäden an den Nerven oder Muskeln im Beckenboden. Auch hier ist ein Termin bei einer spezialisierten ärztlichen oder therapeutischen Fachkraft hilfreich.
Um die Funktionalität von Blase und Schließmuskeln überprüfen zu lassen ist der Gang zu einer Fachkraft für Urologie oder Urogynäkologie anzuraten.
Blasenschwäche beim Sport
Es gibt Menschen, die beim Niesen, Husten oder Hüpfen Urin verlieren (entsprechend des Grad 1 der Belastungsinkontinenz). Manche andere haben im Alltag (beim lachen, niesen, husten etc.) keine Probleme, sondern nur beim Training. Entweder bei bestimmten Bewegungen oder gegen Ende des Trainings, wenn sie bereits erschöpft sind, oder beim Heben schwerer Gewichte. Vor Beginn des Trainings auf die Toilette zu gehen, bzw. ein oder zwei Stunden vor dem Training nichts mehr zu trinken ist übrigens keine Garantie den Harnverlust zu vermeiden. Das liegt daran, dass die Blase nie vollständig entleert wird und ständig Urin von der Niere zur Blase fließt, sodass selbst wenn der Toilettengang vor kurzem passiert ist oder weniger getrunken wird, immer noch Flüssigkeit vorhanden ist. Achte bitte immer auf ausreichend Wasserzufuhr! Insbesondere, wenn du sportlich aktiv bist!
Manche erleben die Blasenschwäche, wenn sie die Luft anhalten (in der Regel beim Training mit über 80% ihres Maximalgewichts), andere in anderen Phasen der Atmung. Manche berichten von Harnabgang bei bestimmten Übungen. Manche können ohne Probleme (auch lange) Seilspringen, verlieren jedoch Urin bei “Double-Unders” (doppelte Seilsprünge). Es gibt also auch hier große Unterschiede und deshalb auch viele Stellschrauben und Möglichkeiten um Anpassungen vorzunehmen.
Es ist also tatsächlich so, dass bei jeder Frau andere Rahmenbedingungen vorherrschen, die auch berücksichtigt werden müssen. Nicht jedes Training oder jeder therapeutische Ansatz hilft bei jeder Frau. Diese “Suche” nach der richtigen Stellschraube, dem passenden Training oder therapeutischen Ansatz ist mitunter zäh und kostet einiges an Ressourcen. Das ist definitiv ein großes Manko in der Frauengesundheit, da sehr vieles aus der eigenen Tasche bezahlt werden muss.
Ist Sport trotz Blasenschwäche gefährlich?
Bisher gibt es keine Forschungsergebnisse, die darauf hinweisen, dass das Trainieren trotz Harninkontinenz gefährlich ist oder zu einer Verschlechterung führt. Wir wissen jedoch, dass das (intensive) sportliche Training mit vielen Benefits für den weiblichen Körper einhergeht und dass Schamgefühle und Verunsicherung Frauen eher davon abhalten entsprechend (intensiv) zu trainieren. Was ist, wenn der Beckenboden genauso trainiert werden muss, wie alle anderen Muskeln des Körpers? Also bis zum Rande der Erschöpfung. Bis zu der Wiederholung, bei der gerade noch kein Harnverlust passiert. Dann Pause. Dann noch weitere Sets. Wie man es eben auch machen würde, wenn man Kraft im Po, in den Oberschenkel oder den Armen aufbauen möchte.
Ich wünsche mir insgesamt, dass wir offen über das Thema sprechen. Ich möchte aufklären, informieren und ermutigen. Ich möchte Wege der konservativen Herangehensweise aufzeigen und auf entsprechende ärztliche oder therapeutische Expert:innen verweisen.
In diesem Sinne: auf unsere Beckenbodengesundheit!
Deine Natalie
Literaturangaben / Quellennachweis:
Mikkelsen UR, Agergaard J, Couppé C, Grosset JF, Karlsen A, Magnusson SP, Schjerling P, Kjaer M, Mackey AL. Skeletal muscle morphology and regulatory signalling in endurance-trained and sedentary individuals: The influence of ageing. Exp Gerontol. 2017 Jul;93:54-67. doi: 10.1016/j.exger.2017.04.001. Epub 2017 Apr 12. PMID: 28411009.
Milsom I, Gyhagen M. The prevalence of urinary incontinence. Climacteric. 2019 Jun;22(3):217-222. doi: 10.1080/13697137.2018.1543263. Epub 2018 Dec 21. PMID: 30572737.
Shaw G, Lee-Barthel A, Ross ML, Wang B, Baar K. Vitamin C-enriched gelatin supplementation before intermittent activity augments collagen synthesis. Am J Clin Nutr. 2017 Jan;105(1):136-143. doi: 10.3945/ajcn.116.138594. Epub 2016 Nov 16. PMID: 27852613; PMCID: PMC5183725.
https://www.frauenaerzte-im-netz.de/erkrankungen/harninkontinenz/ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)Zugriff am 18. Juni 2024, 11:59 Uhr